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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 2.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf![1]
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Die Höhe herab, über die der Weg vom Dorfe hierher führte, kam oder flog vielmehr ein Wagen, dessen Pferde augenscheinlich im Durchgehen begriffen waren. Vermuthlich durch die Böllerschüsse scheu gemacht, stürmten sie in rasendem Laufe dahin, so daß der Wagen, auf dem unebenen Wege hin- und hergeschleudert, in größter Gefahr schwebte, entweder den jähen Abhang rechts hinabzustürzen, oder an den mächtigen Bäumen links zu zerschellen. Der Kutscher schien alle Geistesgegenwart verloren zu haben, er hatte die Zügel fahren lassen, und klammerte sich in Todesangst an seinen Sitz an, und vom Hügel drüben, wo man der Bäume wegen das Unglück, das man angerichtet, nicht wahrnehmen konnte, krachte noch immer Schuß auf Schuß, und spornte die entsetzten Thiere zu immer wilderem Jagen an. Das schreckliche Ende dieser rasenden Fahrt lag nur zu deutlich vor Augen; bei der Brücke unten kam unausbleiblich die Katastrophe.

Die am Hause Versammelten thaten, was eine größere Versammlung bei solcher Gelegenheit meist zu thun pflegt. Man schrie laut auf vor Schrecken, man lief rathlos und hülflos durcheinander, die so nothwendige Hülfe wirklich zu bringen, fiel Niemandem ein. Selbst von den Grubenarbeitern hatte im Moment, auf den doch hier Alles ankam, keiner den Muth oder die Geistesgegenwart, rasch einzuschreiten. Keiner außer Einem, der allein seine Besonnenheit nicht verlor. Die Gefahr in ihrer ganzen Größe mit einem Blicke überschauen, den Vater und die Cameraden zur Seite schleudern und hinausstürzen, war für Ulrich das Werk einer Minute. In drei Sprüngen hatte er die Brücke erreicht, ein Angstschrei Martha’s hallte ihm nach – zu spät, er hatte sich den Pferden bereits entgegen geworfen und fiel ihnen in die Zügel. Hochauf bäumten sich die erschreckten Thiere, aber anstatt inne zu halten, setzten sie zu neuem Laufe an und wollten ihn mit sich fortreißen. Jeder Andere wäre von ihnen geschleift und zertreten worden, aber Ulrich’s Riesenkraft gelang es, sie zu bändigen. Ein furchtbarer Ruck am Zügel, den er nicht losgelassen, zwang das eine der Rosse zum Sturze, es fiel und riß im Fallen auch das andere mit sich nieder – der Wagen stand.

Der junge Bergmann war an den Schlag getreten, in der sicheren Voraussetzung, die Insassen, zum Mindesten die Dame, in Ohnmacht zu finden. Seiner Auffassung nach war dies der gewöhnliche Zustand der Vornehmen, wenn ihnen irgend eine Gefahr nahe trat, aber nichts von alledem hier, wo, wenn irgendwo im Leben, doch wirklich einmal die Berechtigung zur Ohnmacht vorhanden war. Die junge Frau stand aufrecht im Wagen, sich mit beiden Händen krampfhaft an der Rücklehne festhaltend, ihre starren, weit geöffneten Augen waren noch auf den Abhang gerichtet, in dessen Tiefe die Fahrt wahrscheinlich in der nächsten Minute ein schreckliches Ende gefunden hätte, aber kein Laut, kein Angstschrei war über ihre festgeschlossenen Lippen gekommen. Bereit, wenn es zum Aeußersten kam, einen Sprung zu wagen, der ihr hier freilich unausbleiblichen Tod gebracht hätte, hatte sie dem Tode stumm und fest in’s Antlitz gesehen, und ihr Gesicht zeigte, daß sie es mit vollem Bewußtsein gethan.

Ulrich hatte sie rasch umfaßt und herausgehoben, denn die am Boden sich wild aufbäumenden und schlagenden Thiere brachten den Wagen immer noch in einige Gefahr. Es waren nur wenige Secunden, während er sie über die Brücke trug, aber während dieser Secunden hefteten sich die dunkeln Augen fest auf den Mann, der sich mit solcher Todesverachtung fast unter die Hufe ihrer Pferde geworfen, und sein Blick streifte das schöne blasse Antlitz, das der Gefahr so muthig Stand gehalten – vielleicht war es dem jungen Bergmann gar zu ungewohnt, auf einmal ein weiches schillerndes Seidengewand im Arme, und sich von dem weißen luftigen Schleier umweht zu fühlen, der über seiner Schulter flatterte, ein Ausdruck der Verwirrung glitt über seine Züge, und hastig, beinahe ungestüm, setzte er die Dame drüben nieder.

Eugenie zitterte noch leise, als ihre Lippen sich zu einem tiefen freien Athemzuge öffneten, das war aber auch das einzige Zeichen der überstandenen Angst.

„Ich – ich danke Ihnen! Sehen Sie nach Herrn Berkow!“

Ulrich, der bereits im Begriff stand, dies zu thun, hielt befremdet inne. „Sehen Sie nach Herrn Berkow“, sagte die junge Frau, in einem Momente, wo jede angstvoll den Namen ihres Mannes gerufen hätte, und sie sagte es sehr kühl, sehr ruhig; eine Ahnung von dem, was die Herren an der Terrasse vorhin so ausführlich besprochen, dämmerte in dem jungen Bergmanne auf, er wandte sich um und ging nach „Herrn Berkow“ zu sehen.

Dieser bedurfte indessen seines Beistandes nicht mehr; er war bereits allein ausgestiegen und herübergekommen. Arthur Berkow hatte auch bei dieser Katastrophe seine passiv gleichgültige Natur nicht verleugnet. Als die Gefahr so unvermuthet hereinbrach und seine junge Gattin Miene machte, aus dem Wagen zu springen, hatte er nur die Hand auf ihren Arm gelegt und leise gesagt: „Bleib’ sitzen, Eugenie! Du bist verloren, wenn Du den

  1. Dramatisirung und Uebersetzungsrecht sind vorbehalten. D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_021.JPG&oldid=- (Version vom 28.5.2018)