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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


wie leicht ich dann fest einschlafen würde, um nicht wieder zu erwachen. – Meine gute fromme Mutter fiel mir ein, und mit einem festen „Nein! – Vorwärts!“ schritt ich weiter. Endlich kam ich an einen Bergabhang; aber da war kein Weg – Steingeröll und Wachholderbüsche, über die ich stolperte. Da sprang etwas unter meinen Füßen aus einem Busche auf. „Wer da?“ Bis auf den heulenden Wind blieb Alles still. Es mußte ein armer Hase gewesen sein, der sich vor dem grauenhaften Wetter unter einen schützenden Busch geflüchtet hatte. Ja, wer wie so ein Hase sich jetzt unter einen schützenden Busch sicher ducken könnte! Der Weg ward sehr steil und führte in eine Schlucht. Eine Kiefer mit buschigen weiten Zweigen gewährte eine kurze Zuflucht zur Erholung. In der Schlucht durfte ich nicht bleiben; ich stieg links an der steilen Wand hinan und stand bald auf freier Höhe. Dunkel blieb es ringsum; nur die Schneedecke war hell; lautlos war die öde Weite, wenn der Wind schwieg. Aber was ist das? – Nichts! – Ja, doch! da flimmert’s wieder! Das ist Licht, ja, ein Licht, das von Zeit zu Zeit hervorleuchtet! Wo ein Licht ist, da sind wohl auch Menschen. Also vorwärts nach dem Lichte! – Das war jedoch ohne Weg, am steinigen Berge mit seinen stacheligen Büschen, nicht leicht. Aber mit der Hoffnung hatte mich neues Leben durchströmt. Ich kam dem Lichte näher; es schien eine Laterne zu sein, die Jemand von Zeit zu Zeit vor dem Sturme verhüllte. Ich eilte und rief – da schien es zu stehen. Ich rief noch einmal und hörte ein ängstliches „Ach, daß Gott!“ und der Laternenträger ergriff die Flucht. Ich eilte nach. Es war eine Jagd mit großen Hindernissen; aber ich war doch der Schnellere. Noch wenige Schritte von dem Laternenträger hörte ich dessen Aechzen und Stöhnen und rief:

„Aber, guter Mann, warum reißt Ihr aus? Ich habe mich verirrt und suche den Weg.“

Da blieb der Mann stehen, lehnte sich auf seinen Stock und rief:

„Ach Gott! – ich – ich – kann – nicht mehr!“

„Aber, lieber Mann,“ entgegnete ich, „wollt Ihr denn einem armen verirrten Menschen in der Nacht nicht aus der Irre helfen?“

Da erfuhr ich denn freilich, daß in dieser Gegend der Weg gar nicht geheuer sei und daß meine unschuldige Person dem guten Manne eine entsetzliche Gespensterangst eingejagt hatte. Aber die Entdeckung meiner Harmlosigkeit hatte ihn so gefällig gegen mich gemacht, daß er mich auf dem sicheren Wege bis nahe an mein Vaterhaus begleitete.

Wie ich heim kam, kann der aufmerksame Leser sich wohl denken. Aber ich hatte ja daheim eine Mutter mit einem Herzen voll Mutterliebe. Das glich Alles aus. – Ich bin ein alter Mann geworden, aber könnte ich doch heute noch jener sorglichen Liebe danken!

Nach ungefähr einem Vierteljahre erhielt ich mein Manuscript mit folgendem Briefe Goethe’s zurück:

„Weimar, den 14. April 1818.

Das hier zurückfolgende Trauerspiel ist nach seinem Gegenstande ein glücklicher Griff, er ist tieftragisch. Die Sprache ist natürlich, frisch, die Verse marschiren leidlich; – aber damit bin ich am Ende des Lobes. Die Charaktere stehen zu schroff sich gegenüber. Die Kenntniß des Menschen, daher die feineren Züge und Nüancen der Charaktere fehlen. Das Motiviren durch den Eingriff tragischer Momente im Leben muß diese noch hervorheben. Der Dialog muß sinniger, der Monolog objectiver dargestellt, der ganze Plan, umsichtiger angelegt, sich leise, unerwartet entwickeln.

Lege das Stück auf Jahre zur Seite und wage nicht so Großes. Mit kleinen Darstellungen freundlicher oder wehmüthiger Situationen, womöglich des Selbsterlebten, muß man beginnen, das Erwählte tief und ganz empfinden, dann wahr, sinnig und frisch darstellen.

Mit den besten Wünschen

Goethe.“

Dieser Brief des Altmeisters von Weimar möge meine diesmaligen Mittheilungen aus alter Zeit abschließen.

A. Schmeißer.



Das Namensfest eines Spielbank-Monarchen.
Von Franz Wallner.

Es war einmal ein armer, blutarmer Fürst, in einem kleinen winzig kleinen Ländchen. Aber schön gelegen war der Fleck Erde, welchen der Fürst sein nannte. Hoch oben, auf starrem Felsblock, umspült von den blauen Wogen des mittelländischen Meeres, wie ein Adlernest lag das halbverfallene Schloß seiner Väter, ein üppiger Kranz von farbigen Blumen, von tropischen Gewächsen umgab die Burg. Aber der arme Fürst konnte sich nicht erfreuen an der blühenden Schönheit rings um ihn, sein Auge konnte nicht die wunderbaren Landschaftsbilder erschauen, die sich vor ihm ausbreiteten, denn er war blind, der arme Fürst. Sein Ohr nur vernahm das eintönige, metallische Rauschen des Meeres, dessen Wogen ununterbrochen an die Ufer seines Ländchens schlugen. Seine Gesellschaft bestand aus finsteren Rathgebern in schwarzen Kutten, so man die „Jünger Jesu“ nennt. Und wenn ihm, dem Beherrscher eines Landes, eine kleine Summe fehlte, so mußten seine Boten Credit suchen bei den Kaufherren im fernen Marseille oder in Toulon. Da kam der Versucher in Gestalt eines mächtigen Kaisers und klingelte mit Gold verlockend vor dem Ohr des blinden Fürsten und flüsterte: „Ich will Dich zum reichen Manne machen, verkaufe mir Dein kleines Land.“ Und von anderer Seite kam ein zweiter Versucher, und raunte dem armen Herrscher in’s Ohr. „Behalte einen kleinen Theil Deines Landes, damit Du dort unumschränkt gebieten kannst, und auf dem kahlen unwirthbaren Fels, der Deinem Schlosse gegenüber liegt, will ich eine prachtvolle Falle aufstellen für vorüberziehende Vögel mit goldenem Gefieder, die sich darin fangen werden. Die goldnen Federn aber, die wir den Gimpeln ausreißen, will ich theilen mit Dir, und wir werden beide reich, reich, millionenreich!“

Und der arme Fürst verkaufte dem fremden Kaiser das Land rechts und links vom Fels, so viel sich nur immer abreißen ließ, und steckte die Millionen in die leere Tasche und gab dann für vieles Gold dem Vogelsteller die Erlaubnis, seine Netze auszuspannen für alle Zugvögel, die durch den schönen Landstrich fliegen wollten. Und aus dem kahlen Felsen, an dem sonst das schnaubende Dampfroß achtlos vorüber eilte, erhoben sich prächtige Anlagen; es wuchsen Bäume empor, an welchen goldene Blätter glitzerten, zwischen denen hellfarbige saftige Früchte hingen, die der Vogelsteller vergiftet hatte, mit hoher Erlaubniß, zwischen Blatt und Frucht aber hingen verborgene Schlingen, an welchen sich das flatternde Gevögel verfing und zu Tode zappelte. Und prächtige Paläste wuchsen empor, glänzende Behälter für die Vögel, welche noch nicht kirre genug waren, um sich in die Schlingen locken zu lassen, die aber doch nach und nach in die glänzenden Bauer sich wagten, wo auf grünen Flächen goldene Körner lockend ausgestreut wurden, bis der schlaue Vogelsteller mit einem tüchtigen Zug sie alle im Netz hatte, und ihnen lachend die goldenen Federn ausraufte, die er mit dem Herrn des Bodens theilte, welcher nicht mehr nöthig hatte, kleinen Credit zu suchen bei den Kaufleuten in Marseille und Toulon. Der Miether aber und sein Hauswirth erbeuteten so viel des gelben Mammons, daß sie nicht wußten, wo hinaus damit. Sie zogen immer mehr der frommen, schwarzen Beter in das Land, erbauten für dieselben Kirchen, Capellen, Wohnhäuser und Schulen, in denen ihre Lehren gepredigt wurden, und meinten sich abzufinden in dieser Weise mit dem lieben Gott, und hofften den Satan um den Antheil zu beschwindeln, den er an ihrem Sein zu fordern das volle Recht hatte. Dies ist die Geschichte von Monaco, wie sie mir ein weiser Mann an den Ufern des mittelländischen Meeres erzählt hat.

An einem heitern sonnenbestrahlten Morgen machten wir uns auf, um das einzige aller Fürstentümer, gegen welches selbst das souveraine Lichtenstein sich wie ein Termitenbau zu einem Ameisenhügel verhält, in der Nähe zu besehen. Seit acht Tagen hatten riesige Placate die Curgäste von Nizza in Kenntniß gesetzt, daß am vierten November das Namensfest des Landesherrn in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_015.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)