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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


auf lange Zeit vernichtet. Allgemeine Bestürzung herrschte in der Stadt, und die jammernden Einwohner schaarten sich bittend und um Gnade flehend vor dem Quartiere Lingg’s. Achselzuckend wies dieser die Bittenden auf den ihm zugegangenen strengen Befehl hin und ermahnte sie, das Beste ihrer Habe noch zu retten; dann ließ er endlich mit schwerem Herzen das Alarmsignal geben und befahl, vier einzeln gelegene Häuser je nach den vier Windrichtungen hin und ein Gebäude in der Mitte der Stadt anzuzünden.

Die badenschen Jäger eilten unterdessen durch die sich drängenden, jammernden Einwohner mit Sack und Pack auf den Markt der Stadt, der ihnen als Sammelplatz angegeben war; der Oberstlieutenant Lingg trat vor die Front, theilte den Truppen den kaiserlichen Befehl mit und stellte ihnen mit bewegten Worten das traurige Loos der Stadt vor, indem er noch besonders darauf hinwies, wie Tausende von Unschuldigen also für das Vergehen Weniger leiden sollten.

„Ich habe,“ schloß er dann mit bewegter Stimme seine Ansprache, „die Stadt an allen vier Ecken anzünden lassen. Soldaten, die Erlaubnis zum Plündern fängt jetzt an – wer dazu Lust hat, der trete heraus aus dem Gliede!“

Tiefe Stille herrschte auf dem Marke; athemlos, in unausprechlicher Spannung lauschten die ringsum geschaarten Einwohner auf das Hervortreten Derer, die sich zu Schergen Napoleonischer Grausamkeit machen würden, die mit deutscher Hand, der eigenen Mutterbrust vergessend, deutschen Wohlstand plündern und vernichten wollten.

Doch sieh! kein Mann trat aus dem Gliede; die braven Jäger standen, als wären sie aus Erz gegossen.

Die Aufforderung wurde wiederholt; auch ihr folgte Niemand – da führte der brave Commandeur seine braven Jäger hinaus zur Stadt auf Vach zu, wohin sein Marschbefehl lautete.

Jubelndes Jauchzen erfüllte die Stadt; Freudenthränen an Stelle der bangen Angstzähren vergießend, stürzte Alt und Jung zu den Seinigen, um ihnen das Unverhoffte zu verkünden: daß sie gerettet seien vor völliger Vernichtung, geschützt vor dem Elend – lediglich durch den Edelmuth deutscher Männer!

Vor dem Thore, da, wo die Straße auf Vach zugeht, machte Lingg mit seinen Jägern Halt und schaute zurück auf die Stadt. Er und seine Braven sahen mit Freuden, wie statt der lohenden Flammensäulen nur fünf leise sich im Ersterben kräuselnde Rauchwolken die Stellen zeigten, wo die Hand der Einwohner geschäftig den absichtlich gefahrlos angelegten Brand im Entstehen gelöscht hatten. Ruhe und Frieden schwebten im Sonnenglanze des Himmels über den Gassen und Märkten, welche von jubelnden Menschen belebt waren. – Hersfeld stand, Hersfeld steht heute noch – so lange es aber stehen wird, wird es ein Ehrendenkmal für die badischen Jäger sein!

Dem Namen nach jedoch existirte es nicht mehr, denn von Vach aus meldete Lingg am 21. Februar an den Markgrafen Ludwig nach Auseinandersetzung des ihm von Lagrange ertheilten Auftrages wörtlich so:

„Ich that nun auch, was in meinen Kräften stand, um die Linderung des traurigen Schicksals möglich zu machen, und brachte es auch dahin, daß die Stadt von Plünderung verschont blieb, da die ganze Execution meinen Compagnieen allein übertragen ward. Den Brand aber legte ich auf den vier Ecken und auch in der Mitte der Stadt an, daß selber bei der glücklichen Windstille nicht um sich griff und die Stadt somit außer den zum Anzünden gewählten Häusern keinen weitern Schaden gelitten hat. – Hersfeld ist nun als ein abgebrannter Ort aus der Reihe der existirenden Städte ausgestrichen, erhält nie wieder eine Garnison. Alle öffentlichen Zeitungen werden die Stadt als verbrannt ausschreiben. Ich muß devotest bitten, daß die Carlsruher Zeitung diesen Artikel nicht mildern möge.

Ew. Hoheit habe ich andurch den wahren Vorgang unterthänigst zu berichten nicht verfehlen wollen, und wünsche Höchstdero Zufriedenheit erreicht zu haben, indem ich einerseits die mir gegebenen Ordres meiner hohen vorgesetzten Commandirenden erfüllt und andererseits die Pflichten der Menschlichkeit nicht vergessen zu haben mich ganz beruhigt weiß.“

Der Generalgouverneur erhielt durch den Obersten Barbot die Meldung von der humanen Art und Weise, wie Lingg seinen Befehl und den Wink verstanden und ausgeführt hatte; sein Edelmuth ließ ihn schweigend darüber hinsehen, so daß dem braven Mann wenigstens keine dienstlichen Unannehmlichkeiten aus seinem menschenfreundlichen Benehmen erwuchsen.

Das dankbare Hersfeld hielt am 22. Februar einen feierlichen Dankgottesdienst, wobei Lingg’s Name von dem fungirenden Geistlichen als der eines Schutzengels der Stadt von der Kanzel verkündigt wurde; dann schickte die Bürgerschaft eine Deputation nach Vach, um Lingg ihren Dank zu sagen und ihm eine beträchtliche Summe Geldes für die Schonung der Stadt anzubieten.

„Ich lasse mir – gab Lingg notorisch zur Antwort – „eine gute That nicht mit Geld bezahlen; zum Andenken erbitte ich mir von Euch nur eine silberne Münze, auf welcher Eure Stadt und der heutige Auftritt vorgestellt sind. Dies soll das Geschenk sein, das ich meiner zukünftigen Gattin aus dem Kriege mitbringen will!“

Auch weitere Versuche der dankbaren Einwohnerschaft, ihm durch Kostbarkeiten seine That zu belohnen, wies er standhaft ab und nahm nur ein Gedicht an, welches ihm im Namen der Bürgerschaft von einigen Knaben überreicht wurde; so prägte die dankbare Stadt, um ihrem übervollen Herzen Luft zu machen, die von Lingg selbst geforderte Medaille und verewigte die edle That durch einen Gedenkstein an der Pfarrkirche.

Lingg und seine braven Jäger zogen weiter von Vach aus ihren Bruderregimentern nach in Kampf und Schlacht; die Kunde aber von dem, was sie gethan, zog hinaus über die deutschen Gauen und das ganze Land nahm sie mit Beifall und Bewunderung auf. Auf dem Heimmarsche nach dem Friedensschluß begleiteten Dank und Anerkennung das brave Jägerbataillon, und als es am 18. December 1807 Mittags in Carlsruhe einrückte, wollte der jauchzende Jubel kein Ende nehmen.

„Ehre, dem Ehre gebührt“, dachte, sprach und handelte das Volk.

Karl Friedrich von Baden ernannte Lingg zum Oberst, verlieh ihm für eine solche Führung des Bataillons das Commandeurkreuz des von ihm gestifteten Verdienstordens und beauftragte ihn, in seinem Namen Verdienstmedaillen an die braven Jäger auszutheilen; die schönste Ehre aber, die er ihm erwies, war die, daß der greise Herr, als er Lingg zum ersten Male nach dem Kriege wieder sah, mit freudiger Rührung in die Worte ausbrach: „Ah! da kommt der Mann von Hersfeld!

Daher stammt der Beiname für Lingg und er behielt ihn im Munde der Mitwelt.

Dankbare Fürsten beeiferten sich auch weiter, ihn durch äußerliche Zierden und Titel zu ehren; Karl Friedrich ernannte ihn zum Generallieutenant und erhob ihn als Lingg von Lingenfeld in den badischen Freiherrenstand; Friedrich Wilhelm der Erste von Hessen überschüttete ihn, als er in sein Land zurückgekehrt war, mit Orden, Ehren und Dank.

Er lebte als allgemein geachteter Pensionär zu Mannheim, und als er dort am 21. Januar 1842 starb, begruben sie ihn als alten Kriegshelden und hohen Officier mit Pomp und militärischen Ehren; auf seinen Leichenstein haben sie alle seine Titel geschrieben – nur einen haben sie dabei vergessen. Doch das ist gerade der beste und ehrendste und ihn hätten sie erst recht obenan und mit goldenen Lettern schreiben sollen – denn dann wüßte jeder Fremde, der auf Mannheims Kirchhof vorübergeht an des alten Soldaten Grab, wessen Asche unter dem Steine ruhet, und brauchte nicht erst von einem Badener oder Hersfelder, den sein Weg just auch vorüber führt und der den Fremden das Monument betrachten sieht, zu hören:

„Da liegt der Mann von Hersfeld!“
H. A. M.




Blätter und Blüthen.


Der Degen Friedrich’s des Großen. Es kommt bei der Redaction häufig vor, daß Artikel, welche das Interesse des Publicums in besonderem Grade erregen, Zeitschriften mit Anfragen, Aufträgen, sogar Berichtigungen an dieselbe zur Folge haben. So geschah es mit dem Artikel in Nr. 50 des Jahrganges 1872: „Aus den Zeiten der schweren Noth“, von Georg Horn. Eine anonyme Zuschrift vom 16. December aus Polnisch-Lissa an die Redaction machte es sich zur Aufgabe, gewisse Data aus dem besagten Artikel als unrichtig zu bezeichnen. Wenn schon die Redaction unter ihren Mitarbeitern für jeden besonderen Stoff die sorgfältigste Auswahl trifft, und sie annehmen dürfte, daß der Verfasser, welcher durch sein vortreffliches

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_069.JPG&oldid=- (Version vom 14.12.2018)