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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


geschrieen haben. Einen Widerruf lehnte er jedoch beharrlich ab. Am Tage nach dem Urtheil prasselten auf der Anhöhe Charpel bei Genf die Flammen, welche einen alleinstehenden Forscher verzehrten, um, wie die Menschenverbrenner wähnten, der Welt zu beweisen, daß Drei gleich Eins und Eins gleich Drei sei. –

Calvin hatte durch seine inquisitorische Unthat wenigstens das erreicht, in Genf ungestört bis an sein Lebensende herrschen zu können und in seiner Eigenschaft als Papst der an die Gnadenwahl Glaubenden keinen Widerspruch zu erfahren. Er erlebte den Triumph, daß die Nachfolger Luther’s und Zwingli’s, Melanchthon und Bullinger, ihm zur Beseitigung des Ketzers Glück wünschten. Dagegen verurtheilten dessen Verbrennung mit scharfen Worten die unabhängigen Theologen Castellio, Socinus, Celsus und de Thou. Der Erstgenannte war selbst um seinem Grundsätze willen von Calvin als Rector des Collegiums zu Genf vertrieben worden.

Ueber ganz Europa spannte Calvin seine Netze, um Seelen für sein Dogma zu gewinnen. Der Reformator Schottlands, John Knox, wurde sein Schüler und verpflanzte seine Grundsätze nach dem Norden Britanniens, wo die presbyterianische Kirche eine Tochter der calvinischen wurde. Daher die auffallende Aehnlichkeit in dem fanatischen Treiben der englischen Rundköpfe mit demjenigen der Anhänger Calvin’s in Genf. Zu Frankfurt am Main vermittelte Letzterer persönlich zwischen den wegen ihrer Liturgie uneinigen englischen und französischen Flüchtlingen. Dänemark und Schweden suchte er, jedoch umsonst, von Luther’s Seite auf die seinige herüberzuziehen. Er trat auch in Verbindung mit den protestantisch Gesinnten Polens, deren Bestrebungen aber nach seinem Tode vollständig scheiterten. Das Meiste indessen that er in Bezug auf Frankreich. Er war der Leiter und Berather der Hugenotten und legte den Grund zu allen ihren Erfolgen; aber sein eigentlicher Plan, in Frankreich mit seiner Lehre den Katholicismus zu schlagen, mißglückte. Seine Wirksamkeit – und das ist die eigentliche Nemesis seines Treibens – führte zu nichts, als zu einem dreißigjährigen Bürgerkrieg, und nachdem er, der Schuldige, ruhig in seinem Bette gestorben, wurden, acht Jahre später, seine unschuldigen Anhänger zu Paris in der Bartholomäusnacht von den Jesuitenknechten niedergemacht.

Heute kann sein ganzes Wirken als völlig erfolglos betrachtet werden. Schwerlich glaubt mehr Jemand im Ernste an seinen Wahn der Gnadenwahl; in seinem Genf haben die verschiedensten Ansichten, vom äußersten Radicalismus und Nihilismus bis zum infallibeln Ultramontanismus eines Mermillod, ihre Anhänger, und die von ihm zum Zwecke der Pflege seiner Dogmatik gestiftete Akademie ist eine gefeierte Schule der Wissenschaft und eine Stätte der freiesten Forschung geworden. Nur Eines fehlte bisher noch: die allgemeine Anerkennung, daß Calvin mit einem Torquemada, Ximenes und den übrigen spanischen Großinquisitoren auf eine Stufe gesetzt werden muß, und das verdient sein fanatischer Glaubenseifer sowohl, als seine Rücksichtslosigkeit in der Wahl der Mittel zum Zwecke – während sowohl seinem Charakter, als demjenigen der genannten Spanier die Gerechtigkeit schuldig ist zuzugeben, daß er, abgesehen von Glaubenssachen, ein reiner und nach Wahrheit strebender, aber auf falsche Bahnen gerathener war.

Dr. O. Henne-Am Rhyn.




Aus der Mappe eines Künstlers.


Wenn der Landschaftsmaler durch Flur und Wald streift, um Motive für seinen Pinsel zu suchen, und wenn er solche endlich gefunden hat und dann Stunden lang auf einem lauschigen Plätzchen sitzt, um die Töne von Himmel und Erde, Wald und Flur zu studiren – wie oft tritt dann die Versuchung an ihn heran, Blicke in eine Welt zu thun, die mit seinem Studium zwar nur indirect zusammenhängt, aber es zu vertiefen und zu vervollkommnen in hohem Grade geeignet ist – in die Thierwelt. Gestatten Sie mir heute, Ihren Lesern einen solchen Blick in das Privatleben der Thierwelt zu eröffnen!

Es war an einem Sommerabende – die Sonne schickte sich an, glühend roth im Westen zu verschwinden –, ich warf mich nieder in’s Getreide und sog nach einem heißen Tage entzückt die süßen erfrischenden Düfte ein, welche Erdreich und Pflanzen ausströmten. Der blaue Himmel, mit rosigen Wölkchen durchzogen, hing hoch oben, und dicht über meinem Haupte bückten sich und nickten die goldenen Aehren, daß ich traumselig und wie im leichten Schwindel die Augen schloß und lange, lange regungslos dalag.

Durch ein huschendes, sich öfter wiederholendes Geräusch wurde mein Ohr wieder empfänglich für äußere Eindrücke. Ich wandte den Kopf. Welch niedlicher, drolliger Anblick! Durch einen Spalt im Getreide, welcher durch geknickte Aehren entstanden war, sah ich auf einer kleinen von Korn entblößten Stelle mitten im wogenden Halmenmeere eine Hamsterfamilie ihr Wesen treiben. Diese kleinen Gesellen hatten mich stets interessirt, ihr Muth hatte mir oft imponirt, wenn ich sie mit einem Stocke verfolgte, oder der kleine Affenpinscher, welcher mich häufig zu begleiten pflegt, sie angriff. Hat man einmal ihren Zorn gereizt, so ist ihnen die Größe ihres Gegners gleichgültig. Sie setzen sich muthig zur Wehr, heben sich auf ihre Hinterfüße und lassen die Vorderpfoten, welche kleinen rosigen Händen gleichen, herabhängen, indem sie ihren Feind starr mit den runden, glänzenden Augen betrachten. Doch zur Familienscene zurück!

Frau Hamster saß hart am Rande des Getreides und nährte ihre Jungen, welche schon recht groß waren, sich putzten, auch die mütterliche Nahrung zuweilen mit einem Körnchen vertauschten, welches sie, zierlich in den Vorderpfötchen haltend, verknabberten. Die Mama war, während sie ihre Mutterpflichten erfüllte, auch noch thätig für den Haushalt. Sie bog mit den Händchen die hohen Halme sehr geschickt nieder und biß mit den scharfen Zähnen die Aehren ab. Als sie eine Anzahl beisammen hatte, begann sie die Körner mit großer Schnelligkeit zu enthülsen und schlüpfte, als die Maultaschen voll waren, in die Wohnung. Bald kam sie indessen wieder hervor und zwar mit Papa Hamster, der ihr in der Arbeit half, aber auch manches Körnchen in komischer Hast verzehrte. – Man sagt, daß diese Gesellen vier bis fünf Metzen Getreide in einem Herbste sich aufspeichern, und wenn man bedenkt, daß es gerade bei uns im Harz und in Thüringen viele Tausende dieser Thiere giebt, so kann man leicht berechnen, daß der Schaden, den sie anrichten, ein bedeutender ist!

Plötzlich wurden die beobachteten Hamster unruhig, und husch! fuhr die ganze Sippe theils in die Schlupflöcher, theils in’s dichte Getreide. – Ich hob mich fast ärgerlich in die Höhe, um zu erspähen, was hier störend eingewirkt, und erblickte meinen Burschen, welcher angeschlendert kam, um meine Mal-Utensilien nach Hause zu tragen. Ich zeigte ihm den Hamsterbau und versprach ihm einige Thaler, wenn er mir die Familie einfinge. Der Bursche war, ob dieses silbernen Lohnes, gern zur bösen That bereit und erbat sich zu deren Ausführung nur ein Paar dicke wildlederne Handschuhe von mir. Der andere Morgen ward zur Ausführung bestimmt, und ich sagte ihm meine Betheiligung und Hülfe zu, da ich mir den Bau betrachten wollte. Nachdem wir vier Fuß tief gegraben, stießen wir auf eine Wohnung und zwei Getreide-Kammern. Während ich mir diese voll Interesse beschauete, setzte mein Bursche der Beute nach. Die Schlupflöcher hatte er mit Steinen verstopft, und wie verzweiflungsvolle Versuche auch Frau Hamster machte, sich einen neuen Weg zu bahnen, sie wurde mit ihren sieben Kindern, nach tapferer Gegenwehr, gefangen. – Die Wildledernen hatten nicht viel genützt; denn dem Burschen rieselte das Blut von den Händen.

Nachdem wir die Gesellschaft in einem großen Vogelbauer von Eisendraht untergebracht, durchstöberte ich nochmals die Wohnung meiner Gefangenen. Vater Hamster war nicht zu finden; er hatte das Weite gesucht, – aber diese kleine Häuslichkeit, wie war sie sauber und gemüthlich! Das Wohnzimmer war mit dem allerfeinsten Stroh und mit Hülsen so verschwenderisch ausgefüttert, daß man noch die runden Formen der kleinen Hamsterkörper darin entdecken konnte. Wie reichlich war schon das Getreide aufgespeichert, wie reinlich das Ganze gehalten!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_028.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)