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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Gerüste des Christentums stellen mögen, sein ethischer Gehalt ist gänzlich hineingewachsen in die deutsche Volksseele, umfängt, beherrscht und durchdringt unser gesammtes Bewußtsein. Der Nibelungentext strotzt von Ungeheuerlichkeiten, die, um gläubig hingenommen zu werden, unserm poetischen und sittlichen Gefühle den gewaltsamen Bruch mit dem ganzen Erwerbe einer mehr als tausendjährigen Cultur zumuthen. Urwüchsige Rohheit, wüste, durch keine Humanität angekränkelte Sinnlichkeit sind das Element, in welchem die Personen leben und weben. Aus Raub, Mord, Blut, Meineid und Blutschande setzt sich die Handlung zusammen. Die mit bewußter Absichtlichkeit alterthümlich gefärbte, reckenhaft ungeschlachte, in Stabreimen stammelnde Sprache verwirrt und betäubt das Ohr. Zu den Absonderlichkeiten der Dichtung kommen endlich die nicht geringeren der Musik. Mit ihrer grundsätzlichen Verachtung jeder gegliederten Melodie, ihrem lediglich dem Redetone sich anschmiegenden Gesange, ihrem Getümmel instrumentaler Klänge und Gestalten ist sie die äußerste Consequenz und lauteste thatsächliche Bekräftigung dessen, was der Componist in seinen Schriften als alleinseligmachende künstlerische Wahrheit der Welt verkündet, aber in seinen früheren Opern gleichsam nur präludirend andeutet. Ein Werk von der Art der Nibelungen zählt natürlich auf ein seinem Autor in unbegrenzter Liebe, Demuth und Bewunderung hingegebenes Publicum, und das Bestreben, ein solches zusammenzubringen, ist, wie wir noch sehen werden, eine der Haupttriebfedern des Bayreuther Unternehmens.

Von der äußeren und inneren Einrichtung des neuen Theaters läßt sich bis jetzt noch nicht viel sagen. Sein Begründer hat erklärt, daß es nur ein provisorisches Werk sein soll, dessen mit dem dürftigsten Material ausgeführte Umschalung im glücklichsten Falle an die flüchtig gezimmerten Musikfesthallen der rheinischen Städte erinnern werde. Auch die innere Ausstattung verzichte auf jeden Zierrath. Dagegen werde die dem Ganzen zu Grunde liegende künstlerische Idee in den Verhältnissen des Raumes und der Anordnung der Sitzplätze zum Ausdrucke gelangen. Besonderes Gewicht legt ferner Wagner darauf, daß sich sein Orchester dem Blicke entzieht, und man kann ihm darin Recht geben, wenn er auch den Werth der Neuerung zu hoch anschlagen mag. Der geheimnißvolle Eintritt der Musik muß die künstlerische Illusion fördern, es der mitthätigen Phantasie des Hörers erleichtern, ihre Schwingen frei und voll zu entfalten. Führte doch bekanntlich schon Goethe darüber bittere Klage, daß ihn die aufgeblähten Backen der Bläser, die Armverrenkungen der Geiger nie zum ruhigen Genusse kommen ließen. Das ist es aber nicht allein; noch viel wesentlicher scheint der folgende Punkt. Fast so alt wie die Oper selbst sind auch die Beschwerden über den die Stimmen der Sänger deckenden und verhüllenden Lärm der Instrumente. Geben die letzteren ihren bevorzugten Platz zwischen der Bühne und dem Publikum auf, so ist dem Uebelstande mit einem Male abgeholfen. Ueber den scenischen Apparat der Bayreuther Bühne verlautet noch nichts, man darf aber von ihrem Decorations- und Maschinenwesen Wunderdinge erwarten. Nach jeder Seite hin wetteifert der Autor der Nibelungen mit der Einbildungskraft des erfinderischsten Balletregisseurs. Er verheißt uns die mannigfaltigsten Wald- und Bergpanoramen, Sonnen- und Mondschein in Hülle und Fülle, Feuerwerkskünste jeder Art, eine Regenbogenbrücke, über die Wotan und die Seinigen gen Walhalla ziehen, wilde Reiterinnen der Lüfte, Götter über den Häuptern ihrer Schützlinge schwebend und sie mit Speer und Schild vertheidigend, einen flammenspeienden, schweifringelnden Drachen, eine Bärenhetze und was nicht sonst noch.

Mit seinem Theater will der Dichterkomponist nicht etwa für die künstlerischen Localbedürfnisse der Bayreuther sorgen, er zählt vielmehr auf ein aus allen Theilen Deutschlands zusammengekommenes Publicum; auch wird in dem neuen Kunsttempel keineswegs Jahr aus, Jahr ein gesungen und gespielt werden, sondern nur in langen Zwischenräumen soll er seine Pforten zur Feier glänzender musikalisch-dramatischer Nationalfeste öffnen. Der Gedanke, abseit vom Marktgewühl des großstädtischen Verkehrs den Musen eine Stätte zu bereiten, hat gewiss für manches feiner geartete Gemüth etwas in hohem Grade Verlockendes; findet doch die Kunst in den Herzen der Menschen den lautesten Widerhall, wenn sie uns ihre Gaben als seltene Weihgeschenke und nicht als tägliches Brod bietet. Wie wir sie zumeist empfangen und genießen, sind wir kaum angethan, sie voll und ganz hinzunehmen, noch den erhaltenen Eindruck rein und harmonisch ausschwingen zu lassen, denn unmittelbar vor und hinter uns liegt die Prosa der gemeinen Wirklichkeit. Wer ein rheinisches Musikfest mitgefeiert, der hat es an sich erfahren können, welche unwiderstehliche Gewalt die idealen Mächte auf die vom Staub des Werkeltags befreite Seele üben. Der Anblick der blühenden Landschaft, das heitere Beieinander so vieler durch den gemeinsamen Genuß verbundener Menschen, der frische Wandermuth, das frohe Feriengefühl, die selbst das gewöhnlichste Reiseereigniß verklären, alles das vereinigt sich, den Tönen in unserer Brust den kräftigsten Resonanzboden zu bereiten. Trefflich hat es Wagner verstanden, eine für sein Unternehmen geeignete Stätte zu wählen. Bayreuth liegt so recht in der Mitte zwischen den nord- und süddeutschen Metropolen, dabei ganz nah an einer der vornehmsten Straßen nach der Schweiz, Salzburg und Tirol, den sommerlichen Reisezielen so vieler Tausende. Selbst einer größeren Anzahl von Gästen bietet der Ort behagliches Obdach. Vielleicht das beste Erbe der deutschen Kleinstaaterei leidigen Angedenkens sind die vielen schmucken Städte in allen Gauen unseres Vaterlandes. Ehedem Regierungssitze, verdanken sie dem Geschmack und Reichthum der früheren Landesherren ihre breiten Straßen und Plätze, eine Menge ansehnlicher Gebäude, dazu mancherlei freundliche Anlagen in der nächsten Umgebung. Fast immer mit dem Schweiß, oft mit dem Blute der geplagten Unterthanen wurden freilich diese Dinge bezahlt, und um sich ihrer zu freuen, muß man die erbarmungslose Steuerwirthschaft des achtzehnten Jahrhunderts, den Soldatenhandel mit England und was der allerhöchsten Erpressungen mehr gewesen, zu vergessen suchen. Auch Bayreuth verräth sich gleich dem ersten Blick als ehemalige Residenz; überall wird man an das Walten eines wohllebigen Fürstengeschlechts gemahnt; Stadt und Land erzählen uns von der Prachtliebe der alten hohenzollernschen Markgrafen. Man muß gestehen, mit klugem Vorbedacht hat sich Wagner den Schauplatz für sein Unternehmen ersehen, und von der Wahl der Mittel, durch die er es in’s Werk zu setzen gedenkt, ist das Gleiche zu behaupten.

Um eine Bühne mit der sie erfüllenden Welt von Klängen, Farben und Gestalten hervorzuzaubern, dazu gehört zu allernächst Geld, sehr viel Geld. Die Kosten für das Bayreuther Theater sind vorläufig auf dreihunderttausend Thaler angeschlagen, und eigenthümlich ist die Art, wie sie zusammengebracht werden sollen. Es hat sich zu dem Zweck eine Actiengesellschaft gebildet, die den Betheiligten statt fetter Dividenden lediglich künstlerische Genüsse verheißt. Für dreihundert Thaler kann man einen sogenannten Patronatsschein erwerben und durch ihn das Recht, den ersten drei Vorstellungen der Nibelungen-Tetralogie beizuwohnen. Um den Ankauf zu erleichtern, sind diese Scheine in drei Serien getheilt, die auch einzeln abgegeben werden. Weil nun aber ein Preis von hundert Thalern für ein auf vier Tage gültiges Theaterbillet doch immer noch an die Zahlungsfähigkeit der Enthusiasten gewaltige Ansprüche macht, sind an vielen Orten Wagner-Vereine in’s Leben getreten, welche durch die Veranstaltung von Lotterien und musikalischen Aufführungen das Vorhaben ihres Herrn und Meisters zu fördern suchen. Es werden hier die Bayreuther Actien gegen einen Einsatz von zehn Thalern ausgespielt, ja selbst an arme, solcher Gunst würdige Kunstjünger verschenkt, und zu dem letzteren Zweck sind eben die zu erzielenden Concerteinnahmen bestimmt. Höchst sinnreich ist, wie man sieht, dieser ganze Apparat ausgedacht und in Scene gesetzt. Durch die geräuschvolle Art, in der er seine Arbeit verrichtet, muß er immer von Neuem die Blicke des Publicums auf die Angelegenheit lenken und zugleich gewährt er die Bürgschaft, daß der Dichtercomponist das von ihm in Aussicht gestellte große musikalisch-dramatische Nationalfest nur in dem geschlossenen Kreis seiner Freunde und Verehrer feiern wird.

In Gegenwart zahlreicher Gäste unter Sang und Klang, großem Gepränge und vielen Reden ist am 22. Mai des vergangenen Jahres, dem neunundfünfzigsten Geburtstage Wagner’s, der Grundstein zur neuen Bühne gelegt. Wann sie für die Aufführung der Nibelungen bereit sein wird, hängt vor Allem von dem Zufluß der nothwendigen Geldmittel ab. Man sollte fast glauben, daß der Gründungs-Verein die Kostspieligkeit des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_060.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)