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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

„Wir sprechen noch einmal zu gelegener Zeit darüber!“ erklärte er, heftig die Uhr hervorziehend. „Für heute laß uns abbrechen. Es sind noch zwei Stunden bis zum Eintreffen der Gäste; ich fahre nach den oberen Werken hinaus. Du begleitest mich also?“

„Nein!“ sagte Arthur, wieder in seine volle Trägheit zurücksinkend.

Berkow machte diesmal keinen Versuch, seine Autorität zu gebrauchen; vielleicht war ihm nach diesem Gespräche die Weigerung nicht unlieb. Er wandte sich zum Gehen und ließ den jungen Mann allein, den mit der nun eintretenden Stille wieder die ganze frühere Apathie zu überkommen schien.

Und während draußen der erste klare Frühlingstag auf die Erde herniederlächelte, während die Berge dufteten und die Wälder im Sonnenglanze funkelten, lag Arthur Berkow drinnen im halbdunklen Gemach bei herabgelassenen Vorhängen und geschlossenen Portièren, als sei er allein nicht geschaffen für freie Bergesluft und goldenen Sonnenschein. Die Luft war ihm zu rauh, die Sonne zu hell; die Aussicht blendete ihn, und er selbst kam sich über alle Beschreibung nervös und angegriffen vor. Der junge Erbe, dem Alles zu Gebote stand, was die Welt und das Leben nur zu geben vermochten, fand, was er schon so unendlich oft gefunden, daß diese Welt und dieses Leben doch eigentlich entsetzlich leer und öde seien, gar nicht der Mühe werth, geboren zu werden.




Das glänzende, mit verschwenderischer Pracht und Ueppigkeit hergerichtete Diner war zu Ende. Es hatte außer den zahlreich erschienenen Gästen noch einen besonderen Triumph für Berkow gebracht. Der Adel der benachbarten Stadt war im höchsten Grade exclusiv, zumal in seinen tonangebenden Persönlichkeiten, und er hatte sich bisher noch nie herbeigelassen, das Haus eines Emporkömmlings zu betreten, den seine zweideutige Vergangenheit noch immer von der vornehmen Gesellschaft ausschloß. Die Einladungen aber, auf denen Eugenie Berkow, geborene Baroneß Windeg, unterzeichnet stand, waren allseitig angenommen worden. Sie war und blieb doch nun einmal der Sproß einer der ältesten Adelsgeschlechter; man konnte und wollte sie nicht durch eine Ablehnung verletzen, wollte dies um so weniger, als es kein Geheimniß geblieben war, was sie zu dieser Verbindung gezwungen hatte. Wenn man aber der jungen Frau mit vollster Achtung und Sympathie entgegenkam, so konnte man gegen ihren Schwiegervater, in dessen Hause das Fest ja stattfand, unmöglich anders als höflich sein, und das geschah denn auch. Berkow triumphirte, er wußte sehr wohl, daß dies hier nur das Vorspiel dessen war, was sich im Winter in der Residenz wiederholen mußte. Man werde die Baroneß Windeg in ihren Kreisen sicher nicht fallen lassen, weil sie sich aus Kindesliebe für ihren Vater geopfert, man werde sie dort nach wie vor als ebenbürtig betrachten trotz des bürgerlichen Namens, den sie jetzt trug. Was aber diesen Namen selbst betraf, so lag das so sehnlich erstrebte Ziel ja nun hoffentlich auch nicht mehr in allzuweiter Ferne.

Wenn sich der ehrgeizige Millionär nun einerseits seiner Schwiegertochter zu neuem Danke verpflichtet fühlte, trotzdem sie heut mehr als je die Airs einer Fürstin angenommen hatte und ihm und seinem ganzen Kreise völlig unnahbar geblieben war, so hatte ihn andererseits das Benehmen seines Sohnes ebenso sehr überrascht als geärgert. Arthur, der sonst ausschließlich in adeligen Kreisen verkehrte, schien jetzt auf einmal den Geschmack an dieser Art des Umganges verloren zu haben. Er war den vornehmen Gästen gegenüber von einer so kühlen Artigkeit gewesen, hatte selbst gegen die Officiere der Garnison, mit denen er doch sonst bei seinem Hiersein auf sehr intimem Fuße stand, eine so geflissentliche Zurückhaltung beobachtet, daß er mehr als einmal bis an die Grenze dessen ging, was ein Wirth sich erlauben darf, ohne zu verletzen. Berkow begriff diese ganz neue Laune nicht; was fiel denn seinem Sohne auf einmal ein? Wollte er vielleicht seiner Gemahlin damit Opposition machen, wenn er ihre Gäste so beinahe absichtlich vermied?

Diejenigen Herren aus der Stadt, welche sich in Begleitung ihrer Damen befanden, waren bereits aufgebrochen, weil bei den vom langen Regen grundlosen Wegen eine mehrstündige Fahrt in der Dunkelheit nicht rathsam erschien, und hatten dadurch der Frau vom Hause die Freiheit gegeben, sich zurückzuziehen, eine Freiheit, die sie auch sofort benutzte. Eugenie verließ die Gesellschaftsräume und begab sich in ihre Zimmer, während ihr Gemahl und ihr Schwiegervater bei den Gästen zurückblieben.

Inzwischen war zur festgesetzten Stunde auch Ulrich Hartmann erschienen. Seit seinen frühesten Knabenjahren, seit mit dem Tode der Frau Berkow die Beziehungen seiner Eltern zum Hause derselben aufgehört, hatte er es nicht wieder betreten, wie denn überhaupt für die gesammte Arbeiterbevölkerung das Landhaus des Chefs mit seiner Umgebung von Terrassen und Gärten ein verschlossenes Eldorado war, das nur hin und wieder den Beamten einmal zugänglich wurde, wenn irgend eine besonders wichtige Angelegenheit oder eine Einladung sie dorthin rief. Der junge Mann schritt durch das hohe, reich mit blühenden Gewächsen geschmückte Vestibül, die teppichbelegten Stufen hinauf und durch die hellerleuchteten Corridore, bis ihn in einem der letzteren der Diener von heute Morgen in Empfang nahm und in eins der Zimmer wies. „Die gnädige Frau werde bald erscheinen –“ mit dieser Bemerkung schloß er die Thür hinter ihm und ließ ihn allein.

Es war ein großes, reich decorirtes Vorgemach, in das Ulrich eintrat, der Anfang einer ganzen Flucht von Staatszimmern, die aber in diesem Augenblicke völlig leer waren. Die Gesellschaft befand sich noch drüben in dem nach dem Garten gelegenen Speisesaal, aber gerade die Oede und Stille, die in diesen Räumen herrschte, ließ ihre Pracht noch mehr zur Geltung kommen. Durch die überall weit zurückgeschlagenen Portièren überschaute Ulrich ungehindert die lange Reihe glänzender Zimmer, deren eins das andere an Pracht zu überbieten schien. Die schweren dunklen Sammettapeten schienen das Licht einzufangen, aber desto heller spielte es auf den reich vergoldeten Verzierungen der Wände und Thüren, auf den Seiden- und Atlasbezügen der Möbel, in den deckenhohen Spiegeln, die es in blitzenden Strahlen zurückwarfen, ja selbst auf dem spiegelglatten Parquetboden, desto voller beleuchtete es all diese Gemälde, Statuen und Vasen, die in verschwenderischer Menge und Kostbarkeit die Salons schmückten. Alles, was Reichthum und Luxus nur irgend zu geben vermögen, war hier zusammengehäuft, eine Fülle von Schönheit, Pracht und Glanz, die wohl ein Auge blenden konnte, das bisher nur gewohnt war, in den dunkeln Gängen des Schachtes seine Heimath zu finden.

Aber dieser Anblick, der sicher jeden seiner Cameraden verwirrt hätte, schien auf Ulrich nicht den mindesten Eindruck zu machen. Wohl glitt sein Auge finster durch die strahlenden Räume; aber keine Bewunderung sprach sich darin aus. Als wollte er mit jedem einzelnen der kostbaren Dinge rechten, so schaute er darauf hin, und plötzlich kehrte er, wie in aufflammendem Haß, der ganzen Zimmerreihe den Rücken und schlug leise, aber heftig mit seinem Fuß den Boden, als sich noch immer Niemand blicken ließ; Ulrich Hartmann war augenscheinlich wenig gemacht, geduldig im Vorzimmer zu warten, bis man sich herabließ, ihn zu empfangen.

Endlich rauschte etwas hinter ihm. Er wandte sich um und trat unwillkürlich zurück, denn einige Schritte von ihm entfernt, gerade unter dem Kronleuchter, stand Eugenie Berkow. Er hatte sie bisher nur ein einziges Mal gesehen, als er sie aus dem Wagen trug, im einfachen Reisekleide von dunkler Seide, während ihr Antlitz von Reisehut und Schleier zur Hälfte beschattet war, und er hatte von jener Begegnung nur die Erinnerung an Eins mit sich genommen, an die großen dunklen Augen, die sich damals so fest auf sein Antlitz geheftet; jetzt – ja freilich, das war eine andere Erscheinung als jene, die bisher in den Gesichtskreis des jungen Bergmanns getreten waren. Zarte weiße Spitzen flossen über das weiße Seidengewand und umwogten wie eine Wolke die schlanke hohe Gestalt; wie hingehaucht lagen einzelne Rosen in diesem Spitzenduft, und das gleiche Rosengewinde schlang sich durch das reiche blonde Haar, dessen matter Glanz zu wetteifern schien mit dem Glanz der Perlen, die Hals und Arme schmückten. Das volle Licht der Kerzen floß blendend nieder auf die schöne Erscheinung, die wie geschaffen schien für den glänzenden Rahmen dieser Umgebung, und die da vor ihm stand, als könne und dürfe ihr nichts nahen, was mit dem gemeinen Tagewerk des Alltagslebens nur irgend in Berührung kam. Aber so sehr Eugeniens ganzes Wesen die vornehme Salondame zeigte, die sie den ganzen Abend über ausschließlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_054.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)