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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Ich kann nicht unterlassen, hierbei darauf hinzuweisen, mit welch feinem Naturgefühl Murillo meistens die Höfe um die Köpfe seiner im dichten Gewölk schwebenden Madonnen dargestellt hat. Selbst die mehrfachen concentrischen Kreise des natürlichen Phänomens finden sich schön ausgedrückt in der bekannten „Madone au miroir“ in Paris.

Was die physikalische Erklärung der letzteren Erscheinung anbelangt, so ist dieselbe etwas zusammengesetzter Art, und ich kann nicht beanspruchen, daß der Leser einer genauen und erschöpfenden Analyse des Phänomens an dieser Stelle folgen solle. Nur die allgemeineren Umrisse will ich andeuten. Ich erinnere an das Auftreten ähnlicher vielfarbiger Ringhöfe um Sonne und Mond, wenn Nebel oder dünne Wolken bei ihnen vorüberziehen. Durch sogenannte Beugung der Lichtstrahlen bei ihrem Vorbeigehen an den Rändern der kleinen Dunstbläschen findet nämlich eine Zerlegung des weißen Lichtes in die dasselbe zusammensetzenden farbigen Strahlen statt, wie ein Aehnliches durch die Brechung in Wassertröpfchen beim Regenbogen geschieht. Nun ist es bei einigem Nachdenken ohne Weiteres klar, daß die Bedingungen für das Auftreten derselben Farbe sich an lauter Punkten finden werden, die rings von dem leuchtenden Gestirn gleichweit entfernt, also in einem Kreise um dasselbe liegen. Dadurch entstehen für den Beobachter gefärbte Ringe, die einander (da die Bedingungen, wenn auch für die verschiedenen Farben in umgekehrter Reihenfolge, bei verschiedenen Entfernungen wiederkehren) umschließen, und es ist durch Rechnung bald zu erweisen, daß diese Farbenkreise um so größer ausfallen müssen, je kleiner die vorhandenen Dunstbläschen sind, und umgekehrt. Dieses Phänomen würde viel häufiger um Sonne und Mond beobachtet werden, wenn nicht, wie aus dem Ebengesagten schon hervorgeht, zur Hervorbringung desselben eine gewisse selten vorhandene Uebereinstimmung in der Größe der Nebelbläschen erforderlich wäre, da bei der Mischung zahlreicherer Farbenkreise eine gegenseitge Störung des Effects eintritt. Man kann ähnliche Höfe sehen, wenn man durch eine mit sehr feinen Wassertröpfchen beschlagene Brille, oder durch ein dünn mit Bärlappsamen bestreutes Glas nach einem hellbrennenden Lichte blickt.

Fraunhofer, welchem wir die genauesten Untersuchungen über diese Classe von Beugungserscheinungen verdanken, hat nachgewiesen, daß dieselben Bedingungen auch jene farbigen Ringhöfe um die Schatten auf Nebelgrunde hervorbringen. Erinnern wir uns aus der Erklärung des Heiligenscheins im Thau, daß die direct von der Sonne kommenden Strahlen nur dann in den Thautröpfchen (hier Dunstbläschen) von der vordern und innern hintern Fläche zugleich reflectirt werden, wenn sie durch den Mittelpunkt dieser Kügelchen gehen, so leuchtet ein, daß ein Gleiches für die durch die Nebelbläschen gebeugten Strahlen gelten wird. Diejenigen farbig werdenden Strahlen also, welche an den dem Kopfe des Beschauers zunächst liegenden Dunstkügelchen gebeugt werden, kehren auf demselben Wege zurück, und treffen den Beobachter so, daß er in demselben Abstande von seinem Kopfschatten farbige Ringhöfe sieht, wie dieselben dem Schattenmann um das leuchtende Gestirn erscheinen würden. In noch häufigeren Fällen werden diese Höfe erst durch Beugung der von der Spiegelsonne zurückkehrenden Strahlen entstehen.

Alle diese Erscheinungen vermag natürlich ein Jeder nur um den Schatten seines eigenen Kopfes, und nicht um den seines Gefährten zu sehen, ebensowohl wie jeder Beobachter seinen eigenen Regenbogen sozusagen mit sich herumträgt. Denn auch der Regenbogen ist nichts als ein riesiger, durch Brechung entstandener Farbenschein, welcher den Kopfschatten des Beobachters umrahmt, und welcher nur selten (etwa auf hohen Bergen) als geschlossener Ring gesehen werden kann. Wenn ich bei Regenbogenschein mit der Eisenbahn von Berlin nach Potsdam fahre, und die vor mir sich ausbreitende Regenwand groß genug ist, so begleitet mich mein Regenbogen ebensowohl, wie der Lichtkreis um meinen Kopf, wenn ich ein halbes Stündchen im Morgenthau spazieren gehe. Man sieht, die Bedingungen, unter denen heiligenscheinartige Phänomene eintreten, sind mannigfach genug, und ich hoffe, es wird dem Leser nicht leid sein, dem Nimbus einmal so nahe getreten zu sein, daß er in eine optische Täuschung zerrann. Mit dem Scheine gar manches gefeierten Heiligen möchte es ähnlich ergehen, und gewiß hat einen guten Gehalt, was Liebetraut im Götz sagt: „Bei einer nähern Bekanntschaft mit den Herren schwindet der Nimbus von Ehrwürdigkeit und Heiligkeit, die eine nebelhafte Ferne um sie herumlügt, und dann sind sie ganz kleine Stümpfchen Unschlitt.“ – Es ist dasselbe alte Wort: „Keinen Heiligen hat sein Kammerdiener angebetet“. – Wie lange wird es noch dauern, bis das Zeugniß „fürwahr ein Mensch gewesen zu sein“ höher gelten wird, als aller nachentdeckte Schein der Heiligkeit?

Carus Sterne.




Meine Schuljahre.


Von Gottfried Kinkel.
(Geschrieben Winter 1849–50 im Gefängniß zu Naugardt.)
I.

Seit in der Gartenlaube vom verflossenen Jahre der Anfang meiner Selbstbiographie, nämlich die Geschichte meiner Kindheit, erschienen ist, haben viele Stimmen, von Freunden wie von Fremden, mir gesagt, daß man sich des heitern Tones darin freut, den auch die Kerkerluft nicht herunterstimmen konnte. Das ermuthigt mich, mit einem zweiten Capitel hervorzutreten. Ohne jene mir octroyirte Muße hätte ich gewiß nie daran gedacht, mein Leben zu schreiben. Jetzt freut es mich doch, daß es damals soweit geschehen ist; denn es ist über mich bei lebendigem Leibe so viel dummes Zeug, halb als thatsächliche Erzählung, halb als Romanschwindel in die Welt hinausgeschrieben worden, daß ich nicht wünschen kann, als ein so grob geschnitzter und roh angemalter Oelgötze auf die Nachwelt zu kommen. Wohl berührt mich meine eigene Handschrift aus dem Gefängniß mit ihrer ausgeblaßten Tinte auch oft fremdartig, da so Mancher schon geschieden ist, von dem ich damals als einem Lebenden lustige Sachen erzählte, während wieder mein ältester Sohn, den ich 1849 als ein schwächliches Kind bezeichnete, heute kerngesund, ein kräftiger Mann und thätiger College, uns zum Sonntags-Roastbeef besucht. Allein wollte ich an jenen Aufzeichnungen etwas ändern, so möchten sie von dem Werthe, den die Leser ihnen beizulegen scheinen, ein Wesentliches verlieren; denn daß sie so, wie sie sind, eben im Gefängniß niedergeschrieben wurden, das giebt ihnen einen Charakter, den spätere Zusätze und Nachbesserungen nur beeinträchtigen könnten. Ich will mich daher auch gar nicht darüber entschuldigen, daß ich mit so strenger Wahrheit über Eltern, Verwandte, Lehrer geschrieben habe; denn Selbstbekenntnisse (und jede Selbstbiographie ist eine Confession) gewinnen einen Werth überhaupt nur durch unbestochene Wahrhaftigkeit.

Nachdem ich daher im ersten Capitel berichtet habe, wie meine reiche und phantasievolle Jugend am Fuße des Siebengebirges in dem schönen Oberkassel verfloß und wie ich mit neun Jahren für die lateinische Schule reif war, will ich jetzt getreu mit den Worten des in Naugardt niedergeschriebenen Originals, das hier vor mir liegt, den Lesern der Gartenlaube meine Schuljahre erzählen.


In der Aufnahmeprüfung für das Gymnasium in Bonn bestand ich recht gut und hätte, wie man meinem Vater sagte, in Tertia eintreten können. Da ich aber so sehr jung und es gerade Ostern war, setzte man mich erst für ein halbes Jahr in Quarta, wo ich immer noch einer der kleinsten Schüler blieb. Ich wohnte im Hause des Gerichtsvollziehers Bücheler, das sehr freundlich an dem lindenbepflanzten Münsterplatze liegt, und habe mich mit den Hausleuten so wohl vertragen, daß ich bis zum Bezuge der Universität mein Quartier nicht wechselte. Der Hausvater sowohl als seine Frau waren herzgute Leute, und bei meiner anschmiegsamen Natur wurde ich bald als das jüngste Kind im Hause betrachtet und behandelt. Ich lebte ganz in der Familie und speiste am Tische des Hauses; nach alter Bürgersitte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_044.JPG&oldid=- (Version vom 22.2.2020)