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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Zwei Schwindlerinnen. Reisende, die über Augsburg nach München fahren, bemerken, ehe sie an unsere erzbischöfliche Metropole anfahren, linker Hand ein fernes Hochplateau mit einem sich namentlich bei Abendbeleuchtung sauber ausnehmenden Gemäuer. Es ist ein Ueberbleibsel des Schlosses Dachau, an dessen Terrassengeländen noch jetzt für die Hoftafel das feinste Obst gezogen wird. Der noch stehende Schloßflügel enthält einige wenige prakticable Localitäten, darunter einen Saal, dessen schöner Holzplafond zwar in’s Nationalmuseum gewandert ist, der aber vermöge seiner herrlichen Aussicht immer noch Anziehungskraft genug besitzt, den Prinzen Adalbert hier und da zur Einnahme eines Mittagsmahles in seinem verwaisten Raume zu veranlassen. Dieser conservativ gesinnte, mit einer spanischen Bourbonin vermählte, im Uebrigen aber sehr wohlwollende und in Sprachen und Musik bewanderte Herr wiegt sich nicht ungern in Erinnerungen an bessere Fürstenzeiten. Den Berg hinan führt eine von Karl Theodor „Commodo itinerantium“ (zum Nutzen der Reisenden) erbaute, gleichwohl wegen ihrer „zügigen Länge“ bei Fuhrleuten und Postgäulen in schlechtem Rufe stehende Straße. Wir gelangen auf ihr zunächst in den freundlichen, wohlhabenden Markt Dachau, dessen Gasthaus zur Post jahrelang durch guten billigen Tisch die intelligenten Münchener anzog.

Am Fuße des Dachauer Berges eilt die Amper vorüber, ein häufig floßbares, fischreiches, schön gefärbtes und, wie alle Verwandten der Isar, ziemlich ungezogenes Wasser. Spaziert man an demselben nur zwei Stunden aufwärts, so eröffnet sich die Brucker Gegend, in welcher vor zehn Jahren die sogenannte Schneiderprinzessin ihr Wesen trieb. Dieselbe wollte im Niederländischen in einer mit Kronen geschmückten Wiege gelegen haben, aber gegen einen plebejischen Homunculus (elendes Menschlein) ausgetauscht worden sein. Das Factum kam erst an den Tag, als die edle Verwechselte bereits an einen Schneider verheiratet war.

Gleichwohl gelang es ihr, Personen des höchsten Adels ihre Ebenbürtigkeit glaubhaft zu machen, ja selbst den alten König Ludwig um eine schöne Summe zur Verfolgung ihrer Ansprüche zu prellen. Sie verschmähte auch das Geld kleiner Leute nicht, die sich mitunter glücklich schätzten, eine so durchlauchtige Schuldnerin zu bekommen; man weiß nicht, wozu das gut ist. Ihr letzter Streich bestand darin, daß sie einen bis dahin ehrlichen Marktschreiber zur Unterschlagung verleitete und in’s Zuchthaus brachte. Endlich beschloß sie, ohne Furcht vor „Träumen, die da kommen mögen“, sich durch einen herzhaften Schluck von Bittermandelöl dem Todesschlaf zu überantworten. Und gerade aus der Gegend, wo sie die meisten Opfer beschwindelt hatte, strömten auch wieder die größten Summen in das Spitzeder’sche Danaidenfaß!

Uebrigens ist nicht etwa in den Auen der Amper, auch nicht oben in Dachau selbst die Entstehung der Dachauer Bank zu suchen, sondern in der theils liberalen, theils ultramontanen Stadt München. Der Name entsprang dem Umstand, daß die ersten Kundschaften, meist weiblichen Geschlechts, aus der Bruck-Dachauer Gegend kamen, und, durch ihre häßliche Tracht ohnehin, wie allgemein bekannt, auffällig, die Aufmerksamkeit des Publicums auf sich zogen.

Da wir nun wieder glücklich bei der Spitzeder angelangt sind, so sei erwähnt, daß der Zudrang sowohl zur Besichtigung als zur Versteigerung ihrer Mobilien – die Pretiosen mit dem famosen Bischofskreuz scheinen erst später zur Verwerthung zu kommen – ein ungeheurer war. Mancher dumme Teufel des schönen wie des unschönen Geschlechts, der sein Erspartes „im Feuer“ hat, begaffte sich den auch auf seine Kosten angeschafften Luxus. An die Spieluhren, Polyphonien etc. durfte bei der Ausstellung nicht gerührt werden; desto feierlicher machten sich die Töne bei der Versteigerung. Eine zu Hausandachten herrlich verwendbare Orgel rührte ganz besonders. Den zahlreichen Spieltischen nach zu schließen, scheinen bei Adelchen auch minder fromme Uebungen im Schwung gewesen zu sein, und es verlautet aus sicherer Quelle, daß die Trinkgelage meist noch fortdauerten, wenn sich die Spenderin mit ihrer Gesellschaftsdame längst zurückgezogen hatte.

Des Fräuleins gegenwärtige Wohnung in der Frohnveste an der Badstraße glänzt durch ungeheuchelte Bescheidenheit. Ein weißgetünchtes Zimmer, enthaltend eine Lagerstätte nebst einem Tisch und zwei Stühlen, das ist sicherlich genug – zur Reue. Jemand, der Gelegenheit hatte, durch das Fensterchen ihrer Thür zu blicken, sah wohl einen Pack Zeitungen auf dem Tische, Adele selbst aber lag in Kissen ganz vergraben. Sie laborirt an gichtischen Zuständen, neuestens auch etwas an Dysenterie, was sie aber nicht hindert, den einen Tag heiter zu scheinen, während ihr der Schicksalswechsel an einem andern wieder reichliche Thränen entlockt. Von dem schönen weiblichen Vorrecht, unlogisch zu antworten, macht sie gerne Gebrauch, besonders wenn es ihr vortheilhaft dünkt; ein ungewöhnlicher Grad von Schlauheit ist überhaupt der hauptsächlichste Eindruck, den man von einer Unterhaltung mit ihr empfängt, doch soll sie sich bereits die Frage haben entschlüpfen lassen: welche Strafe für sie beiläufig herausspringen dürfte? Ueber Gang und Stand der Untersuchung dringt natürlich nichts in die Oeffentlichkeit. Ein Ueberblick über die moralische Verheerung, welche das Meteor angerichtet hat, gelingt wohl erst am Tage des Gerichts, das heißt der öffentlichen Verhandlung, der sich für Manchen und Manche zu einem „Tage des Zorns“ gestalten dürfte. Vorläufig haben sich gegen fünfundzwanzigtausend Gläubiger herausgestellt. Die eigentliche Betrugssumme ist wohl nie zu erfahren, da Vieles verschwiegen wird. Aus einem Bezirke rechts der Isar sind z. B. zwanzigtausend Gulden angemeldet, während Ortskundige versichern, daß mindestens fünfzigtausend Gulden über die steinerne Brücke wanderten. Die betheiligten Taglöhner und Kleinhäusler fürchten nämlich, vielleicht nicht ganz mit Unrecht, wenn sie sich jetzt plötzlich als Capitalisten, wenn auch als unglückliche, entpuppen, nachträglich zur Capitalsteuer gezogen und mit der gesetzlichen Verschweigungsstrafe belegt zu werden. Und – „lieber die bekannten Uebel tragen, als zu unbekannten fliehen“, sagte schon Hamlet.

M. Sch.


Ueberfahrt nach England ohne Seekrankheit. Die Leser erinnern sich wohl, daß es im Werke war, einen großen Tunnel unter dem Canal hindurch nach Frankreich zu bauen und so dem Elend der Ueberfahrt auf Schiffen ein Ende zu machen, auch mercantilisch das Umladen der Waaren zu ersparen. Dies hübsche Project wurde auf zwanzig Millionen Pfund Sterling veranschlagt und scheiterte an diesem Sümmchen. Darauf kam der äußerst verständige Vorschlag des Herrn Fowler, eine Verbindung durch mächtige Dampffähren, welche gleich die ganzen Züge herüber und hinüber nähmen, herzustellen, und dem Schwanken bei bewegter See durch die Größe dieser Fähren selbst ein Ende zu machen. Es fehlte diesem Unternehmen nur noch die Genehmigung des Parlaments, und diese wurde im Oberhause versagt. An die Stelle dieser beiden Projecte ist nun ein drittes getreten, dem zwar die Beförderung ganzer Dampfzüge und der großartige Zweck, den Canal wesentlich durch Dampfwagenverbindung aufzuheben, fehlt, das aber doch die Seekrankheit ganz beseitigen will. Es handelt sich nämlich um die Anwendung der Bessemer’schen Erfindung eines hydraulischen Apparats, über den hier einiges angedeutet werden soll.

Es hat sich nämlich eine Gesellschaft gebildet, die zwei Dampfer nach der Zeichnung des Herrn E. I. Reed bauen will, welche als Passagierschiffe zwischen Dover oder Folkestone und Boulogne, Calais oder Ostende laufen sollen. Sie sind speciell auf Schnelligkeit und stetigen Gang angelegt. Ihr Tiefgang wird der nämliche sein, wie der, den die jetzigen Schiffe haben; sie werden also die beiderseitigen Häfen, wie sie jetzt sind, benutzen können. Aus einem Artikel in der nächsten Nummer der „Naval Science“, wo die ganze Frage hinsichtlich der Abstellung der Seekrankheit durch den Bessemer’schen Salon besprochen werden wird, sind wir im Stande folgende Beschreibung der Schiffe mitzutheilen: Sie haben zwei Schnäbel, das heißt, das Hintertheil ist nicht abgestumpft, und werden durch vier große Schaufelräder, an jeder Seite zwei, fortbewegt. Die Schnäbel sind niedrig gehalten, um die Bewegung zu vermindern, welche Wind und Wellen hervorbringen, und der mittlere Theil der Schiffe ist hoch genug, um sie in den Stand zu setzen, mit voller Schnelligkeit gegen die schlimmste See, der sie ausgesetzt sein könnten, zu fahren. Jeder Schnabel hat sein Steuerruder, und das Schiff kann also rückwärs und vorwärts gehen, ohne daß es sich im Hafen herumzudrehen braucht.

Die Haupteigenthümlichkeit dieser Schiffe besteht aber darin, daß jedes einen geräumigen Salon haben soll, welcher, nach dem Plane des Herrn Bessemer, in der Mitte des Schiffs so aufgehängt wird, daß er in einer Längenachse, die mit dem Kiel parallel läuft, bewegt werden kann. Die Bewegung dieses Salons, welche sich ergeben würde, wenn das Schiff in’s Schaukeln käme, wird gehemmt und beherrscht durch einen hydraulischen Apparat. Sie wird von einem einzigen Manne vollständig überwacht werden können. Diesem wird es obliegen, unter allen Umständen den Fußboden des Salons mit einer Wasserwage wagerecht zu erhalten.

Jedes dieser Dampfböte wird dreihundertfünfzig Fuß lang, vierzig Fuß über’s Deck und fünfundsechzig Fuß über die Räderkasten breit sein. Es wird sieben Fuß und sechs Zoll Tiefgang haben, also nicht mehr als die jetzigen Böte, und durch zwei Paar Maschinen, die zusammen viertausendsechshundert Pferdekraft haben, mit einer Schnelligkeit von zwanzig Meilen die Stunde fortbewegt werden. Die Mittelpunkte der beiden Paare von Schaufelrädern werden hundertsechs Fuß von einander entfernt sein.

Der Salon wird siebenzig Fuß lang und fünfunddreißig Fuß breit sein, bei einer Höhe von zwanzig Fuß. Er befindet sich, wie gesagt, in der Mitte des Schiffes. Seine großen Vorzüge sind: Welche Bewegung das Schiff in den Wellen auch annehmen mag – und bei seiner besondern Construction wird diese sehr gering sein –, der Salon muß in Wahrheit frei davon bleiben. Er befindet sich in der Mitte des Schiffs, der Länge und Breite nach, und die Achse seiner Schwingung liegt in einer Höhe, wo die wenigste Bewegung stattfindet. Auch das Aufstoßen des Schiffes wird man in dem Salon nicht gewahr werden, denn die Form des Schiffes ist von der Art, daß die See im Canal von Dover nicht im Stande ist, seine Spitzen bedeutend zu erheben, und selbst die geringe Wirkung, welche auf die Spitzen des Schiffs hervorgebracht werden kann, wird am Ende des Salons um ein Siebentel reducirt sein. Auch das Schaukeln des Schiffs von einer Seite zur andern kann bei seiner Construction nur gering sein; aber auch dies geringe Schwanken wird sich dem Salon nicht mittheilen, denn die vollkommne Wirksamkeit des Bessemer’schen hydraulischen Apparats steht fest und ist nicht mehr die Sache bloßer Vermuthung.

So scheint wirklich alle Aussicht zu sein, daß man auf diesen Dampfböten ohne die Möglichkeit der Seekrankheit über den Canal fahren kann.

A. Ruge.


Der Kurmärker im Feuer und unter der Traufe. (Mit Abbildungen.) Zwei Bilder, die sich gegenseitig erklären und zwar so deutlich, daß auch hier die Frage gilt: was will die Feder noch, nachdem der Stift schon Alles gesagt? Es war gewiß eine der wärmsten Erinnerungen würdige Stunde, wo es dem Soldaten so wohl erging in Feindesland. Warum sollen in seiner Brieftasche sich keine Andenken daran vorfinden? Freilich, die Photographie hätte sich auch füglich erklären lassen. Konnte der junge Mann im Felde nicht einmal krank gewesen und von der freundlichen Picarde so menschenfreundlich gepflegt worden sein, daß man eine dankbare Freundschaft mit derselben sogar in aller Ordnung finden mußte? Aber das Löckchen kohlschwarzen Seidenhaares in dem Papierchen, das offenbar bei der Photographie der reizenden Französin lag, dieses einzige kleine Löckchen geht denn doch über die Freundschaft hinaus, und Das macht die Sache bedenklich. Wünschen wir für die gefährdete Liebe das Beste! Locke und Bild werden sicherlich äußerst geschwind in den Ofen fliegen; möge dann wenigstens die jetzt so bitter weinende Geliebte die böse Stunde ebenso bald vergessen, wie ohne Zweifel die ferne Picarde den „Prussien“ vergessen hat. Die zukünftige Frau Schwiegermutter besorgt schon die Notirung des Falls – für alle Fälle.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_018.JPG&oldid=- (Version vom 20.6.2022)