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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Erinnerungen aus dem Indianeraufstand in Minnesota.[1]

1. Der Ausbruch.

Es war im Sommer des Jahres 1862. Wie ein schwerer, unheimlicher Druck lag es auf dem ganzen Lande der Vereinigten Staaten von Amerika. Wie konnte es auch anders sein? Schon so viel Bürgerblut war in der großen Rebellion der Südstaaten gegen die Union geflossen, und trotzdem loderte der Brand des Aufruhrs fast heller als je; schon so viele der Besten des Landes beweinten Söhne und Gatten und Väter und Freunde, die fern von der Heimath in südlicher Erde ein unbekanntes Grab gefunden hatten; und jetzt wurden sie schon wieder aufgefordert, das Liebste und Theuerste sich vom Herzen zu reißen und es auf den Altar des Vaterlandes niederzulegen. Dennoch geschah es, schnell und ohne Murren; aber daß gar Mancher seufzend den wolkenbehangenen Himmel des Vaterlandes anschaute, und bekümmert, ja wohl ungeduldig auf den Aufgang der Siegessonne wartete, wer konnte dies auch dem redlichsten Patrioten verdenken?

Das kleine Städtchen am Minnesota-Flusse, in welchem ich damals lebte, hatte ebenfalls sein freiwilliges Contingent treulich gestellt; am zehnten August hatten sich etwa ein Dutzend kräftiger Männer, meist Deutsche, von uns verabschiedet und waren am folgenden Tage nach Fort Snelling, dem Rendez-vous-Platze des Regiments, aufgebrochen.

In diesen düstern Tagen machte ich mich auf, um ein nothwendiges Geschäft bei der Indianer-Agentur am oberen Minnesota, das sich nicht länger aufschieben ließ, in Ordnung zu bringen; zugleich dachte ich durch die kleine Reise mich etwas zu zerstreuen und mein Gemüth von dem auf demselben lastenden Druck zu befreien. Mein Weg führte mich meist am Minnesotafluß entlang, theils durch schönes hügeliges Waldland, theils durch grüne „rollende“ Prairie, häufig durch kleine Städtchen und Ansiedelungen, anmuthig am steilen Ufer des Flusses oder im Schooße des herrlichen Laubwaldes gelegen, streckenweise auch durch Gegenden, die noch der fleißigen Hand des Ansiedlers harrten. Auf’s Neue trat mir die überraschende Schönheit und Fruchtbarkeit dieses gesegneten Landes entgegen, in welchem es auch dem Aermsten möglich ist, durch Fleiß und Ausdauer sich eine glückliche und behäbige Existenz zu schaffen, am eignen Herd sein eigner Herr zu werden und durch fast nichts in diesem Glück gestört zu werden, als durch des Menschen eigenen bösen Willen.

Am Sonnabend Abend, den 10. August, erreichte ich die „Untere Agentur“.

Zum besseren Verständniß des Nachfolgenden ist es nothwendig, eine kurze Auseinandersetzung der Indianerverhältnisse im Westen der Vereinigten Staaten einzuschalten.

Es ist bekannt, daß die Ureinwohner Nordamerikas von der fortschreitenden Civilisation immer mehr nach Westen gedrängt wurden, bis endlich die meisten Stämme oder deren Ueberreste den „Vater der Ströme“ überschritten hatten, und sich in die unermeßlichen Ebenen zwischen dem Mississippi und dem Felsengebirge neue Jagdgründe suchten. Aber auch dies genügte dem weißen Manne nicht. Der mächtige Strom war ihm keine Grenzscheide zwischen Civilisation und Barbarei. Hinüber zog er mit Büchse und Pflug; neue kraftvolle Staaten und Territorien bildeten sich in märchenhafter Geschwindigkeit am Westufer des Mississippi, und der rothe Mann mußte seinen ruhelosen Fuß weiter setzen. Viele indianische Stämme hatten indeß doch durch die vielfache Berührung mit ihren Bedrängern etwas gelernt und entschlossen sich, den ewigen hoffnungslosen Krieg mit denselben aufzugeben und sich der allbezwingenden Civilisation zu fügen.

So entstanden Verträge verschiedener Stämme mit der allgemeinen Regierung in Washington. Letztere wies ihnen große und meist äußerst fruchtbare Landstriche, sogenannte „Reservationen“, an, die gewissermaßen ihr Eigenthum wurden, wofür sie dann ihre Ansprüche auf das übrige Land, welche sie als ihre Jagdgründe beansprucht hatten, aufgaben. Innerhalb dieser ihrer Reservationen wurde ihnen ihre eigene Gerichtsbarkeit (selbst das Recht über Leben und Tod) gelassen, die sie unter ihren Häuptlingen ausüben; sie bequemten sich theilweise zum Ackerbau, wozu die Regierung ihnen jeglichen Vorschub leistete, sie mit allen dazu nöthigen Werkzeugen, ja selbst mit Häusern versorgte, und ihnen außerdem bedeutende Jahrgelder, theils in baarem Gelde, theils in Lebensmitteln und sonstigen Bedürfnissen, auszuzahlen sich verpflichtete. Die Oberleitung dieses schwierigen Regierungszweiges hat das Indianerbureau in Washington, welches in allen Reservationen Agenten anstellt, Schulen und Kirchen unterhält, selbst die Händler und Handwerker controlirt, kurz die Indianer, principiell wenigstens, als unmündige Kinder betrachtet, deren Aufsicht das Recht und die Pflicht der Regierung ist. Diejenigen Indianerstämme, welche zur Zeit der hier erzählten Ereignisse den südwestlichen Theil Minnesotas bewohnten, gehörten sämmtlich dem großen, kriegerischen Stamme der Sioux oder Dacotas an. Ihre schöne und große, durch mehrere Verträge ihnen zugewiesene Reservation lag an den oberen Wassern des Minnesotaflusses, welcher, an der Westgrenze des Staates entspringend, zuerst eine Strecke von ungefähr einhundertfünfzig (englischen) Meilen in südöstlicher Richtung durchströmt, dann bei dem Städtchen Mankato in einem rechten Winkel nach Nordost abbiegt und sich endlich bei Fort Snelling, sechs Meilen oberhalb St. Paul, in den Mississippi ergießt. Derselbe nimmt zwischen seinen Quellen und Mankato von Süden her hauptsächlich drei Flüßchen auf, den „Yellow Medicine“, „Red Wood“ und „Big Cottonwood“. Zwischen diesen Flüßchen längs dem Südufer des Minnesotaflusses streckte sich die Reservation fast hundert Meilen lang und zehn Meilen breit hin. Die Indianer wurden gewöhnlich in die „Oberen und Unteren Banden“ eingetheilt, lebten zum Theil in Dörfern, trieben ein wenig Ackerbau und hatten wenigstens dem Namen nach die christliche Religion angenommen; zum Theil aber trieben sie sich in noch ungebrochener Wildheit, von der Jagd und dem Raube lebend, unstät auf den weiten Ebenen als Nomaden umher, ein faules, blutdürstiges Gesindel. Erstere wurden kurzweg „civilisirte Indianer“, letztere „Blanket Indians“ (wegen der wollenen Decken, die ein Hauptstück ihrer Bekleidung ausmachen) genannt. Zwei Agenturen waren errichtet worden; die eine, die „Obere Agentur“, am Zusammenflusse des Yellow Medicine mit dem Minnesota-Flusse, die andere, die „Untere Agentur“, zehn Meilen südöstlich vom Einfluß des Red Wood in den Minnesota. An diesen Plätzen befanden sich die Regierungsgebäude, die Wohnungen der Beamten, Waarenhäuser und Kaufläden, Schmieden und andere Werkstätten, Ziegelbrennereien und dergleichen. Hier versammelten sich jährlich die „Banden“, um ihre Jahrgelder in Empfang zu nehmen und alle sonstigen Geschäfte mit den Agenten abzumachen; hier war natürlich auch der Hauptumsatzplatz für die privilegirten Händler. Als sich in den letzten Jahrzehnten die Einwanderung nach Minnesota außerordentlich mehrte, und die schönen Ländereien, besonders östlich und südlich von der Reservation, sich mit Ansiedlern bevölkerten, wurde zu deren Schutze das Fort Ridgley angelegt, an der östlichen Ecke der Reservation, zwölf Meilen von der „Unteren Agentur“. Eine Strecke weiter südöstlich am Minnesota liegt das in weitern Kreisen bekannte, von deutschen Turnern gegründete, blühende Städtchen New-Ulm. So viel zur Orientirung in Bezug auf die Localität. –

Ich erreichte die „Untere Agentur“, wie schon bemerkt, am Abend des 10. August. Der Agent, Major G., befand sich gerade an diesem Platze, und ich verbrachte den nächsten Tag, Sonntag, auf’s Angenehmste in seiner Gesellschaft, so wie in der des Doctor H. und des Herrn R., eines würdigen Missionars, der dreißig Jahre seines Lebens mit unermüdetem Eifer für die Civilisation und Christianisirung der Sioux gearbeitet hatte. Der Abend vereinigte uns in Major G.’s freundlicher Wohnung; nachdem, wie natürlich damals überall, die Unterhaltung sich zuerst um die bedrohte Lage des Vaterlandes bewegt hatte, wandte sie sich allmählich auf die Indianer und deren Verhältnisse im gegenwärtigen Augenblicke.

  1. In Folge der neuen Massen-Angriffe der Modoc-Indianer an der Südseite des Tulasee’s und anderer Stämme, namentlich aber der Thatsache, daß dieselben sich gegen die Truppen der Regierung siegreich behauptet haben, richten sich die Blicke der gebildeten Welt wiederum auf die Indianer Amerika’s und ihre Stellung zu den Culturvölkern des neuen Erdtheils. Wir nehmen hieraus Veranlassung, obigen für diesen Gegenstand höchst interessanten Artikel eines in Amerika lebenden Deutschen hiermit der Oeffentlichkeit zu übergeben.
    Die Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_094.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)