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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

zugedeckt, so müssen sie ihre Arbeit für dieses Jahr ruhen lassen und sich auf den nächsten Lenz vertrösten.

Die ordentliche Gelegenheit zum „Holzrennen“ wird vom Wetter gegeben, wenn man ein allmähliches, sanftes Wachsen des Bergstromes bemerkt. Dann werden die Scheiter in’s Wasser gestoßen und fort geht’s – anfänglich ziemlich friedlich durch die Kiesauen und Waldufer des Rainthales, dann aber, wenn die Fluth den Engen entgegen wirbelt, immer rascher, dichter aneinander gedrängt und oft umschlagend im Gewoge.

Endlich ist kein Platz mehr für ein Nebeneinander. Die Ufer, bisher Waldsaum, sind auf zwei Klafter Entfernung zusammengerückt und sind Wände geworden. Eine Zeit lang schiebt noch ein Klotz den anderen, aber wenn der Klötze in den Windungen des Schiefers, der aussieht, als ob sich ein großer Wurm wie die Midgardsschlange durch ihn hindurchgefressen hätte, gar zu viele geworden sind, so können sie nicht mehr weiter und verfallen der Trägheit.

Jetzt ist die Zeit der Männer gekommen, ihnen beizustehen. Sollte irgend Jemand durch diese Zeilen sich angeeifert fühlen, einmal dem Spectakel zuzuschauen, so stelle er sich auf die oberste Klammbrücke bei Graseck, dem gewöhnlichen Ziele der Klammpilger. Dort sieht er in den Abgrund, der kurz vor der Brücke, die schwindlig schwebt, eine Biegung macht. Die Hölzer in der Tiefe poltern in den Schlund hinein.

Da soll Einer hinabgelassen werden, um die festgesessenen Hölzer flott zu machen. Eine Schlinge wird ihm um den Leib gelegt. Er sitzt auf einem Prügel, der am Ende des Seiles als kurze Querstange befestigt ist. Auf dem Kopfe hat er einen Kübel von Holz, damit Steine, die abfallen, seinen Schädel nicht belästigen. Das Seil ist um einen Baum geschlungen und läuft noch einmal über eine Rolle, die an einem andern Baumstamme befestigt ist. Während drei bis vier Genossen dasselbe vorsichtig ablassen, zurückgebeugt mit aller Kraft es hemmen, daß es von seiner Last nur Hand- um Handbreite in die Tiefe gezerrt wird, dreht sich, der Bewegung des Taues folgend, der Abfahrende, zugleich sein Griesbeil benutzend. Das Griesbeil ist eine Haue, aus einem langen Holzgriffe, einem eisernen Haken und eben solcher Spitze bestehend. Schon bei der Arbeit im Bergwalde wurde es von dem Holzfäller gebraucht, um Holz bis auf den „Wurf“ herauszuziehen oder es in’s Wasser zu stoßen – jetzt dient es ihm, um sich mit der Spitze von den Hervorragungen der Felswand abzuhalten, gegen welche ihn die drehende Bewegung des Seiles schlagen möchte.

Und wieder sein unentbehrliches Werkzeug wird die Grieshacke, wenn er einmal unten angekommen ist und sich vom Seile abgelöst hat. Dann spießt er die Hölzer, die sich festgerammt haben, und wirft sie in’s fortstrebende Wasser oder zerrt die übereinandergethürmten auseinander. Sanft greift er sie gerade nicht an – werden ja auch die Leute nicht sanft angegriffen, die in den Engpässen des Lebens nicht mehr weiter können.

Von oben herab sieht diese Hantirung so grob nicht aus; aber wir würden anders urtheilen, wenn wir selbst in der Tiefe zwischen den Hölzern stünden. Schon das Herabseilenlassen erfordert einen sicheren Kopf, nicht minder aber auch der Donner des Wassers und der Blöcke, der dort unten viel betäubender hallt als nach oben hinauf, wo über den Rändern des Abgrundes die Brücke schwebt. Auch das Herumsteigen auf Scheitern, die über dem gestauten wüthenden Wasser schwanken, verlangt Muth. Nimmt man dazu die Dämmerung des tiefen Spaltes, worin nur ein schmaler Streifen Himmel sichtbar wird, so sieht man, daß Kaltblütigkeit hier an ihrem Orte ist.

Vor einigen Jahren ereignete es sich, daß einer von den Knechten, die in den Wassern des Abgrundes arbeiteten, des Abends beim Herausziehen vergessen wurde. Das Schreien half ihm nichts, weil das Geräusch des Wassers und des Holzes die Stimme erstickte. Er versuchte es, in der Richtung gegen Rainthal hin dem engen Abgrunde zu entfliehen, vermochte es aber nicht, weil sich eine sehr tiefe Stelle vorfand, über welche er nicht hinüber kommen konnte. Von einem Entrinnen gegen Garmisch hin konnte noch weniger die Rede sein, weil er die ganze Klamm hätte durchwaten müssen und in der Dunkelheit sicher ertrunken, gegen die Wand geschleudert oder von Scheitern erdrückt worden wäre.

Als er so in dem quirlenden, von auf- und absteigenden Holzscheitern eingeengten Wasser sich herumtastete, gerieth er einmal an einen Felsblock, der nahe an der Wand im Wasser lag. Dieser, an dem er sich mit beiden Händen halten konnte, bot ihm zwar Schutz gegen das reißende Wasser, aber es war doch ein unbequemer Zufluchtsort, weil gerade ob diesem Block die Wand bedeutend überhängt und so denjenigen, der beim Blocke steht, nöthigt, sich zu bücken. Als er deßhalb den Block wieder loslassen wollte, fand es sich aber, daß links und rechts davon das Wasser im Grunde Tobel von solcher Tiefe abgewaschen hatte, daß es über ihm zusammengeschlagen wäre und ihn erstickt hätte. Man sollte glauben, wohin man den Weg findet, von dort finde man ihn auch wieder zurück. Das ist aber nicht immer wahr. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ich von einem Felsstücke, zu welchem ich beim Ueberschreiten eines wenig bedeutenden Bergflusses gekommen war und auf welchem ich einige Augenblicke ausruhte, nach keiner Richtung hin weiter kommen konnte und endlich durch zugeworfene Seile aus dem Schwall erlöst wurde. So fand auch dieser Knecht die Richtung nicht wieder, in welcher er hinter seinen Block gerathen war, und blieb bei ihm stehen. Die Nacht, während welcher er, den Block umhalsend, bis an die Brust im Wasser gebückt unter der Wand aushalten mußte, wird ihm lang geworden sein. Morgens endlich hörten die Leute von Mitter-Graseck sein Geschrei und schafften Hülfe herbei, so daß er in kläglicher Verfassung durch ein Seil hinaufgezogen wurde.

An der obern Mühle bei der Partenkirchener Kohlstatt ist der Rechen in der Partnach, welcher die der Partnach entronnenen Hölzer aufhält. Dort stehen diejenigen, denen das Holz gehört, und geben auf die heranschwimmenden Hölzer Obacht. Die Gewöhnung schärft ihren Blick, und so erkennen sie gleich, ob das ankommende Scheit ein ihriges ist oder nicht. Schwimmt Eigenthum daher, so haben sie es blitzschnell mit dem Griesbeil erfaßt und werfen es auf den triefenden Haufen, der sich am Ufer ansammelt.

So viel, was das Holzrennen in der Partnachklamm anbelangt.

Ich will die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, noch einiges Andere über diese Klamm hinzuzufügen, was den Sommerwanderern entgeht.

Der Landschaftsphotograph Bernhard Johannes in Partenkirchen, dessen prächtige „Studienblätter“ in so manchem Düsseldorfer und Berliner Atelier angetroffen werden, wo sie den Malern gute Dienste leisten, machte mich einmal auf das Schauspiel der vereisten Klamm aufmerksam. Um zu erklären, was dies heißen soll, sage ich, daß fortwährend Wasseradern von den hohen Rändern in den Abgrund hinabtriefen. Nach anhaltendem Regen oder nach Gewittern sind es zahllose Wasserfälle, die hinabstäuben. Die Klamm in diesem Zustande zu sehen, gehört zu den angenehmsten Reiseerfahrungen. Ein anderes Gesicht nimmt sie im Winter an. Die hervorsickernden Wasser gefrieren, die darüber hinträufenden gefrieren wieder, und so setzen sich allgemach Eiswülste von großer Pracht an. Sie sind oben, wo sie sich um das Ufer des Abgrundes biegen, am dicksten und enden ein paar Dutzend Klafter weiter unten in einer Menge von grünblauen Spitzen, die in die Nacht hinabzüngeln.

Schon die Einbildungskraft sagt Jedem, daß diese starren Gebilde ein schönes Schaustück darstellen müssen. Indessen muß man den Schlund in diesem Zustande doch gesehen haben, um sich eine gute Vorstellung davon zu machen. Drei Zeiten insbesondere sind schön, um die Eisbogen über den nächtlichen Wassern zu betrachten.

Zuerst der Mittag. Denn um die Zeit des Jahres, in welcher die todten grünen Wasserfälle hängen, kommt die Sonne nur auf wenige Augenblicke, um Mittag, in die Klamm. Dann muß man auf der erwähnten Brücke stehen und sich des Gegensatzes freuen, in welchem die vom Strahl getroffenen obersten Eiswülste am Rande blenden, während ihre spitzigen Enden mit Wasser und Gestein in gleichförmiger Nacht versteckt bleiben. – Sodann die Mondnacht. Nur hier und dort hängt eine Scheibe des gelben Lichtes an den Wänden. Manchmal flirrt der Strahl am Eise in der Tiefe, während die hohe Wulstung oben beschattet bleibt. Dann scheint ein Schatz „heraufzublühen“, wie in den Geheimnissen der Johannisnacht. Felsen und Eis sind mit dünnem Schnee angestäubt, den der Zugwind der Klamm von den Bäumen streift. Dieses Weiß steht sanft im Mondlichte da,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_051.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)