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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Blätter und Blüthen.


Meschhed Ali. Die fortschreitende Civilisation beginnt die meisten Gegenden und Gegenstände der Romantik und Poesie zu entkleiden, so daß die Journalisten ihren Lesern gegenüber, die in unserm Jahrhundert, dem nüchternen, noch nach Außergewöhnlichem verlangen, einen harten Stand haben. Indessen wer sucht, der findet immer noch Manches, was den literarischen Commis voyageurs entgangen. Diese Behauptung will ich durch nachstehende flüchtige Skizze illustriren. Sollte trotzdem wider Erwarten eine solche Skizze schon existiren, nun, dann habe ich mich einfach blamirt – ich lasse es darauf ankommen!

Etwa sechsunddreißig Stunden südlich von Bagdad liegt ein Ort, der, ziemlich verborgen vor aller Welt, erst seine Bedeutung durch den dort befindlichen Begräbnißplatz eines Propheten erhielt, den die Geschichte als den Concurrenten Muhammed’s, des Propheten, bezeichnet. Es ist Ali, der Schwiegersohn Muhammed’s, und der Ort, wo er begraben wurde, trägt den Namen Meschhed Ali (Meschhed bedeutet Begräbnißplatz eines Heiligen). Dieses Meschhed Ali ist das Mekka Persiens, denn nach der Meinung der Perser ist Ali der wahre, unverfälschte Prophet; der Engel habe sich nämlich bei der Verkündigung gefälligst geirrt und sei zu Muhammed gegangen, was ja leicht möglich, da es dazumal keine Adreßkalender gab. Jeder Perser, der nun selig werden will, glaubt dies sicher zu erreichen, wenn er alle seine Kostbarkeiten dem begrabenen Ali vermacht, und so sind denn schon länger als zwölfhundert Jahre dort jene unglaublichen Schätze, bestehend in Perlen, Gold und Diamanten, in der Kuppel der Moschee, in der daselbst befindlichen Schatzkammer aufgehäuft worden, die ihres Gleichen suchen.

Die Perlen allein wiegen nach der Versicherung des dortigen Schatzmeisters siebenzig Kantar (etwa achttausendfünfhundert Pfund). Die beiden Minarets der Moschee, die Kuppel derselben und zahllose Verzierungen an den Wänden außerhalb sind mit Goldplatten bedeckt, die Hängelampen im Innern und viele andere Kostbarkeiten mit Diamanten besäet. Da auch den Türken jener Ali heilig, so greifen sie diese Schätze nicht an, sondern lassen die Perser immer noch mehr herbeischleppen. Eine ähnliche Moschee befindet sich zwölf Stunden westlich vom ehemaligen Babylon, genannt Meschhed Hussein, wo Hussein, der Sohn Ali’s, begraben liegt.

Was in diesen und noch manchen anderen Moscheen an Schätzen ungenützt verborgen, davon hat man gar keinen Begriff und man muß es selbst sehen, um es zu glauben. Es wird sich dem Leser, nachdem er von der großen Hungersnoth in Persien gehört, unwillkürlich der Gedanke aufdrängen, daß die Perser sich wohl hätten vermittelst dieser Schätze Brod in Menge verschaffen können. Jawohl – aber man wolle bedenken, daß es kaum bigottere Menschen giebt als die Orientalen, gleichviel ob von der Secte der Schiiten oder der Sunniten. Sie würden es als das größte, todwürdigste Verbrechen ansehen, geheiligte Schätze anzugreifen, selbst wenn sie dadurch dem Hungertode entgehen könnten.

Außerdem kommt dabei noch ein Factor mit in Rechnung, das ist der ausgeprägteste Fatalismus, der sich durch vollkommene Passivität dem Schicksale gegenüber charakterisirt, der dem Orientalen gebietet, die Hände in den Schooß zu legen, wenn das Unglück an ihn herantritt, anstatt dasselbe nach Kräften abzuwehren. Kismet, Schicksal, sagt der Orientale, wenn ihm sein Haus abbrennt, und sieht ruhig zu, seinen Tschibuk rauchend. Kismet und wieder Kismet! Dieser Fatalismus entspricht gar zu sehr dem phlegmatischen Temperament, der Schlaffheit und Dummheit dieses Volkes, als daß man es darin zu bekehren vermöchte. Der Begriff von Sinn und Unsinn ist überhaupt bei dieser Sorte von Menschenkindern, sobald ihre Religion oder ihre Sitten und Gewohnheiten mit in’s Spiel kommen, sehr verwirrt. Es giebt allerdings aufgeklärte, d. h. bis zu einem gewissen Grade aufgeklärte Orientalen, bei denen die Glaubensartikel noch einige geheime Zusatzartikel anti-koranischen Inhalts enthalten, die, wie ja auch in der Politik Aehnliches stattfindet, die einzigen sind, denen gemäß gehandelt wird. So giebt es z. B. Türken, die einen Nordhäuserkümmel zu jenen geistigen Genüssen rechnen, die nicht zu verachten sind. Diese sogenannten Kümmeltürken, auch Jungtürken, befinden sich jedoch bisjetzt noch in der Minorität; der Charakter, die Anschauungsweise der meisten Islamiten spotten jeder besseren Einsicht; es ist überhaupt ein Volksstamm, der aus Mangel an geistiger und physischer Kraft seinem gewissen Untergange entgegengeht, denn er vermag der andrängenden Civilisation nicht zu widerstehen.

H. v. M.




Ein Epiker. Es ist eine Reihe von Jahren her, daß einer unserer ältesten Mitarbeiter, Ludwig Storch, über ein neues Epos, das damals von Julius Grosse erschienen und „das Mädchen von Capri“ betitelt war, folgendermaßen schrieb: „Unserer Ueberzeugung nach ist das ‚Mädchen von Capri‘ eins der besten Erzeugnisse der neuen deutschen Poesie überhaupt, und in der lyrisch erzählenden Gattung ist seit ‚Hermann und Dorothea‘ nichts, das diesem Werk Grosse’s gleich käme, erzeugt worden. Ein echtes, gesundes Flügelkind jener wunderbaren Verbindung des antiken Geistes mit der modernen Weltanschauung ist es vom Schöpferhauche Homer’s und Goethe’s gleich stark durchglüht.“ Ein größeres Lob konnte dem Dichter nicht ausgesprochen werden, der inzwischen rüstig fortgearbeitet und in einer ganzen Reihe neuer Epen, wie in dem prächtigen, farbenfrischen Hochlandsidyll „Gundel vom Königssee“, in den mit orientalischen Farben tief gesättigten und phantastisch ausgestatteten Dichtungen „Tamarena“ und „Farek Musa“, in dem erschütternden Liebesdrama „Owaja“ u. A. auf’s Neue seine Meisterschaft in der Naturmalerei jeder Art, in der lebensvollen Schilderung eigenthümlicher Charaktere und in der Beherrschung volltönender, melodisch hinreißender Rhythmen gezeigt hat. Schon das verdiente die höchste Anerkennung in einer Zeit, da die Poesie im eigentlichsten Sinne des Wortes weniger und weniger gepflegt wird und die meisten Talente auf dem Gebiete der Erzählung sich der geschmeidigeren und gefügigeren Prosa zugewendet haben, wenn auch nicht zugleich und ganz besonders hervorgehoben werden müßte, daß gerade Grosse vor Vielen zu den unermüdlichsten Pflegern des wirklich Idealen und wirklich Schönen im Reiche der Kunst zählt. Um so lieber zeigen wir unsern Lesern an, daß die meisten Epen Grosse’s in einer von Künstlern, wie Thumann, Marschall, Watter, reich illustrirten und sechs mäßige Bände umfassenden Prachtausgabe (Berlin, Lipperheide) unter dem Titel „J. Grosse’s Erzählende Dichtungen“ soeben erschienen sind. Die Sammlung wird sicher auf dem Weihnachtstisch eines jeden Hauses, wo noch echte Poesie gepflegt wird, eine willkommene und würdige Gabe sein.




Janus. Wir wollen das alte Jahr nicht verstreichen lassen, ohne hier ein Wort der Empfehlung über Rudolf Gottschall’s neueste Gedichtsammlung „Janus. Friedens- und Kriegsgedichte“ zu sagen. Dieselbe weist ein lyrisches Repertoire auf, welches, was die Fülle der einzelnen Rubriken und den Reichthum innerhalb derselben betrifft, unter den ähnlichen Sammlungen der Gegenwart ausgezeichnet zu werden verdient. Fesselnd durch die Bedeutsamkeit ihres Gedankengehalts und die monumentale Kraft ihres Ausdrucks, bekunden diese Gedichte fast durchweg einen hohen rhetorischen Schwung und sind somit eine würdige Bereicherung der modernen Lyrik.




Kleiner Briefkasten.

X. in Breslau. Die in dem Artikel „Bühnen-Erinnerungen. I. Bogumil Dawison“ (Gartenlaube Nr. 43 des laufenden Jahrgangs) erwähnte Scene aus Schiller’s „Räubern“ zwischen Franz und Hermann ist durchaus echt und authentisch. Lesen Sie gefälligst die Mannheimer Ausgabe von 1788 (4. Act, 8. Scene) nach, welche das wahre und erste Original Schiller’s repräsentirt. Da haben Sie genau die Situation unseres Artikels! Nach dieser Ausgabe inscenirt man noch heute fast ausnahmslos das Stück. In späteren Editionen wurde die Scene häufig in Wegfall gebracht. Cotta ist hierin, wie in manchen anderen Punkten, nicht Autorität. Auch Heinrich Kurz hat in seine „Kritische Ausgabe Schiller’s“ (Hildburghausen, Bibliographisches Institut. 1868) diese Scene (2. Bd., S. 184) aufgenommen.

Anna-Marie M.….a. Die uns eingesandten Arbeiten, in Versen und in Prosa, beweisen sämmtlich Geist und dichterische Empfindung, namentlich aber eine feurig sprudelnde Phantasie. Ihre humorvollen Briefe haben uns höchlich amüsirt. Wenn wir trotzdem von Ihren Arbeiten leider keinen Gebrauch machen können, so hat das seinen Grund in der Ueberfülle des uns vorliegenden Materials. Aber wir sollen den Ofen mit den Kindern ihrer Muse speisen? Nicht doch! Haben Sie Erbarmen mit denselben! Oeffnen Sie die Maske der Pseudonymität und uns damit einen Weg, auf dem wir die Kinder an das Mutterherz zurückführen können!

W. v. M. in H. In Erwiderung Ihrer Anfrage in Betreff unseres beliebten Mitarbeiters F. Brunold empfehlen wir Ihnen dessen höchst ansprechende Novelle „Fern der Heimath“ Und die gehaltvollen „Gedichte“ zur Lectüre, zwei Werke voll Geist und Gemüth. Daß Brunold’s „Gedichte“ eine größere Anerkennung verdienen, als sie bisher im Allgemeinen gefunden haben, beweist unter Anderem der Umstand, daß ihre sangbare und melodiöse Form eine Reihe von bewährten Musikern zur Composition von zahlreichen Liedern dieser Sammlung veranlaßt hat.




Die zweite Quittung über die für den Weihnachtsbaum der Ueberschwemmten an der Ostseeküste eingegangenen Liebesgaben erfolgt in der nächsten Nummer.

Die Redaction.




An unsere Freunde.


Wir sind in der angenehmen Lage, den Lesern der Gartenlaube in Deutschland und jenseit der Meere heute schon mittheilen zu können, daß der nächste Jahrgang unserer Zeitschrift folgende Erzählungen veröffentlichen wird:

„Glückauf“ von E. Werner, Verfasser des mit so vielem Beifall aufgenommenen Romans „Am Altar“.
„Der Loder“ von Herman Schmid und eine größere Erzählung von E. Marlitt,

denen sich kleine Novellen von E. Wichert („Schuster Lange“), Werber („Ein Meteor“) etc. anschließen werden.




Wir bitten die Bestellungen für den nächsten Jahrgang recht zeitig aufzugeben.

Leipzig, im December 1872.

Die Redaction und Verlagshandlung.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_846.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)