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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Alexander von Humboldt mit seiner geharnischten Rede gegen Sclaverei, Boieldieu, Rossini, Scribe, Gérard und nicht zu vergessen Beranger – alle diese Geistesrichtungen, alle diese Lichter fließen jetzt für uns in eine große einheitliche elektrische Batterie zusammen, welche sich schon 1830 in verschiedenen Zuckungen entlud und hernach, durch neue Zersetzungen und elektrische Umwandlungen verstärkt, ungestüm und zum Theil brutal über Gerechte und Ungerechte, alles Bestehende erschütternd losbrach. Viel Knechtschaft ward zertrümmert, aber auch viel guter, historischer Boden verwüstet. Die Geister, welche unbewußt für Verstärkung dieser Batterie arbeiteten, erschraken vor deren endlich ausgebrochener Wirkung und wandten sich mit Entsetzen ab. So ging es auch unserem Holtei. Wir verstehen ihn und seines Gleichen jetzt. Diese Wirkung sollten Kunst, Poesie, Idealität nicht haben. Ganz richtig. Wir hoffen immer noch, daß die Verwüstungen auf dem geschichtlichen Boden, der Bruch in unserer Culturentwicklung nur eben die Nothwendigkeit des Aufräumens geltend machten. Nun bauen wir schon längst wieder auf. Freilich ist mancher Grund unsicher, mancher Tempel mißrathen oder voller Abgötterei. Aber die Geister der Wahrheit und Schönheit leben noch und wirken noch, und unter ihnen ist ja wohl auch schon der Heiland mit der Geißel, womit er die Wucherer und Wechsler aus den Tempeln vertreiben wird. –

In dieser Richtung müssen die alten Helden und ihre Knappen ihren Trost während trüber Tage und schlafloser Nächte suchen.

Und dem alten, weißen Dichtervagabunden des Jahrhunderts möchten wir zu seinem Geburtstage noch recht eindringlich rathen, sich, wenn er sich allein zu schwach fühlt, an die unsterblichen Geister zu halten, mit denen er durch dieses Jahrhundert hindurch strebte, aß und trank und fröhlich war, an seine im Volke lebenden Dichtungen, an die „Stimmen des Waldes“ und zuletzt an die frommen Wünsche, womit er seine schlesischen Gedichte schließt. Wohl möchte er haben „vum Uckse de Kraft, vum Löwe den Mutt“ etc.,

„Oder’sch kan nu nich sein,
Und do find’ ihch mihch ’nein,
Und ihch bleib’ wie ihch bihn,
Und’s muhß haldich ooch giehn.“

H. Beta.



Was in der tiefen Klamm vorgeht.
Von Heinrich Noë.
(Mit Abbildung.)

In allen Büchern, welche das baierische Hochland schildern, wird des Wasserabgrundes, der „Klamm“ Erwähnung gethan, in welcher die Partnach, der aus hohen Kalkfirnen abtriefende Bergstrom, sich eine Bahn durch den vorgelagerten Schiefer gebrochen hat. Die Meisten werden durch diese „Klamm“, sei es in Wirklichkeit oder nur in der Druckerschwärze, zu Empfindungen des Staunens fortgerissen. Andere, welche viele solche Klammen gesehen haben, behaupten, die Partnachklamm habe vor anderen Schlünden, durch welche sich reißende Wasser hindurchkämpfen, nichts Besonderes voraus, als etwa die bequemen Steige, die hindurchgehen, und selbst diesen Vorzug theile sie mit mehreren derartigen Schaustücken, insbesondere der Unkener-, der Seisenbergklamm und anderen.

Wer Recht hat, die eindrucksfähigen Fremdlinge oder die fast blasirten Hausgenossen der Berge, das untersuche ich nicht, weil auch in der Abschätzung der Landschaft der gute römische Satz gelten soll, daß man über den Geschmack nicht streitet. Fern von mir sei, zur Vermehrung der Enthusiasten beitragen zu wollen, von welchen es in unserer sinnigen Zeit wimmelt, insbesondere während der drei Gasthof-Monate, so daß man glauben sollte, die ganze schreibende, rechnende und gründende Menschheit sei von einem buddhistischen Raptus überfallen worden und „versenke“ sich in’s Innere des großen Lotos.

Ich begnüge mich, Einiges zu beschreiben, was in diesem durchdonnerten Abgrund vorgeht und für die Welt noch nicht da ist, weil man es nicht liest. Nach dieser Einleitung gehe ich zur Sache über.

Zu Partenkirchen und Garmisch giebt es Leute, welchen der Förster das Holz, das sie für ihr Hauswesen zu beziehen ein Recht haben, in den Waldungen anweist, die jenseits der malerischen Klamm gelegen sind. Im wipfelsummenden Hinter-Rainthal, im Schachenwald, über dem am Rande grauer Schrofen unweit der Schneegrenze der junge Baiernfürst in maurischer Villa haust, in der „Bodenlehn“, im Hagenrain und anderen wilden Orten stehen die Fichten, welche den Holzberechtigten bezeichnet werden, daß sie dieselben abschlagen und nach ihrem Gutdünken verwenden dürfen. So ist es überall in unsern Bergen: das Amt weist den Leuten das Holz an, das sie brauchen, und überläßt es ihnen, die Stämme oder Scheiter weiter zu schaffen.

Zu jenen Wildnissen nun, über welchen die unnahbare „Dreithorspitze“ thront, giebt es von den beiden genannten Orten her keinen andern Zugang, als eben durch die besagte Klamm, einen Felsschlund, der zweihundert Fuß tief in das Schiefergestein eingeschnitten und an vielen Stellen nur so breit ist, daß ein Springer darüber zu setzen vermöchte. Wohl ist auf dem südlichen Hochrand der Klamm ein Fahrweg angelegt worden, auf welchem man in’s Rainthal gelangt, aber von der Benutzung desselben zum Weiterschaffen des Holzes kann da keine Rede sein, wo ein reißendes Bergwasser zu Thal zieht und wohlfeil die ihm anvertrauten Frachten mitschleppt.

Die Bauern werfen also dort oben ihr Holz in die Partnach; auf der Partnach schwimmt es weiter und gelangt mit ihr in die Felsenengen. In den Felsenengen staut sich das Wasser und staut sich das Holz. Das erstere kämpft sich durch; das zweite thürmt sich auf, von Nachzüglern gedrängt.

Wenn der Kukuk im Bergwald schreit und die blauen Gentianen auf den Wiesen stehen, das heißt im Mai und Brachmonat, da gehen die Förster im Wald umher und zeigen den Leuten das Holz, das ihnen zu schlagen erlaubt wird. Der Juli geht darüber hin, bis die Stämme zerkleinert, „gemacht“ sind. Dann schafft man sie an’s Wasser, an’s Gestade der Partnach, wo sie vorerst in unregelmäßigen Stößen aufgeschichtet werden, bis der Stand des Flusses so günstig erscheint, daß man ihm die Fichtenscheiter (Buchenholz ist nur sehr wenig darunter) anvertrauen will. Diejenigen, denen das Loos ihr Holz im hohen Schachen- oder Stuibenwald zugewiesen hat, werfen es von dort herab. Die bekannten Prügelbahnen, Holzrissen, lohnen nicht der Mühe – die Scheiter kollern in einfachen „Würfen“ zum Wasser herab.

Da in den Wellen der Partnach die Hölzer verschiedener Eigenthümer vom ungeschulten Wasser gesetzwidrig durcheinander geworfen werden, so ist es nothwendig dieselben zu zeichnen. Das geschieht ohne Anstrengung der Einbildungskraft vermittelst eingehauener Striche, Kreuze, oft auch nur durch Röthel an den Schnittflächen, insbesondere bei Rundlingen. Es kommt vor, daß die Leute, denen das Holz gehört, durch andere Beschäftigungen abgehalten werden, sich gerade im Juli um das Zubereiten desselben zu bekümmern, und erst in den spätern Herbstmonaten dazu kommen, zu hacken, zu sägen und abzuwerfen.

Als Regel gilt der Monat August für die Zeit zum Triften oder „Holzrennen“. Die Scheiterhaufen stehen, durch die Kunst der Fäller wohl unter einander ausgezeichnet, am Rande des Bergstroms und warten auf die Reise kopfüber, durch Gischt und Strudel, die ihnen bevorsteht.

Zur Festsetzung des Reiseanfangs ist das Wetter da. Regnet es sehr stark und ist ein mächtiges Anschwellen des Wassers voraussichtlich, so unterläßt man es, aus Besorgniß, die aufgestaute Fluth mit ihrer Scheiterlast könnte draußen bei Partenkirchen den Holzrechen durchreißen, der die Ankömmlinge aufhalten soll. Dagegen darf auch kein jähes Fallen des Wassers vorhergesehen werden – denn die Fluth, die plötzlich sinkt, läßt ihre Hölzer auf Schotterbänken, Felsenkanten, in Aushöhlungen und Rissen nachlässig liegen. Ist Schnee auf den Bergen gefallen, so wird deshalb das Triftwasser als im allerschlechtesten Zustande befindlich erachtet – denn bei der Kälte fließen die Adern dort oben schlecht. Geraten deshalb jene verspäteten Trifter in den October hinein und sie gewahren an einem Morgen die Kalkschrofen silberglänzend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_050.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)