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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Hingebung wie andere Affen die ihrigen. Vielfach verfolgt von Adlern und vierfüßigen Räubern, bedroht auch von indianischen und weißen Jägern, welche Fleisch und Fell verwerthen, führen sie ein ununterbrochen gefährdetes Leben, kommen jedoch trotzdem noch überall und selbst in der Nähe bevölkerter Ortschaften vor, – Beweis genug, daß sie sich stark vermehren und allerorten schützende Schlupfwinkel finden. Ihres hübschen Aeußeren wegen hält man sie gern in Gefangenschaft, bezahlt auch drüben wie bei uns ziemlich hohe Preise für sie, für ein Pärchen Löwenäffchen z. B. gegen anderthalbhundert Thaler, selten weniger, oft mehr.

Als unsere entferntesten Verwandten, als die am tiefsten stehenden Affen bezeichnete ich sie, und die Gerechtigkeit verlangt, daß ich eine ihnen so wenig günstige Behauptung begründe. Das Affengepräge an ihnen läßt sich allerdings weder verkennen, noch in Abrede stellen, ist aber nicht zu voller Geltung gelangt. Sie besitzen weder die überlegte und gesicherte Beweglichkeit des höher stehenden Affen, noch dessen Begabungen, höchstens dessen Leidenschaften. Ihr Klettern ist kein selbstbewußtes Beherrschen des Gezweiges mehr, wie wir es bei den verschiedensten Baumaffenarten beobachten, vielmehr eher ein Baum- oder Astrutschen, wie es Eichhörnchen und andere Krallenkletterthiere ausüben. Sie klettern nicht wie die Menschenaffen nach Art eines baumbesteigenden Knaben, gehen nicht wie Stummel- und Schlankaffen oder Meerkatzen spazieren auf den Baumästen, werfen sich nicht ohne Besorgniß von einem Aste zum anderen, gleichviel ob letzterer breche und im Fallen ein neuer gesucht und ergriffen werden müsse, benutzen auch ihren Schwanz nicht als Greifwerkzeug wie viele ihrer Heimathgenossen, sondern rennen, mit ihren Krallennägeln sich an- und einklammernd, einfach an den Stämmen der Bäume empor oder auf deren Aesten dahin, springen zwar manchmal ziemlich weit, immer aber mit großer Vorsicht, ersichtlich und nicht ganz mit Unrecht fürchtend, das gesteckte, Ziel zu verfehlen und zum Boden herabzufallen. Als ungeschickt, täppisch, unbehende darf man sie übrigens nicht bezeichnen: es fehlt ihnen nur die Freiheit aller Bewegungen und Stellungen, wie sie die übrigen Affen bemerken lassen, die Vielseitigkeit der Kletterkünste, welche diesen in so hohem Maße eigen ist. Immer und immer wieder erinnern sie an das Eichhorn, nicht allein im Laufen, Klettern und Springen, sondern auch bezüglich der Haltung ihres Leibes, durch die ihnen eigene Gewohnheit, sich platt auf die Aeste zu legen oder zu drücken, wegen ihres ängstlich dummen Begaffens jedes fremdartigen Wesens und hinsichtlich anderer Eigenheiten mehr.

Die Aehnlichkeit zwischen ihnen und den Eichhörnchen tritt noch schärfer hervor, wenn man nicht allein ihre leiblichen Begabungen und gewohnheitsmäßigen Sitten, sondern auch ihre geistige Befähigung in Betracht zieht. Sie sind geistig ebenso viel Nager wie Affe. Mit beiden haben sie Reiz- und Erregbarkeit gemein, erheben sich aber wenig über die mit Recht verstandesarm genannten Nager. Auch ihr Geist ist lebhaft, ermangelt aber der Bieg- und Schmiegsamkeit höherer Affen. Fast will es scheinen, als ob ihre Gedanken niemals eigentlich zur Klarheit gelangten, und sie nicht recht wüßten, was sie wollten. Der höher entwickelte Affe ist geistig mehr oder weniger Abbild, mindestens Zerrbild des Menschen und hat Eigenheit: der Krallenaffe erinnert nur durch die Gesichtsbildung an seine Verwandten, und sein Eigenwesen tritt wenig hervor; bei jenem verkehrt man mit dem einzelnen, welcher sich, je nach den Umständen, nach Oertlichkeit und besonderen Verhältnissen, Umgang mit anderen Geschöpfen und dergleichen, oft wesentlich von seinen Artgenossen unterscheidet: diese sind sich, wie leiblich, auch geistig in hohem Grade ähnlich; einer handelt wie der andere: nicht einmal die Verschiedenheit der Art bedingt in dem Wesen derselben einen merklichen Unterschied. Der Affe im eigentlichen Sinne des Wortes ist entschieden selbstbewußt, klug, überlegsam, gedanken- und erfindungsreich, schlau, listig, witzig, oft boshaft und selbst etwas heimtückisch, aber auch muthig, anhänglich gegen Seinesgleichen oder über ihm stehende Wesen, hülfsbereit, barmherzig, sogar aufopferungsfähig; der Krallenaffe ängstlich, furchtsam, mißtrauisch, verschlossen, kleinlich und vergeßlich. Jener schließt sich dem älteren, verständigeren, erfahreneren seiner Art oder einem Verwandten, beziehentlich dem Menschen rückhaltslos an, läßt sich leiten, bemuttern, unterrichten, erziehen, fortbilden, erkennt ebenso dankbar empfangene Wohlthaten an, wie er ihm widerfahrene Unbill nachträgt und gelegentlich zu rächen sucht: dieser sieht in keinem anderen Geschöpfe einen Rathgeber, Führer und Beschützer, gewöhnt sich an ihm zu Theil werdende Freundlichkeit, wie sich ein Eichhorn, eine Ratte solche gefallen läßt, ohne deshalb Dankbarkeit an den Tag zu legen oder auch nur Vertrauen zu gewinnen. Man nennt ihn zahm, wenn er nicht mehr nach der ihm schmeichelnden Hand zu beißen droht, seinem Pfleger nicht mehr Grimassen schneidet, in denen sich ebensoviel Furcht wie Prahlsucht ausdrückt, wenn er sich auf den Arm nehmen, streicheln und sonstwie liebkosen läßt, ohne mit zitternden Lauten aufzuschreien; von einer Hingabe an seinen Wohlthäter, einem Sichanschmiegen oder auch nur Entgegenkommen bemerkt man nichts. Er läßt sich vielleicht zu diesem oder jenem abrichten, aber nicht lehren, erlangt kaum Verständniß für Worte oder Befehle, zeigt sich ebensowenig empfänglich für Belehrungen wie für Strafe, ist daher weder bildsam noch lernbegierig. Anscheinend seiner Schwäche und Hülflosigkeit sich bewußt, sieht er in jedem anderen, ihm stärker dünkenden Geschöpfe einen fürchterlichen Feind, dem er zunächst zu entfliehen, kaum zu widerstehen trachtet. Diese ungemessene Furchtsamkeit bestimmt alle hervorragenden Züge seines Wesens: die Scheu, welche er selbst dem zärtlichsten Pfleger gegenüber selten ablegt, das Mißtrauen, mit welchem er jede Handlung desselben überwacht und deutet, die uns oft als Bosheit erscheinende Abwehr, zu der er sich zuweilen, meist in durchaus ungerechtfertigter Weise, aufrafft. Er besitzt alle Eigenschaften eines verächtlichen Feiglings: die klägliche Stimme, welche uns wie der Ausdruck ewiger Unzufriedenheit mit seinem Schicksale vorkommen will, die ersichtliche Unfähigkeit, richtiger vielleicht Unwilligkeit, in Unvermeidliches sich zu fügen, die jammerhafte Hinnahme aller Ereignisse, die krankhafte Sucht, jede Handlung eines anderen Geschöpfes auf sich zu beziehen etc., ist mit einem Worte ein Heuler der widerlichsten Art. Der Kapuzineraffe schaut mit seinem verwetterten oder doch gefurchten Mönchsgesicht ebenfalls nicht sonderlich fröhlich in die Weite und heult, wenn auch nicht über die Sündhaftigkeit der Welt wie sein Nach- oder Ebenbild, so doch zum Zeitvertreibe, ist aber bei all dem ein munterer, heiterer Gesell, welcher, so lange er nicht friert und hinlänglich zu essen hat, unverkennbar Humor bekundet: der Krallenaffe hat von Humor gar keine Ahnung, weil er selbst keine Spur davon besitzt, geht überhaupt niemals auf Scherze ein, wie jeder andere Affe thut. Geselligkeit ist ihm nicht gänzlich abzusprechen; er sucht sie aber nur im Umgange mit Seinesgleichen, nicht mit anderen Thieren; Hülfsbereitschaft zeigt, Mildthätigkeit übt er einzig und allein an seinen eigenen, nicht an fremden Jungen: die von uns oft bespöttelte und so rühmenswerthe Bemutterungssucht und „Affenliebe“ seiner Verwandtschaft, welche sich an jedem jungen hülfsbedürftigen Wesen bethätigt, scheint ihm fremd zu sein.

Niedlich aber sind sie trotz alledem, diese Krallenaffen; niedlich insbesondere erscheinen sie Frauen und Kindern oder Denen, welche in den höherstehenden Affen immer nur das Zerrbild und nicht eine Vorbildungsstufe des Menschen erblicken können. Ohne daß man es vielleicht weiß, vergleicht man jene mit Nagethieren und denkt daher zunächst an diese. Dem Nagerleibe verleihen das Affengesicht mit den lebhaft blickenden Augen und die Pfotenhände etwas uns Ansprechendes und Bestechendes; auch erfreut man sich wohl an der zwar oft grellbunten, meist aber doch nicht unangenehm in’s Auge fallenden Färbung des feinen Pelzes, an den raschen Bewegungen und selbst an der bei den meisten Arten förmlich flötenden, im Maule des Säugethieres geradezu einzigen Stimme, welche mehr noch als die einer singenden Maus an das Gezwitscher eines Vogels erinnert. Die unliebsamen Eigenschaften der Thiere, ihre geringen Verstandeskräfte, ihr uns auf die Dauer unbefriedigendes Gebahren lernt man erst nach eingehenderer Bekanntschaft mit ihnen, nach schärferer Beobachtung ihres Wesens, ihrer Sitten und Gewohnheiten kennen, hält sie deshalb allgemein für weit klüger, anmuthiger und liebenswürdiger, als sie sind, und erklärt sie für allerliebste Geschöpfe in jeder Hinsicht. Am Käfige unserer Löwenäffchen verweilen fast Alle, welche das Berliner Aquarium besuchen, und zumal alle Frauen länger als an jedem andern Behälter, und nur freundliche, wohlwollende Worte werden bei Besichtigung der Thierchen laut, während dieselben Frauen angesichts unseres vortrefflichen, gutmüthigen, harmlosen, in Scherz und Spiel, namentlich in wohlüberlegten

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