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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Gemach mit Aussicht auf die Landschaft, mit Bett und Tisch und Stuhl, mit Ofen und einem besonderen Nebencabinet. In der Wirthschaft des Festungsbäckers rief er sich mit dessen junger Frau in heiteren Erinnerungen die Zeit zurück, da er bei ihr in Gemeinschaft mit Karl Meier vom „Beobachter“, mit anderen edlen Gästen des Hohenasperg und den Officieren der Garnison bis zum späten Abend sein Schöppchen getrunken. Die Kinder kannten ihn; den Hauptmann begrüßte er als werthen Gönner aus jenen Tagen. Noch war die Hausordnung an der Wand des Korridors jener allerdings besten Haftlocale angeschlagen und sie belehrte, daß der Gefangene hier oben als Gast des würtembergischen Staats alle Freiheiten hatte, außer der Freiheit.

Wir stiegen auf den Wall. Von ihm überschaut man ein prächtiges Stück des schwäbischen Landes. Weingelände umschließen das sieben Stunden lange Thal, welches sich mit seinen Feldern und Wiesen, mit seinen volkreichen Ortschaften und der gewundenen Eisenbahn zu unseren Füßen ausbreitet. Von den Höhen herüber leuchtet manch weißes Schloß und mancher Kirchthurm, und im Süden ruht der Blick auf den Wäldern von Schloß Solitude und dahinter in blauer Ferne auf der scharfen Kante der schwäbischen Alp mit der Bergveste Hohenneuffen. Auf der gegen Ludwigsburg und Heilbronn gekehrten Seite steht die einzige große Kanone des jetzigen Hohenasperg, die ihr dumpfes Gebrüll nur noch zum Alarm bei Feuersbrünsten ertönen läßt. Unweit davon ist die hervorspringende Stelle des Walles, von welcher Rösler aus Oels, der als „Reichscanarienvogel“ bekannte Abgeordnete zum deutschen Parlamente und Mitglied von dessen hochverrätherischem Rumpf, durch die kühne Hülfe eines Gesinnungsgenossen aus Stuttgart seine glückliche Flucht bewerkstelligte, wie das im Jahrgang 1862 der Gartenlaube (Nr. 49) ausführlich geschildert ist.

Gegen die Geschichte Hohenaspergs als Staatsgefängniß ist die militärische der Festung seit dem dreißigjährigen Kriege sehr unbedeutend, und wir lassen die letztere daher hier unberücksichtigt. Der Hohenasperg errang sich seitdem seinen Ruf nur als würtembergische Bastille und hat als solche eine der interessantesten Vergangenheiten, aus welcher die grellsten Streiflichter auf die Zustände fallen, denen nur zu lange das Land des wackeren Eberhard im Barte zum Opfer gewesen. Eine große Reihe berühmter und berüchtigter Namen steht mit der Geschichte dieser schwäbischen Zwingburg in Zusammenhang. Wir knüpfen im Folgenden nur an die hervorstechendsten unter denselben an.

Im Sommer 1737 brachte man mit Schimpf und Schande den Juden Süß Oppenheimer in einen der Kellerkerker der Veste. Jahr und Tag hatte er die höchste Macht im Lande gehabt, im Bunde mit fluchwürdigen Höflingen und Jesuiten den bestimmenden Einfluß auf den Herzog Karl Alexander geübt und mit unerhörter Willkür über die Finanzen des Staates geschaltet, sich selbst aber damit auf’s Frechste bereichert. Weil Süß für die Bedürfnisse des Herzogs immer Geld anzuschaffen wußte, hatte ihn dieser vom Mäkler zum geheimen Finanzrath und Minister gemacht und am 12. Februar 1737 ihm sogar ein Schutzdecret ausgestellt, welches ihn aller Verantwortlichkeit seiner Handlungen überheben sollte. Mit schamlosem Hohn wurden von ihm und seinen Helfershelfern die Rechte der Stände, die Grundgesetze des Landes mit Füßen getreten und ein System nichtswürdiger Erpressungen in Scene gesetzt. „Was Rechte!“ pflegte er zu sagen. „Was Landstände! Der Herzog ist Herr und Alles ist sein.“ Um das Maß seiner Unthaten voll zu machen, gab sich Süß noch sogar her, eine Art von Bartholomäusnacht über Würtemberg zu bringen. Im Bunde mit dem Bischof von Würzburg und der katholischen Partei im Lande, zu welcher der vom Protestantismus abgefallene Herzog selbst gehörte, sollte der evangelischen Kirchenverfassung mit einem Schlage ein Ende bereitet werden, da auch der Herzog der Meinung war, daß sich der Katholicismus besser mit der von ihm beliebten Despotenregierurg vertrage. Schon war den evangelischen Geistlichen ein Circular zugestellt worden, welches sie zum Abfall zu verleiten suchte; General Remchingen ließ überall in den Dörfern die Waffen wegnehmen und hatte seine Truppen zum Angriff vorbereitet. Die Vornehmsten des Hofes, die nicht zur Partei gehörten, die Prälaten und Landschaftsherren sollten verhaftet und, wenn sie nicht beitreten wollten, aus dem Lande getrieben werden. Die eifrigsten Consistorialräthe, Prediger und Beamten wollte man auf den Asperg setzen. In Zeit von vierundzwanzig Stunden sollte die katholische Religion eingeführt, die Stifts- und Spitalkirche in Stuttgart in Kapuzinerklöster, die Hofcapelle und das Waisenhaus in katholische Kirchen verwandelt werden. Der Tag des heiligen Joseph war zum Ausbruch dieses Streichs bestimmt, welchem der Herzog vom Auslande zusehen wollte. Eben hatte er sich deshalb auf die Reise begeben, als ihn am 11. März 1737 jählings durch einen Schlagfluß der Tod erreichte. Und damit vollzog sich auch der Wahrspruch der sittlichen Rächerin an seiner unwürdigen Camarilla. Die für den jungen Erbherzog Karl eintretende Vormundschaft ließ sofort die Häupter der Verschwörung verhaften. Noch in derselben Nacht, da sein Gönner gestorben, packte Oberst von Reischach den Juden Süß im Stuttgarter Schlosse mit den Worten an: „Schändlicher Vaterlandsverräther! Weißt Du, daß Du sogleich in Arrest gehen sollst?“

Er kam zuerst nach Hohenneuffen, dann nach dem Asperg, wo man ihm den Proceß machte. Süß trotzte allen Anklagen, die gegen ihn aufgehäuft wurden, mit dem Hinweis auf sein Schutzdecret. Es half ihm nichts; das Volk forderte seinen Tod, und seine Richter verurtheilten ihn einstimmig dazu. Die orthodoxe evangelische Geistlichkeit quälte ihn bis zu seinem Sterbestündlein, daß er sich zu ihrem Glauben bekehren solle. Aber Süß wies alle diese Versuche mit Zorn und einer gewissen philosophischen Würde ab. Er war Jude mit Leib und Seele und wollte es bleiben. Bis zum letzten Moment glaubte er immer noch nicht an sein Schicksal. Es vollzog sich jedoch mit all der Henkersbarbarei des vorigen Jahrhunderts. Süß wurde am Hochgerichte rücklings eine achtundvierzig Schuh hohe Leiter, den Strick um den Hals, hinaufgezerrt, indeß er mit gräßlicher Stimme immerfort sein Adonai (Herr Gott!) wiederholte.

Der Vicar, nachdem er nochmals wegen der Bekehrung in ihn gedrungen, rief ihm echt christlich nach: „Du verstockter Jude, wenn Du nicht anders willst, so fahre hin!“ Oben auf der Leiter wurde er in einem großen Käfige von Eisenstangen, den man eigens für ihn von der gesammten Stuttgarter Schlosserzunft hatte anfertigen lassen, an einem Haken aufgehängt.

Unter Herzog Karl wurde der Despotismus noch mehr in das System Ludwig des Vierzehnten gebracht, der für die kleinen Potentaten in Deutschland das verehrte Muster bildete. Herzog Karl, mehrere Jahre am Hofe Friedrich des Großen erzogen, spielte außerdem noch den Soldatenkönig. Er hielt eine große Armee, organisirte Alles, auch die Karlsschule, militärisch und verkaufte seine Landeskinder, wie der Hessenfürst, nach Amerika. Unter seinem Richelieu, dem französischen Emigranten Montmartin, kamen die traurigsten Tage über das bis zur Leibeigenschaft erniedrigte Volk. Montmartin machte es noch ärger als Süß. Er verkaufte Aemter und Stellen; er ließ zuweilen alle Männer, wenn sie aus der Kirche kamen, von seiner Soldateska aufgreifen, einkleiden und als verkaufte Soldaten nach England transportiren. Wer nicht zu seinem Willen war, kam nach Hohenasperg. So ging es auch seinem eigenen Helfershelfer, dem Obrist Rieger, der allerdings als Gefangener von Hohentwiel den Unbestand der Despotengunst erfuhr, aber, wieder zu Gnaden gekommen, lange Jahre General-Commandant des Hohenasperg und als solcher auch der rohe Quälgeist Schubart’s, von dem wir später sprechen, war. Rieger war der Geldbesorger des Herzogs Karl gewesen und diesem wegen der Leichtigkeit, mit welcher er immer wieder Mittel anzuschaffen wußte, unentbehrlich geworden. Montmartin entledigte sich dieses Nebenbuhlers in der Gunst seines Allergnädigsten durch einen infamen Hallunkenstreich. Er ließ Briefe fälschen, die dem Herzog beweisen sollten, daß Rieger mit dem im Jahre 1762 nach Franken eingerückten preußischen General von Kleist feierlich im Einverständniß stehe, um diesem Würtemberg in die Hände zu spielen. Daraufhin ließ der Herzog den schmählich verleumdeten Mann ohne Weiteres auf die Festung bringen. Erst nach fünf fahren gab er ihm die Freiheit zurück und als er endlich das Unrecht eingesehen, welches er diesem treuen Fürstendiener, aber sonst wenig rühmenswerthen Mann angethan, ließ er wieder die Sonne seiner alten Huld auf ihn scheinen. Interessant ist auch, daß Rieger diese Wiederherstellung der herzoglichen Gnade einem Verein zu danken hatte, der aus Anlaß seines Schicksals sich gebildet. Es waren meist Officiere und angesehene, hohe Beamte, welche sich zu einer Gesellschaft verbunden hatten, um sich gegenseitig bei Willküracten des Herzogs

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_007.JPG&oldid=- (Version vom 13.4.2019)