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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


stets lebendig erhalten, und von einem solchen frommen Kreise, dessen Seele das Fräulein Susanna Katharina von Klettenberg gewesen ist, gingen religiöse Einwirkungen auf den Knaben und den werdenden Jüngling Goethe aus, welche, wie nicht allein die „Bekenntnisse einer schönen Seele“ im Wilhelm Meister beweisen, ebenso tief wie nachhaltig sich erwiesen haben. Das mag Solchen verwunderlich erscheinen, welche das gedankenlose Pfaffengeträtsche vom „großen Heiden“ Goethe gedankenlos nachschwatzen, nicht aber Wissenden und Urtheilsfähigen, die zu erwägen vermögen, daß im alten und echten Pietismus ein pantheistischer Hauch wehte, welcher den genialen Knaben, der zum Dichter des Pantheismus werden sollte, wohl sympathisch ansprechen konnte und mußte.

Die Eindrücke einer Heimath nun, wie Frankfurt eine war, verbunden mit der sorgsamen Behütung und Führung von Seiten der Eltern, konnten zunächst durchaus nur förderlich auf den jungen Wolfgang wirken. Die Frage freilich, ob sich in ihm nicht Manches vortheilhafter entwickelt hätte, so Herrn Johann Kaspar’s Erziehungsmethode eine weniger exclusiv häusliche, eine auf die Fernhaltung und Abschließung seines Sohnes von Altersgenossen weniger pedantisch bedachte gewesen wäre, bleibt eine offene. Die Goethe-Legende, wie sie insbesondere von der allerdings dreist in’s Blaue hineinfabulirenden Bettina von Arnim ausgebildet worden ist, weiß an dem Knaben Wolfgang Züge von Steifigkeit, Grandezza und Altklugheit aufzuzeigen, welche ihn nicht gerade anmuthig erscheinen lassen, obzwar sein Körper ein würdig schönes Gefäß seines Geistes von Kindheit auf gewesen und, wie bekannt, bis in’s höchste Alter geblieben ist.

Eines Tages – so will die Legende – habe die Mutter den Wolfgang getadelt, weil er, mit anderen Knaben über die Straße gehend, durch steifaufrechte Haltung und gravitätischen Schritt sich auszuzeichnen suchte. Darauf habe der Getadelte die Antwort gegeben: „Damit mach’ ich den Anfang; später werde ich mich noch durch Allerlei auszeichnen.“ Eine andere legendenhafte Ueberlieferung deutet an, daß schon in dem siebenjährigen Knaben das Gefühl, ein Berufener, ein Auserwählter zu sein, instinctmäßig sich geregt habe. Der Kleine nämlich liebte es, am gestirnten Himmel die Sterne herauszufinden, von welchen ihm die Mutter gesagt, daß sie über der Stunde seiner Geburt geleuchtet hätten, und eines Abends bemerkte er ernsthaft und sorgenvoll:

„Die Sterne werden mich doch nicht vergessen und werden halten, was sie versprachen?“

„Was willst Du nur mit dem Beistand der Sterne?“ erwiderte die Mutter. „Wir Anderen müssen ja auch ohne sie fertig werden.“

„Mit dem, was anderen Leuten genügt, kann ich nicht fertig werden,“ entgegnete der Wolfgang.

Die Mutter und Spielgenossin hat von früh auf ganz wesentlich dazu beigetragen, den freien, offenen Blick in Natur und Menschheit, sowie das frische, muthige Erfassen der Wirklichkeit – beides Hauptmerkmale von Goethe’s Dichtergröße – in dem geliebten Sohne zu entwickeln. Selber an quillender Einbildungskraft reich, wie sie war, umgab ihre begeisterungsvolle Zärtlichkeit den heranwachsenden Sohn so zu sagen mit einer Atmosphäre von Poesie. Sie nährte, hegte und pflegte in ihm das „Schoßkind Jovis“, die Phantasie, und wußte stetsfort den allfälligen Verschüchterungen, welche das „zarte Seelchen“ von seiten der „alten Schwiegermutter Weisheit“, d. h. von seiten der Schulmeisterlaunen des gestrengen Eheherrn zu befahren hatte, mit Erfolg entgegenzutreten. Sie war es, welche durch ihre Unermüdlichkeit im Erzählen von Märchen und Geschichten die Pforten der idealen Welt zuerst dem begierig aufhorchenden Knaben erschloß und ihm diese Welt mit den Gestalten unserer alten Volksbücherpoesie bevölkerte. Diese hat dann, verbunden mit den Einwirkungen der mancherlei vaterstädtischen Alterthümer und Alterthümlichkeiten, die erwachende Dichtung Goethe’s, wie Jedermann weiß, bedeutsam beeinflußt und hat mit der erwachten so unlöslich sich verbunden, daß er eine nationale, germanische Natur und Art typisch darstellende Sagengestalt zum Helden der Hauptschöpfung seines Lebens und der modernen Literatur machte …. Frau Katharina Elisabeth trug in ihrem mütterlich-stolzen Herzen die helle Hoffnung, daß ihr Wolfgang „was Extraordinäres“ werden würde, und diese Hoffnung verlieh ihr Schick und Tact, ihren Sohn das Allerkostbarste zu lehren: – Lebensfreudigkeit. Ihre gleichmäßig gute Laune, ihr spielendes Bewältigen der großen Aerger wie der kleinen Verdrießlichkeiten des Lebens, ihre Art und Weise, das Rechte und Schickliche zu thun, ohne viel Aufhebens davon zu machen, ja, diese mütterlichen Eigenschaften der Frau Aja haben dem Dichterknaben die Grazien beigesellt, welche ihn bis zu seinem Lebensende nicht mehr verließen. Und wie geschickt und sanft wußten die mütterlichen Hände die wilden Ranken, welche Wolfgang’s Jugend trieb, zu wenden, zu biegen und zu beschneiden, ohne die Triebkraft selbst zum Stocken zu bringen! Es darf ohne Widerrede angenommen werden, daß alle bedeutenden, alle großen Männer ihr Bestes zumeist von ihren Müttern haben. Aber das Auszeichnende an der Mutter Goethe’s ist, daß sie den Genius in ihrem Knaben nicht nur frühzeitig erkannte, sondern auch den himmlischen Gast mit der Ambrosia verständnißvollster Mutterliebe zu speisen verstand.

Auch der sorgliche Vater wurde frühzeitig gewahr, daß, wie er sich später ausdrückte, sein Sohn ein „singulärer Mensch“ sei, und er hat es sich redlich angelegen sein lassen, den großen Gaben desselben zur Entfaltung zu verhelfen. Dabei ist ihm nachzurühmen, daß er keineswegs Pedant genug war, die Wichtigkeit auch der körperlichen Ausbildung des Knaben zu übersehen. Die leiblichen Anlagen Wolfgang’s wurden demnach von früh an entwickelt und geübt, so daß er in Jünglingsjahren ein rüstiger Fußgänger, Schlittschuhläufer und Reiter, sowie ein tüchtiger Fechter und Tänzer war. Was die geistige Pflege betrifft, welche Herr Johann Kaspar dem Sohne angedeihen ließ, so wurde die Aufmerksamkeit, Fassungsgabe und Lernbegierde desselben von ihm zeitig auf die Gebiete des Alterthums und der bildenden Kunst in ihren verschiedenen Erscheinungsformen hingelenkt. Selber ziemlich fest in den alten Sprachen und der italienischen vollkommen mächtig, unterwies der Rath seinen Sohn mit gutem Erfolg im Lateinischen, Griechischen und Italienischen und wußte nicht weniger erfolgreich in seinem Zögling den Kunstsinn zu wecken, welcher ja zudem im Goethe’schen Hause so zu sagen von jeder Wand herab gepredigt wurde, maßen der Hausherr auf die Mehrung und wirksame Ordnung seiner Sammlungen fortwährend Bedacht nahm. Für den Unterricht in der französischen und englischen Sprache, sowie in den Realien war durch Annahme möglichst guter Privatlehrer gesorgt. Der Vater sah es dem Sohne nach, daß dieser das mit Ach und Krach angefangene Clavierspiel bald wieder aufgab, weil er merkte, daß es mit seinem musikalischen Talent gar nicht weit her sei. Dagegen hielt der väterliche Pädagogarch nachdrücklich darauf, daß der Wolfgang fleißig im Zeichnen sich übte. Er erlangte hierin auch eine hübsche, durch später fortgesetzte Uebung gesteigerte Fertigkeit und diese ist ohne Frage, wie sein Kunstverständniß, auch seinem Dichten nicht wenig zu Gute gekommen. Die Benutzung seiner stattlichen Bibliothek gestattete der Vater dem heranwachsenden Sohn in liberalster Weise, und so machte dieser frühzeitig Bekanntschaft mit ausländischen und heimischen Poeten. Von letzteren fanden sich namentlich Haller, Drollinger, Hagedorn, Kramer, Kanitz und Gellert in der väterlichen Bücherei. Weiter aber wollte der Herr Rath von keinen deutschen Dichtern wissen, insbesondere nichts von Klopstock, dessen „Messias“ damals alle jungen Herzen in Deutschland so gewaltsam ergriff. Herrn Johann Kaspar waren die reimlosen Verse Klopstock’s und namentlich die Hexameter ein Gräuel. Er ließ sich nicht träumen, daß sein Wolfgang gerade in diesem Versmaß eine Dichtung schreiben werde, welche von der dankbaren Nachwelt als „der Stolz Deutschlands und die Perle der Kunst“ anerkannt sein würde. Lieb Mütterlein sorgte derweil schon dafür, daß der „Messias“, von dessen elektrisirender Wirkung auf die Menschen von damals wir uns heutzutage kaum noch eine ausreichende Vorstellung zu machen vermögen, auch in dem Hause im Hirschgraben seinen triumphirenden Einzug halten konnte. Und wie sie selbst von dem Gedichte lebhaft ergriffen wurde, hatte sie auch ihre Freude an dem Entzücken, womit ihr Wolfgang und ihre Cornelia dasselbe in sich aufnahmen. Bruder und Schwester liebten sich innig, waren unzertrennlich, theilten redlich Freude und Leid und bildeten natürlich nebenbei gemeinsam mit der Mutter eine permanente Verschwörung gegen den Vater, welche nicht gerade immer so harmlos gewesen ist wie jetzt, wo sie verpönte Messiaslesung hieß und in drastische Komik auslief. Saßen nämlich eines Sonnabends, während der Herr Rath vorn in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_081.JPG&oldid=- (Version vom 18.12.2021)