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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Schutz zu geben. Dieser Verein verbreitete sich in der Folge durch alle Stände, umgab den Herzog Karl unsichtbar mit seinem Einfluß und trug dadurch sehr viel bei, daß dieser in der letzten Zeit seiner Regierung eine bessere Meinung von seinem Charakter aufrief. Um auf Rieger zurückzukommen, so regierte er auf Hohenasperg, ähnlich wie Herzog Karl in seinem Staate. Er war ein strammer Despot, der das ihm selbst widerfahrene Leid seinen Gefangenen reichlich entgelten ließ. Sein Jähzorn kostete ihm im Jahre 1783 das Leben. Gelegentlich eines Besuchs im Spital des Hohenasperg fand er dort einen Soldaten, den er nur zu viel schon gequält.

„Gelt, Kerl!“ sagte er spöttisch zu ihm; „da liegst Du jetzt!“

Der Soldat, der nichts mehr zu verlieren hatte, drehte sich um und gab ihm eine Götz-von-Berlichingensche Antwort. Darüber erfaßte den General Rieger eine solche Wuth, daß er auf dem Rückweg im Festungshof plötzlich vom Schlag getroffen niederstürzte. Als später der Sarg vor dem Leichenbegängniß auf dem Hofe stand, kroch jener Soldat mit seinen letzten Kräften zum Fenster und sagte: „Gelt, Kerl! da liegst Du nun auch!“ worauf er sich zufrieden auf seine Matratze zurücklegte und starb.

Man kennt die Leidensgeschichte Masers’ de Latude, der zwanzig Jahre lang als Opfer der Maitressenwillkür in der Bastille schmachtete. Auch der Hohenasperg hat seine Latudes gehabt, so den Herrn von Scheidlin. Achtundzwanzig Jahre lang nahm ihm eine lettre de cachet des Herzogs von Würtemberg die Freiheit, weil die leiblichen Brüder des Herrn von Scheidlin ihn wegen seines Jugendleichtsinns mit „Lebendig Begrabenwerden“ bestraft wissen wollten. Schiller fand in dem Schicksal dieses Mannes die Rolle für Karl Moor.

Man fühlt sich von dem Geiste angeweht, in dem Schiller seine Räuber geschrieben, wenn man das rohe, viereckige, wie ein alter Burgthurm gestaltete Gemäuer betrachtet, welches sich aus dem Hofraume des Hohenasperg hoch über den Wall erhebt. Hier fand Schiller die Anregung zu seinen „Räubern“. Denn in einem der Grabeskerker, welche der Bau in seinem Innern birgt, hat vor nun bald einem Jahrhundert ein so reiches Menschen- und Dichtergemüth wie Schubart aus bloßer Despotenlaune schmachten müssen. Hier wird der Geist des Besuchers in die Zeiten versetzt, auf denen so viel Fluch und Elend ruht. Hier ist das Wahrzeichen der alten würtembergischen Tyrannei, der Thurm der schwäbischen Bastille, welche einst denselben Dienst leisten mußte, wie die zu Paris.

Das sogenannte Schubartsloch ist ein ziemlich großer und nicht hoher Raum innerhalb der dicken Mauern dieses Thurmes. Sonne und Mond haben noch nie einen Strahl dahin senden können. Sein fahles Licht bei Tage erhält er durch zwei vergitterte Fensterlöcher, von denen das zweite erst in neuerer Zeit ausgebrochen wurde. Das kahle Gewölbe enthält nichts mehr als einen kleinen eingemauerten eisernen Ofen, sowie einen Tisch, auf dem jetzt das „Fremdenbuch“ zum Einschreiben sich befindet. Und hier hat in dumpfer Kellerluft und bei einem Schimmer des Tages, ohne Erde noch Himmel sehen zu können, der Dichter Schubart ein Jahr lang geseufzt, ehe seine Quälgeister ihm wieder einen Schritt in’s Freie, einen Athemzug in freier Luft gestatteten! Immer wieder ergreift das Martyrium dieses Edlen, welches ihm die Jesuiten, die protestantischen Pietisten und der Zorn des Herzogs Karl Eugen ob seiner Freisinnigkeit und – ob seiner Sympathien für Preußens Friedrich, vom Januar 1777 bis zum Mai 1787 ohne Urteil[1] und Recht bereitet. In dieser Höhle, wo er lebendig begraben war, wird die Empörung über dieses Attentat auf die Würde des Menschen wieder lebendiger. Ließ doch der Herzog eigens dieses „Loch“ für Schubart bauen, indeß dieser noch frei in Ulm lebte! Ein Barnbüler war es, der ihn dann mit tückischer List aus dem Gebiet der freien Reichsstadt lockte, um ihn in grausamem Triumph nach Hohenasperg zu führen, wo ihn – der Herzog selbst und seine Gemahlin erwarteten und zusahen, wie er in dies scheußliche Verließ gebracht wurde. Es wäre wohl sein Grab geworden, wenn der König von Preußen und die Hofpoetin Karschin sich nicht endlich in warmer Fürsprache seiner angenommen hätten. Und darauf machte die umgeschlagene Laune des Fürsten ihn in Gnaden zum Theaterdirector in Stuttgart, wie um nun den Genius zu ehren, der vorher in wildem Aufschrei über die Despotie die „Fürstengruft“ auf Hohenasperg gedichtet. Hier, mit diesen Erinnerungen, begreift man erst die „Räuber“, zu welchen der Besuch bei dem gefangenen Schubart im Herbst 1781 unserm Schiller, dem damaligen Zögling der Karlsschule, so mächtige Anregung gab. Sandte ihm doch Schubart die flammenden Prophetenworte nach, daß ihm – Schillern – Gott gegeben habe

          Sonnenblick
Und Cherubs Donnerflug,
Um starken Arm, zu schnellen
Pfeile des Rächers vom tönenden Bogen.

Herzog Karl war im Jahre 1793 gestorben. Vom Jahre 1795 an regierte sein zweiter Bruder Friedrich, der unter der napoleonischen Herrschaft erst Kurfürst und dann König werden sollte. Die Opfer seiner Cabinetsjustiz sind zahllos; er war Despot aus Verachtung der Menschen. Noch in späteren Jahren, wenn er in seiner Residenz Ludwigsburg neue Minister oder hohe Beamte vereidigte, pflegte er sie mit folgender Erbauung zu entlassen: „Sind Sie dem Lande kein treuer Diener, so kommen Sie dorthin“ – dabei zeigte er nach rechts hinüber zum Hohenasperg; „sind Sie aber Ihrem König zu Schaden, so enden Sie da.“ Worauf er nach links hin auf Neckarweihingen zeigte, wo damals der Galgen stand.

Eins der beklagenswerthesten Opfer seiner Härte ist der Oberst Freiherr von Wolf. Derselbe war zur Zeit des Einfalls der Franzosen im Jahre 1800 unter Vandamme Commandant der früher unbezwungenen Festung Hohentwiel unweit des Bodensees und übergab dieselbe etwas vorschnell, da er mit seinen paar Invaliden an einen Widerstand von Erfolg nicht denken konnte. Herzog Friedrich war wüthend über diese Capitulation; er ließ keine Entschuldigung gelten und Wolf, damals schon ein Mann von siebenundfünfzig Jahren, sollte in lebenslänglichem Kerker dafür büßen, zumal er im Verdacht stand, Sympathieen für Preußen zu haben, wo auch sein Sohn in militärischen Diensten stand. Auf Hohenasperg gab man ihm ein kaltes, feuchtes Zimmer mit der Aussicht nach dem Hof. Er durfte auf einer Schiefertafel schreiben und das Geschriebene, nachdem es die Censur des Commandanten passirt, von Quartiermeistern copiren lassen. Alljährlich besuchte ihn zum Christfest seine Tochter und verblieb zu seiner Freude einige Tage auf der Festung. Wolf beschäftigte sich wissenschaftlich und machte auch politische Verse. Als Napoleon im Jahre 1809 den Hohenasperg besuchte, schrieb der Greis unter dem Salutdonner der Kanonen mit Kreide an seine Thür:

Wenn Erob’rer stolz sich brüsten,
Bauen sie doch ohne Den auf Sand,
Der den Rath, das Herz der Fürsten
Lenkt, wohin er will, mit starker Hand.
Menschenwerk vergehet,
Gottes Rath bestehet.

Als Friedrich als Kurfürst die Festung besuchte, wagte Wolf, aus seinem Fenster den Ruf „Gnade!“ an ihn zu richten. Dies nahm Serenissimus sehr übel auf und dictirte sofort dem Verwegenen noch zehn Jahre längere Haft. In seiner Verzweiflung machte der schon altersschwache, zitternde Greis dann einen Fluchtversuch; doch er mißlang. Der Bediente des Platzhauptmannes packte ihn in demselben Augenblicke, als er die Grabenmauer übersteigen wollte, nachdem er an seinem Betttuche sich glücklich hinuntergelassen. Nach sechszehnjähriger Gefangenschaft, dreiundsiebenzig Jahre alt, erlangte er erst die Freiheit zurück. Für ihn wie für so viele Andere war der Tod König Friedrich’s 1816 die Erlösung.

Zeit- und Leidensgenossen von Wolf auf Hohenasperg waren eine Anzahl von Separatisten, einer merkwürdigen Secte, die sich auch in Würtemberg zu Anfange des neunzehnten Jahrhunderts von Neuem ausbreitete. Sie hielten sich als wahre Christen nur an das Dogma der Bruderliebe, verwarfen das Recht jeglicher Obrigkeit, die Taufe, den Eid und den Kriegsdienst. Wegen dieses letzteren Umstandes zumal fuhr die Regierung endlich zwischen sie und schickte massenhaft die Männer, meistens wohlhabende und streng rechtliche Bauern, auf die Festungen, die Weiber in die Spinnhäuser. Nicht die grausamste Mißhandlung brachte sie von ihrem Glauben ab, zu dem auch jetzt das Moment hinzukam, daß sie in Napoleon den erwarteten

  1. Original: Urtel
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_008.JPG&oldid=- (Version vom 9.11.2016)