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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Aus den Zeiten der schweren Noth.
Der Mann von Hersfeld.


Es ist eine alte, schöne Sitte, großen Kriegshelden nach ihren höchsten Ruhmesthaten ehrende Beinamen beizulegen. Das Alterthum kannte einen Asiaticus, einen Africanus, einen Numantinus; die neue Zeit kennt eine Jungfrau von Orleans, einen Fürsten von Wahlstatt, einen Löwen von Skalitz. Das sind leuchtende, von Mit- und Nachwelt unvergessene Namen. Aber wie manche von nicht minder strahlendem Glanze sind, nachdem sie eine Weile im Ohre der Menschheit geklungen, verschüttet und begraben worden im Staube der Geschichte! So auch der Name des Mannes von Hersfeld.

Viele Schriftsteller haben schon seine That verherrlicht: Hebel erzählt davon im „Rheinischen Hausfreund“ und im „Schatzkästlein“; Venturini erwähnt sie in der „Chronik des neunzehnten Jahrhunderts“; Sommerlatt zählt sie auf in seinen „Zügen deutschen Muthes und Hochsinnes“; Lotter ebenso in seinen „Beispielen des Guten“; der „badische Militärkalender von 1863“ zeichnet sie in markiger Skizze; vor nicht allzulanger Zeit wurde sie (wenn auch etwas kühn und nicht ganz mit historischem Hintergrunde) zum Stoffe eines Dramas gewählt; da, wo sie sich hat zugetragen, hat sie die dankbare Mitwelt in Silber geprägt, in Verse gekleidet und in Stein gehauen … und doch! doch möchten wir wetten, daß im halben deutschen Vaterland die That gar nicht bekannt ist und daß sie für die andere Hälfte, wenn wir sie eben hier erzählt haben, nur trübe in der Erinnerung auftaucht, wie ein lange vergessenes Kindermärchen.

Sie ist es aber werth, gekannt zu sein; und darum soll hier erzählt werden, wer der Mann von Hersfeld ist und wie er zu diesem Beinamen kam.

Wilhelm der Erste von Hessen hatte sich als deutscher Fürst geweigert, dem für ihn mit dem süßen Köder der Gebietserweiterung versehenen Rheinbunde beizutreten, und wollte sich neutral halten. Napoleon erkannte diese Stellung zuerst an; als aber der Kurfürst zur strengen Wahrung seiner Neutralität Truppen an den Grenzen seines Landes aufstellte, jagte er ihn einfach mit dem Rechte des Allgebietenden vom Thron und erklärte das Land für einen Theil des für seinen Bruder „Morgen wieder lustig“ creirten Königreiches Westfalen, welchem zudem noch eine ordentliche Hauptstadt, wie sie sich jetzt in Kassel bot, fehlte.

Die gewaltigen Zuckungen aber, die vom Jahre 1789 an in schneller Folge wie Blitze von Paris aus über den Rhein gefahren waren, hatten nicht allein in den Oberrheinländern, die in ihren Miniaturgebieten von Krummstab und Scepter sehr feudaliter regiert wurden, eine bedeutsame Gährung, ja hin und wieder Auflehnung gegen die herrschende Hand zu Wege gebracht – sie hatten auch in Hessen Wiederklang gefunden, und als nun zu Ende des Jahres 1806 die bei Mediatisirung des Kurfürstenthums entlassenen kurhessischen Soldaten, die wieder einberufen waren und französisch organisirt werden sollten, sich unter ihren eigenen Officieren bei Kassel gegen den französischen Generalgouverneur Lagrange zusammenrotteten, fanden sie viel Sympathie beim Volke. Man hatte die gepriesenen Apostel der Freiheit als räuberische Usurpatoren, welche bei jeder Gelegenheit das seitdem geflügelte Wort „C’est la guerre!“ („Das ist der Krieg!“) im Munde führten, in’s Land einbrechen, die angestammten Fürsten verjagen und das Heiligste spottend entweihen sehen. Man bäumte sich daher, durch das Beispiel der Soldaten ermuthigt, gegen die brutale Behandlung auf; im Departement Werra, besonders in den Städten Eschwege und Hersfeld, stand das Volk am 25. December 1806, von hessischen Officieren (wie dem später in Eschwege als Rädelsführer erschossenen Hauptmann Usler) geleitet, offen gegen Napoleon und die von ihm als König eingesetzte Puppe auf und vertrieb mit Waffengewalt die fremden Garnisonen.

Die Strafe folgte auf dem Fuße. Schon am 1. Januar 1807 rückten von Kassel aus zwei Colonnen gegen die sogenannten Rebellen. Bei dem speciell gegen Hersfeld vorgeschickten Detachement befand sich ein badisches Jägerbataillon, das, aus Mannschaften des durch Mediatisirung des betreffenden Fürstenthums aufgelösten leiningschen Contingentes und eingeborenen Badensern bestehend, im November 1806 unter dem Oberstlieutenant Lingg als Rheinbundstruppe bis Naumburg marschirt, durch allerlei eigenthümliche Zufälle, wie durch Gefangenenescorte oder Geldtransporte, aber immer wieder zurückgekehrt und vom General Lagrange wegen der düstern Stimmung des Landes in Kassel zurückgehalten war.

Die braven Jäger hatten im Herzen gemurrt, daß sie nicht, wie die anderen badischen Regimenter, Lorbeern in offener Feldschlacht erringen könnten, sondern zu Escortendiensten verwendet würden; sie beklagten ihr Loos noch mehr, als sie – deutsche Truppen und deutschen Herzens – gegen deutsche Städte marschiren sollten, deren Sache eigentlich (wenn auch nur ganz heimlich) auch die ihrige war und denen ihr Herz cameradschaftlich entgegenschlug.

Sie marschirten zur Execution – nicht ahnend, daß sie auf diesem Zuge, ohne einen Schuß zu thun, köstlicheren Lorbeer erwerben würden als ihre Brüder vor Dirschau und Danzig.

Am 10. Januar rückte die Colonne in Hersfeld ein; das Haus, aus welchem zuerst auf die französischen Truppen bei dem Aufstande geschossen war, wurde sofort geplündert und abgebrannt; zwei früher kurhessische Soldaten, denen standgerichtlich die thätige Theilnahme am Aufruhr bewiesen werden konnte, wurden ohne Weiteres am 28. Januar zu Hersfeld erschossen.

Als dem Kaiser Napoleon, der sich damals in Polen befand, Meldung vom Geschehenen zuging, brauste derselbe in wildem Zorne auf und gab den schonungslos harten Befehl, die Stadt Hersfeld zu plündern und niederzubrennen, in Eschwege aber ein Drittel der Einwohner zu erschießen oder nach Frankreich zu deportiren.

Der General Lagrange, ein edler Soldat und Mensch, wagte es, gegen diesen Befehl des Despoten Einwendungen zu machen mit dem Bemerken, es sei ja Alles ruhig, die wenigen Urheber der an und für sich zudem noch wenig bedeutsamen Revolte seien bereits mit dem Tode bestraft und die Stadt wäre eigentlich an dem ganzen Vorfalle unschuldig; seine Fürsprache half aber nichts, denn Mitte Februar traf als einzige Antwort darauf die Wiederholung des harten Befehles von Seiten Napoleon’s ein.

Auch da bewies Lagrange noch seinen Edelmuth. Den italienischen und französischen Truppen des Detachements wurde auf seinen Befehl nichts von dem kaiserlichen Decret mitgetheilt, dieselben marschirten am 20. Februar unter dem Obersten Barbot aus Hersfeld ab mit dem Befehle, eine Viertelstunde vor dem Thore Halt zu machen, sich den Brand der Stadt anzusehen und dann in Eilmärschen nach Kassel zurückzukehren. Die deutschen Truppen erhielten den Befehl, die Plünderung und Anzündung der Stadt zu vollstrecken, und der Oberstlieutenant Lingg wurde von dem abrückenden Oberst Barbot mit der Leitung der Execution beauftragt, allerdings mit dem bedeutungsvollen Winke, „daß bei alledem viel Gutes geschehen könne, wenn er hierzu zweckmäßige Maßregeln nehmen wolle“; nach vollzogenem Befehle solle er mit seinem Bataillon nach dem etwa sechs Stunden östlich von Hersfeld liegenden Orte Bach rücken.

So lag denn das Schicksal der Stadt und seiner Bewohner, das mühsam errungene Ergebniß jahrelangen Gewerbfleißes in den Händen Lingg’s und seiner Jäger; das Plündern gehörte damals noch zum Kriegshandwerk, und die Hersfelder sahen sich daher unrettbar völliger Vernichtung preisgegeben, denn was die Hand plündernder Soldaten etwa verschonte, sollte das Feuer ja vernichten – und ein Aschenhaufen sollte in wenigen Stunden nur noch die Stätte bezeichnen, wo Liebe und Freundschaft am häuslichen Herde gesessen, Fleiß und Arbeit tägliches Brod und Reichthum geschaffen hatten.

Hersfeld, jetzt eine Stadt von gegen achttausend Einwohnern, in der Handelswelt bekannt durch seine bedeutenden Tuch- und Baumwollenzeugfabriken, in der Statistik genannt als preußische Garnison, den Malern und Kunstfreunden werth durch die Ruinen seines herrlichen byzantinischen Domes, dem Freunde deutschen Volkslebens lieb durch seinen Lullusmarkt, hatte sich schon damals von den Anbauten der Benedictinerabtei Herolvesfelde zu einer gewerbthätigen Stadt von fünftausend Wollenzeugspinnern und Tuchfabrikanten emporgearbeitet und genoß schon eines gewissen Wohlstandes. Jetzt hatte die bange Stunde geschlagen, und der mühsam erworbene Wohlstand war, wenn nicht auf ewig, so doch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_068.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)