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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Antworten der Somnambulen erregten durch die wunderliche, stets zwei Auffassungen zulassende Form derselben viel Aufsehen.

„Warten Sie,“ versicherte ein eleganter Herr einem neben ihm stehenden Bekannten, „jetzt fange ich die Betrügerin.“

„Will Jemand noch an die Dame während des magnetischen Schlafes eine Frage durch mich stellen lassen?“ frug der „Doctor“.

„Wie befindet sich in diesem Augenblicke mein Vater?“ entgegnete der Fallensteller.

Die inspizirte Jungfrau antwortete ohne Säumen. „Ihr Vater fährt in diesem Augenblicke in einer eleganten Equipage spazieren.“

„Sehen Sie,“ rief dieser seinem Nachbar zu, „da habe ich den Schwindel entlarvt. Mein Vater ist seit zehn Jahren todt.“

Mit imponirender Frechheit entgegnete der Magnetiseur: „Mein Herr, ich verbitte mir solche beleidigende Ausdrücke! Ihr Vater lebt und fährt spazieren. Um den Mann, der seit zehn Jahren todt ist, haben Sie nicht gefragt. Ihr Vater,“ wiederholte er mit großem Nachdruck, „ihr Vater lebt!“

Den weiteren Verlauf dieses Experimentes mußte mir mein Gewährsmann nicht mehr mitzutheilen – ich glaube, er endete mit einer Ohrfeige, die der beleidigte Sohn austheilte.

Inzwischen sind wir auf dem prachtvollen Wege inmitten der herrlichen Anlagen zum Festplatze gelangt. Ueber dem Spielhause prangt in mächtigen Buchstaben, aus Gaskörpern gebildet, der Name des Landesvaters, „Charles“, zahllose Lampions umgürten die Fontainen, die ganze Bevölkerung ist auf den Beinen. Die ganze Armee des Landes – die Angaben über die Stärke der bewaffneten Macht von Monaco schwanken zwischen achtzehn und sechsundzwanzig Mann – promenirt in den theatralisch-phantastischen reichen Uniformen, die es schwer machen, den Stabsofficier vom Gemeinen zu unterscheiden. Unter vier Decorationen tragen nur Recruten. Unsere braven Landleute und die übrigen Bewohner des Landes, Beamte und Jesuiten trieben sich zwischen den Trophäen, Wappen und Fahnen herum, auch die Fremden von Nizza, Mentone, San Remo etc. hatten sich zahlreich eingefunden, um dem prächtigen Feuerwerke und dem trefflichen Monstre-Concert beizuwohnen. Die Spielbank, für die Feier des Tages um zwei Festtische vermehrt, that ihr Bestes und nahm es von den Anwesenden. Auf zwei Loretten ein Abenteurer, oder umgekehrt – das ist ungefähr die Physiognomie der Anwesenden. Den Rest bilden Neugierige.

Mit Einbruch der Dunkelheit drängt sich Alles auf den tageshell erleuchteten Hauptplatz, hinter welchem aus dunkler Anhöhe das brillante Feuerwerk abgebrannt wird, zu welchem aus Toulon ein berühmter Pyrotechniker verschrieben wurde, während die besten Solisten von Paris in dem Concerte mitwirken. Tausende von Feuergarben schießen krachend durch die Luft; zahllose bunte Flammenräder drehen sich prasselnd im Kreise. Wie würde er sich freuen, der ferne Landesvater, könnte er dies glänzende Schauspiel sehen! Auf dem Meere treiben Fässer mit angezündeten Petroleummassen; leider verdirbt der neugierige Mond, der sein wunderbares Licht elektrisch leuchtend über die ganze ungeheure Fläche ausgießt, den winzigen Effect des Menschenwitzes.

Und drinnen im Saal rollt wieder die Kugel; der eintönige Ruf der Croupiers tönt an diesem Festabend zur Erhöhung der Feier zwei Stunden länger als sonst durch die glänzenden Räume. Louis Blanc ist ein Praktiker, er versteht es, das Nützliche mit dem Angenehmen gar hübsch zu verbinden, und einen Theil der Kosten auf diese Weise wieder herauszuschlagen.

Im Ganzen genommen ist es aber doch ein schönes Fest, welches der Miether seinem Freund und Landesherrn zu Ehren hier gab. Ich fürchte, in Berlin und Wien werden die Hausbesitzer bald ähnliche Opfer von ihren Miethsclaven, wenn auch nicht zum Tauffeste, so vielleicht zur Gründungsfeier, fordern.

Ich aber hätte, als mir vor vielen Jahren in Kissingen zum ersten Male der Name des souveränen Landesherrn von Monaco an’s Ohr schlug, mit dem ich damals in einem Hôtel wohnte, nie gedacht, daß ich dereinst Gelegenheit haben würde, in seinen Staaten dieser Familienfeier zwischen „Fürst und Volk“ beizuwohnen. Es war eine wunderliche Geschichte:

Eine Geldcasse von Eisen, „vollgestrichen mit Goldstücken“, war dem blinden Herrn gestohlen worden. Verdachtsgründe konnte er nicht nachweisen, und so schien das Geld verloren. Der Dieb war sein eigener Kammerdiener, welcher die Cassette in der Nähe der Stadt im sumpfigen Röhricht verborgen hatte, um selbe gelegentlich als gute Beute in Sicherheit zu bringen. Da kam das katholische Kirchenfest, der Frohnleichnamstag, heran, an welchem weißgewaschene Mädchen in festlichem Zuge die langen Kolbenrohre in den Händen tragen. Beim Abschneiden der Rohre aber fand man, im Sumpfe tief versteckt, die verborgene Geldcasse, und in selber die Uhr des Kammerdieners. Der Gauner wurde überführt, die Goldstücke ihrem Herrn zurück gegeben! Frömmigkeit bringt Glück allerwegen!




Blätter und Blüthen.


Friedrich Hecker wird auch in diesem Winter Vorlesungen in Amerika halten und dann sein geliebtes Deutschland aufsuchen, um sein in der Schlacht von Chancellorsville verwundetes linkes Bein in einem deutschen Bade auszuheilen. „Sind auch Feuerherd und Dampfkessel noch im Stande,“ schreibt er dem Redacteur dieses Blattes, „so sind Kammräder, Kurbeln und Gestänge ausgeschafft und greifen nicht mehr recht. Ob die alte Maschine den Flickerlohn noch werth sei – wer weiß es, jedenfalls will ich’s probiren.“

„Wissen Sie,“ fährt er in seinem äußerst liebenswürdigen Schreiben fort, „daß mir eigentlich graut vor dem Mangel an Comforts auf Euren Eisenbahnen. Habe ich hier mein Billet für eine Reise von acht- bis elfhundert Meilen gelöst, meine Gepäckmarke erhalten und meinen Sitz im Schlafwagen gesichert, so bin ich in einem fahrenden Hôtel erster Classe, besonders wenn noch ein Speisewagen auf dem Bahnzuge sich befindet. Zur Zeit der Mahlzeiten meldet ein Aufwärter, daß das Essen bereit sei. Wer Lust und Appetit hat, verfügt sich in den Speisewagen und nimmt sein Mahl à la carte. Wer rauchen will, geht in den Rauchwagen oder den Rauchraum des Tafelwagens. Kommt Schlafenszeit, so wird der Sitz umgeklappt; Matratze, Betttücher, Decken, Kissen liefern ein gutes reines Bett, umrahmt von einem Vorhang. Vor dem Frühstück verfüge ich mich in das Waschcabinet und mache Toilette. Im Winter sind alle Wagen vortrefflich geheizt, im Sommer ventilirt. Wird mir das Sitzen lästig, so promenire ich den langen Car (Waggon) auf und ab. Frisches Wasser und Trinkgefäß findet sich in einer Ecke desselben, wie auch für alle sonstigen unaussprechlichen natürlichen Bedürfnisse gesorgt worden ist. Auf der letzten Station tritt der Gepäckmeister ein, fragt, ob ich Gepäck habe, ob ich dasselbe hier abgeliefert haben wolle und wo ich logire. Er notirt sich mein Hôtel oder meine Privatwohnung und tauscht meine Marke (check) ein. Bei der Ankunft steige ich in einen Omnibus oder eine Chaise und verfüge mich in mein Hôtel oder meine Wohnung; bald erscheint mein Gepäck; es wird mir auf die erhaltene Marke abgeliefert. Wo keine Speisewagen bei den Zügen sind (und das ist die Regel), wird an bestimmten Stationen zur Einnahme der Mahlzeiten gehalten. Das Bahnpersonal ist höflich und zuvorkommend. Damen, gleichviel welches Standes, werden mit besonderer Rücksicht behandelt.

Das Hôtel ist im Winter ganz geheizt, alle Gänge, Säle, jedes Zimmer nach Verlangen. Gaslicht ist in jedem Raume. Beim Eintritt in’s Hôtel treten Sie an den Zahltisch, schreiben Ihren Namen in ein Buch (Fremdenbuch) und erhalten Ihre Zimmernummer. Ihr Gepäck, wenn Sie wollen, sogar Hut, Stock, Ueberrock, geben Sie im Gepäckzimmer gegen Marke ab. Ein Aufwärter führt Sie in Ihr Zimmer und trägt von Gepäck, was Sie auf dem Zimmer haben wollen. Geld, Juwelen und dergleichen können Sie beim Wirthe sicher hinterlegen. Wer Sie besuchen will, giebt eine Karte am Counter (Zahltisch) ab; ein Diener bringt sie Ihnen. ‚Weisen Sie den Herrn hierher!‘ oder Sie gehen hinunter. Kein Mensch genirt Sie, bekümmert sich um Sie, wenn Sie es nicht verlangen. Sie frühstücken zwischen sieben und zehn Uhr, diniren zwischen ein und drei Uhr, soupiren zwischen drei und neun Uhr, können um neun oder zehn Uhr noch Thee nehmen.

Im Hôtel befinden sich: Eine Post-Box (Briefkasten), ein Zeitungs-, Bücher- etc. Händler, eine Rasir- und Frisirbude, Schuh- und Kleiderreinigung, Wäscherei-, Bade- und Telegraphenbureau, Salons für Herren und Damen, Lese- und Schreibzimmer, und um Ihnen das Treppensteigen zu ersparen, sind die Aufzüge da. Ein Zimmerchen mit gepolsterten Sitzen nimmt Sie auf, sofort geht das Ding auf oder ab, am Gange Ihres Stockwerkes wird Halt gemacht, eine Thür öffnet sich, Sie treten in Ihren Gang bei Ihrem Zimmer. Wollen Sie Billard und dergleichen spielen oder Einen hinter die Binde gießen, so ist dafür ein Billard- und ein Schänkzimmer vorhanden, in welchem Sie alle Arten Getränke haben können. Wollen Sie mit einem bestimmten Zuge oder Schiffe abreisen, so melden Sie es in der Office (Bureau). Sie werden zur rechten Zeit geweckt; das Frühstück ist fertig; Sie zahlen Ihre Zeche, so und so viel per Tag. Trinkgelder giebt’s nicht; der Wagen hält vor der Thür; Ihr Gepäck wird aufgeladen; Sie haben Ihren Sitz eingenommen und werden an der Bahn oder dem Schiffe rechtzeitig abgeliefert. Ich fürchte, daß man so angenehm und bequem drüben nicht reist; aber für einen alten Kerl ist das ein Hauptbedenken.“



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_017.JPG&oldid=- (Version vom 18.5.2020)