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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

dereinst im Morgen- und Abendland von den Fasern dieser Hölzer angeregt werden. Was diese selbst anbelangt, so hat ihre Bestimmung der verstorbene Botaniker Martius schön angegeben, als ihn Neuner einmal um ein Motto für seine Geigen anging. Er antwortete, von ihnen könne man sagen: „In silvis viva silui, jam mortua cano,“ d. h. „als ich im Walde lebte, schwieg ich, todt singe ich.“

Und der Fremdling, der im guten Postgasthause des Marktes ausgeschlafen hat und sich am Morgen die Augen reibt, um nach dem goldüberflossenen Wettersteine zu schauen, wird sich wundern, wenn ihm zunächst auf den gegenüberliegenden flachen, steinbedeckten Gebirgshausdächern die frisch lackirten Cellos, Contrabässe und Geigen auffallen, die dort in die frische Zugluft gestellt oder an Stricken aufgehängt worden sind, damit sie trocknen. Die Morgenluft, die aus Gleirsch herausweht, wo einst Stainer dem Gesange der stürzenden Stämme lauschte, bewegt sie hin und her, und der kostbare Lack, dessen Bereitung ebenfalls ein Geheimniß der Mittenwalder Verleger ist, legt sich schön und glänzend an. Da begegnet es dem Nüchternsten, daß er den Himmel voller Baßgeigen sieht.

Gehen wir sodann in die massig gebauten, weit von hölzernen Dachrinnen und Vordach überragten Häuser selbst hinein, so sehen wir in den niemals gelüfteten Zimmern die Mittenwalder Männer und Frauen bei ihrer Arbeit. Es ist hier, wie bei mancher andern Thätigkeit, daß der zu fertigende Gegenstand nicht von einer einzigen Person gemacht wird, sondern daß Jeder meist nur einen Theil desselben verfertigt, immer und immer den nämlichen. Wie zu La Chaux de Fonds in den Uhrenfabriken der eine Arbeiter sein ganzes Leben lang Deckel, der andere Schrauben, dieser Federn, jener Räder macht, so giebt es auch zu Mittenwald nur wenige, die eine Geige so herstellen, wie sie in den Handel gebracht wird. Im Gegentheile kann man annehmen, daß an einer fertigen Geige ein Form- oder Körpermacher, ein Hals- oder Schneckenmacher und ein Griffmacher gearbeitet haben, wozu noch diejenigen kommen, welche die Stege, die Schrauben, die Saitenhalter machen, dann diejenigen, welche die Saiten aufziehen oder mit Gold- und Silberdraht überspinnen, nicht zu vergessen die Frauen, welche den Lack auftragen. Eine von der Regierung eingerichtete Geigenmacherschule giebt allerdings den Jungen Gelegenheit, das Ganze ihres Gewerbszweiges eingehend zu erlernen. Auch befindet sich ein unter den deutschen Musikern viel genannter Mann zu Mittenwald, Johann Reiter, der nur Violinen der ausgezeichnetsten Art anfertigt oder ausbessert.

Ein Uebelstand, welcher auf der Betriebsamkeit des Marktfleckens lastet, ist die Abneigung der Leute, während des Sommers in ihren Stuben zu arbeiten – eine Abneigung übrigens, welche sie mit anderen Alpenbewohnern gemein haben, insbesondere den Tirolern, deren Mangel an Industrie zum Theil auf den Widerwillen gegen massenhafte Beschäftigung in geschlossenen Räumen sich gründet.

Wenn der Vogelbeerbaum blüht, die Atragene sich um die Fichten schlingt und die blaue Gentiane auf den Wiesen steht, dann sucht sich der Mittenwalder lieber eine andere Beschäftigung als die mit Violinböden und Guitarrenhälsen. Es fehlt nie an Arbeit, hauptsächlich an der Ausbesserung und Herstellung von Reitwegen auf die Hochalpen – denn der König von Baiern sowohl wie der ehemalige Herzog von Nassau besitzen Häuser hoch im Gebirge, der eine sein berühmtes Schachenhaus, von welchem man auf den Gletscher der Zugspitze hinübersieht, der andere sein Jagdschloß „auf dem Verein“ in den wildreichen Karen, durch die man zur „hinteren Riß“ hinübersteigt. Auch in den Forsten fehlt es nicht an Beschäftigung. Im Spätsommer kommt die Heumahd dazu. Da werden die gegen Partenkirchen auf den welligen Hügeln der Wasserscheide zwischen Loisach und Isar gelegenen Wiesen abgemäht – es wird wochenlang Nachts in Heustadeln campirt, Feuer angezündet, auf freiem Felde gegessen – das eigentliche Villeggiaturleben der Mittenwalder, die keine höhere Lustbarkeit kennen und alle Geigen der Welt für ihre „Wiesmahd“ zurücklassen.

Ich will diese kleine Betrachtung nicht beenden, ohne noch einmal auf die beiden Väter der Mittenwalder Geigen, Mathias Klotz und Jacob Stainer in Absam zurückzukommen. Von dem Ersteren haben sich nicht viele Ueberlieferungen im Markte erhalten – auf dem Altar in der Gottesackerkirche findet sich sein Name eingeschnitten. Ueber Stainer von Absam aber möge eine Schlußbemerkung hier noch Aufmerksamkeit finden.

Da war einmal ein „sectischer, lutherischer“ Bücherverkäufer auf der Messe zu Hall, und Stainer kaufte ihm, wohl aus Neugierde, eines seiner Bücher ab. Wegen dieses Verbrechens ließ ihn die Regierung, die sich damals schon längst mit dem Gedanken trug, „zur Wiederlegung der immer von Neuem sich einschleichenden Irrlehren in Innsbruck eine Universität zu errichten,“ in den Kerker werfen und entzog ihm jede Freiheit ein halbes Jahr lang. Von jener Zeit ab mußten die Jesuiten den Büchervorrath der Händler untersuchen – für den guten Stainer aber hatte der Vorfall die bittere Folge, daß er die Gunst der Regierungsräthe verscherzt hatte. Als er später in Schulden gerieth und von getauften und ungetauften Hebräern arg bedrängt wurde, wandte er sich, da er als „Hofgeigenmacher“ kaiserlicher Diener war, an den Kaiser, um ihn zu bitten, daß er durch Bezahlung des schuldigen Betrages von vierhundertfünfzig Gulden die äußerste Gefahr der Auspfändung von ihm abwende. Unter anderen Verhältnissen hätte der allergnädigste Herr dieses Gesuch wohl bewilligt; da aber die Regierungsräthe im Andenken an jene Buchgeschichte ihr Gutachten abschlägig einrichteten, so wies man ihn ab. Von da an wurde der Mann träge und trübsinnig, und bald befreite ihn der Wahnsinn von allen irdischen Sorgen. Noch zeigt man in seinem Hause zu Absam eine Bank, in die ein Loch gebohrt ist, durch welches der Strick lief, womit der Wahnsinnige angebunden wurde. Das ist Künstlers Erdenwallen; so endete der Lehrer des Klotz, der Vater der Mittenwalder Betriebsamkeit und der deutschen Geige.

Heinrich Noé.


Meine Einführung bei Goethe.[1]

Wer hätte nicht, namentlich wenn er sich den Wissenschaften widmete, in seiner Jugend eine Zeit gehabt, in der die Einbildungskraft ihn so lebhaft bewegte, daß er Verse machen oder, wie er meinte, dichten mußte! Auch bei mir trat mit dem sechszehnten, siebenzehnten Lebensjahre jene Fluth lebendiger Phantasie ein und mit ihr der Drang, Verse zu machen, überschwängliche Geschichten zu gestalten; diese Bewegung aber wurde noch verstärkt durch den Druck der trockenen, kalten Einseitigkeit eines alten Lehrers. Dieser alte Herr, der Director des Gymnasiums zu Rudolstadt, welcher in unserer Classe den meisten Unterricht gab, trug uns z. B. die Oden des Horaz und die Reden des Cicero so steif, kleinlich, kritisch vor, daß ich den Cicero für den fatalsten Schwätzer, Horaz für einen widerlichen Poeten hielt und mich erst namentlich mit Horaz aussöhnte, als ich für mich seine „ars poëtica“ (Dichtkunst) und dann seine Episteln gelesen hatte, erstere um durch dieselbe in die Dichtkunst eingeweiht zu werden, da ich kein anderes Hülfsmittel hatte, und Horaz doch vielleicht theoretisch tüchtig sein konnte.

So in mir bewegt und von außen niedergehalten, warf ich mich in freien und leider selbst nicht freien Stunden brutwarm auf die Dichterei. Ja, ich wagte mich sogar an ein Trauerspiel, „Die Gräfin von Orlamünde“, also jene Kindesmörderin, welche noch bis in unser Jahrhundert als weiße Frau selbst im Königsschlosse zu Berlin gar unheimlich angeklopft haben soll. Jugendlich enthusiastische Freunde fanden mein Opus, hingerissen von einigen schauerlichen Kraftstellen, außerordentlich gelungen. Obgleich mir selbst das Werk nicht ganz und abgeschlossen genug schien und überhaupt ein Etwas daran fehlte, ließ ich mich doch gar gern überzeugen, daß ich mit meinem geistigen Sprößlinge wohl hervortreten könnte. Goethe war – gelegentlich meiner den Lesern schon früher erzählten Begegnung mit ihm im Parke zu Großkochberg – freundlich gegen mich gewesen; er hatte mich gewürdigt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_011.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)