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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Berkow blieb überrascht stehen. „Weshalb nicht?“

„Weil eben dieser Hartmann es war, der die Pferde vor unserem Wagen aufhielt und uns dadurch vom sicheren Tode rettete.“

Berkow ließ einen unterdrückten Ausruf des Zornes hören. „Fatal! Mußte es auch grade dieser Mensch sein! Ja freilich, da kann man ihn nicht so ohne Weiteres fortschicken; man wird eine Gelegenheit abwarten müssen. Uebrigens, Arthur,“ er blickte finster auf seinen Sohn hin, „es war auch arg, daß ich erst durch Fremde von jenem Unfall erfahren mußte; Du hieltest es nicht der Mühe werth, mir auch nur ein Wort darüber zu schreiben.“

„Wozu?“ Der junge Mann stützte müde den Kopf in die Hand. „Die Sache ging ja glücklich vorüber, und überdies hat man uns hier nahezu umgebracht mit Beileidsbezeigungen, Glückwünschen, Fragen und Redereien darüber. Ich finde, das Leben ist gar nicht so viel werth, um von seiner Rettung ein solches Aufheben zu machen.“

„Findest Du das?“ fragte der Vater ihn fixirend. „Ich dächte, Du wärest am Tage vorher getraut worden.“

Arthur antwortete nicht; er zuckte nur die Achseln. Berkow’s Auge heftete sich noch forschender auf seine Züge.

„Da wir einmal bei dem Punkte angekommen sind – was ist das zwischen Dir und Deiner Frau?“ fragte er plötzlich rasch und ohne allen Uebergang.

„Zwischen mir und meiner Frau?“ wiederholte Arthur, als müsse er sich erst besinnen, von wem eigentlich die Rede sei.

„Ja, zwischen Euch Beiden. Ich denke ein junges Ehepaar in seinen Flitterwochen zu überraschen und finde hier Dinge, von denen ich mir in der Residenz wahrhaftig nichts träumen ließ. Du reitest allein und sie fährt allein; Keiner von Euch betritt je des Anderen Zimmer. Ihr vermeidet einander absichtlich und wenn Ihr Euch einmal trefft, so werden keine sechs Worte gesprochen – was soll das alles heißen?“


(Fortsetzung folgt.)




Der Heiligenschein.


Den meisten Culturvölkern ist es gemeinsam, den menschlichen Geist als ein Lichthaftes und Erleuchtendes aufzufassen, welches bei bevorzugten Köpfen Strahlen werfen und Licht verbreiten könne über seine Umgebung und die ganze Welt. Mancherlei alltägliche Redensarten, von großen Lichtern der Wissenschaft, vom Leuchtenlassen seines Lichtes, vom Stellen unter den Scheffel etc., zeigen, wie sehr diese Vorstellungsweise in Fleisch und Blut übergegangen. Und wir greifen daher schwerlich fehl, wenn wir nur die bildliche Darstellung einer gewissen Ueberfülle der inneren Helle der Weisheit in dem Lichtscheine vermuthen, mit welchem die Künstler alter und neuer Völker das Haupt ihrer Götter, Heiligen und Heroen umgeben. Es scheint wenigstens den Inhalt dieses Symbols keineswegs zu erschöpfen, wenn Grimm gelegentlich ausspricht, es solle nur das höchste Maß leuchtender Schönheit damit ausgedrückt werden.

Vergangene und herrschende Religionen wetteifern in der Anwendung dieses Verherrlichungsmittels für die Abbilder der von ihnen verehrten Wesen. Häufig finden wir den Gebrauch des Heiligenscheins in den indischen Urreligionen, seltener bei den späteren asiatischen und afrikanischen Völkern, sowie bei den Griechen. Die Römer wandten ihn anfänglich spärlich, später oft an. Niemals vorher oder nachher fand aber der Heiligenschein eine so ausgedehnte Anwendung, als in dem ersten Jahrtausend der christlichen Kirche.

Wenn wir auf den Reichthum bildlicher Darstellungen des Heiligenscheines blicken, so wird es uns schwer zu glauben, daß mit alledem nur der Ausdruck einer weitverbreiteten Idee beabsichtigt sein sollte; unwillkürlich drängt sich die Vorstellung auf, es müßten wirklich beobachtende Erscheinungen nähern Anlaß dazu gegeben haben. Und diese Annahme ist denn auch höchst wahrscheinlich die richtige. Wir erwähnen im Vorübergehen jener häufig beobachteten elektrischen Umleuchtung des Kopfes bei Gewitterstürmen, welche durch ausströmende Elektricität hervorgebracht wird. Die verklärende Beleuchtung, welche die untergehende Sonne einem auf hoher Bergspitze stehenden Menschen verleiht, kann zu ähnlichen Sagen Veranlassung gegeben haben. Herodian erzählt, bei der Schönheit des Kaiser Commodus verweilend, daß sein goldgelbes, natürlich gelocktes Haar, wenn er in der Sonne ging, eine solchen Glanz verbreitete, daß die Einen meinten, es sei mit Goldstaub gepudert, während Andere voller Staunen glaubten, „es umgebe sein Haupt von Natur ein himmlischer Glanz“. Doch wir haben von Erscheinungen zu sprechen, welche noch unmittelbarer hierher gehören.

Man kann zunächst das Haupt einer vorübergehenden Person, besonders wenn sie schwarzes Haar hat, in Folge einer leichten Reizung der Netzhaut, mit einem Heiligenscheine umgeben erblicken. Es ist dies eine subjective Augentäuschung, welche bei einiger Anlage dazu in der Dämmerung alle sich bewegenden Gegenstände mit hellen oder farbigen Säumen umgeben kann. Auf die Worte, welche Faust beim ersten Erblicken des in einen Hund verwandelten Mephisto an Wagner richtet:

Bemerkst Du, wie in weitem Schneckenkreise
Er um uns her und immer näher jagt?
Und irr’ ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
Auf seinen Pfaden hinterdrein –

erwidert der altkluge Famulus nicht ungeschickt:

Ich sehe nichts, als einen schwarzen Pudel,
Es mag bei Euch wohl Augentäuschung sein.

Goethe selbst erklärt in Bezug auf die eben mitgetheilten Verse, er habe sie im halben Bewußtsein einer Naturerscheinung niedergeschrieben, doch erst später einmal vor seinem Fenster im gemäßigten Abendlichte einen schwarzen Pudel vorbeilaufen sehen, welcher einen hellen Streif, das undeutliche im Auge gebliebene Ergänzungsbild seiner vorübereilenden Gestalt, nach sich gezogen habe. – Unter Umständen vermag ein solcher Lichtsaum eine nicht unbeträchtliche Helligkeit zu erlangen. Wir könnten von Linné ab eine ganze Reihe bewährter Naturforscher aufführen, welche insgesammt behaupten, einen hellen, bläulichen, für elektrisch gehaltenen Lichtschein um die Kronen verschiedener orangefarbener Blumen wahrgenommen zu haben, während es kaum einem Zweifel unterliegt, daß sie sämmtlich nur der erwähnten Augentäuschung verfallen sind.

Es wird uns nach dem Gesagten nicht schwer werden, Goethe ferner zu glauben, wenn er berichtet: „Indem ich, auf dem Felde sitzend, mit einem Manne sprach, der in einiger Entfernung vor mir stand und einen grauen Himmel zum Hintergrunde hatte, so schien mir, nachdem ich ihn lange scharf und unverwandt angesehen, sein Haupt von einem blendenden Schein umgeben.“ Ich muß hinzufügen, daß zweierlei Umstände das Eintreten dieser Erscheinung sehr befördern, nämlich eine gewisse gespannte Aufmerksamkeit auf die betreffende Person und dann auch die Absicht, das Ungewöhnliche zu sehen. So beklagte sich einst Schiller geradezu gegen Goethe, daß er ihn mit seiner Nachbilderseherei angesteckt habe; er sähe sie, seit er darauf aufmerksam geworden sei, überall und bis zur Qual. Im vorliegenden Falle wird übrigens der lichte Schein nicht den Kopf allein, sondern mehr oder weniger die ganze Gestalt umfließen.

Weit auffallender und wichtiger ist eine oft beobachtete und schon dem Aristoteles bekannte Form des Heiligenscheins, welche man bei niedrigem Stande der Sonne oder des Vollmonds rings um den Kopf des eigenen Schattens bemerkt, wenn derselbe auf feuchtes oder besser stark bethautes Gras oder Getreide fällt. Man beobachtet alsdann einen hellen Hof, der sich über den Scheitel kegelförmig verlängert und mit deutlichem Glanze von dem übrigen doch ebenfalls erleuchteten Grunde abhebt. Bei recht feintröpfigem Thau ist der Schimmer ungewöhnlich lebhaft. Spierenberg, welcher die Erscheinung einmal bei Vollmondschein in besonderer Pracht wahrnahm, sagt, das feinblättrige Gesträuch, auf welches sein Schatten gefallen sei, habe im Umkreise des Kopfes ausgesehen, als sei es dort mit weißen Blüthen übersäet.

Dieser helle Hof entsteht durch die Zurückwerfung der Lichtstrahlen theils von den Thautropfen, theils von den spiegelnden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_042.JPG&oldid=- (Version vom 13.5.2018)