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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 51.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


„Ja, Du! der Du ihrer Mutter das Leben unmöglich gemacht hattest,“ entgegnete Gotthold, zu Brandow gewandt. „Oder dachtest Du, der Schlag, den Du auf die Mutter führtest, träfe nicht auch das Kind? an dem schnöden Gift, das Du jener in den Becher des Lebens träuftest, würde sich dieses nicht den Tod trinken? Du kannst es nicht gedacht haben, denn auf diese Liebe von Mutter zu Kind, von Kind zu Mutter hattest Du Deinen ganzen Plan gebaut; Du hast das Band, das Beider Seelen verband, für stark genug gehalten, Dein ganzes Schandgewebe von Lug und Trug, Verrath und Gewaltthat daran zu knüpfen. Noch einmal: wenn es stirbt – Du hast es getödtet. Mache Dir das klar, Mann, wenn Du kannst. Es ist so entsetzlich, daß Alles, was Du sonst gethan, harmlos dagegen ist; es ist so furchtbar, daß Du daran zur Besinnung kommen mußt.“

Gotthold machte ein paar Schritte durch das Gemach; dann blieb er wieder vor seinem Gegner stehen, der, den Kopf in beide Hände gestützt, zusammengesunken dasaß.

„Brandow, sie sagen, als ich damals, von Deiner Klinge niedergeworfen, vor Dir am Boden lag, habest Du noch einmal zugeschlagen. Es ist mir immer unmöglich gewesen, es zu glauben; es wird mir selbst jetzt noch schwer; aber, wie dem sei, ich kann Jemand, der hülflos am Boden liegt, er sei, wer er sei, und habe gethan, was er gethan, nicht den Todesstreich versetzen; aber die Hand kann ich einem Unwürdigen auch nicht reichen, es sei denn, daß er die seine hülfebittend nach mir ausstreckt. Denke daran, Brandow! vielleicht kommt der Moment früher, als Du jetzt für möglich hältst.“

Gotthold hatte das Gemach verlassen; Brandow saß noch in derselben Stellung, in sich zusammengesunken, mit stieren Augen vor sich nieder auf den Teppich blickend. Ein ödes Lächeln irrte durch sein bleiches Gesicht. „Das war eine schöne Predigt,“ murmelte er; „so recht erbaulich! Das hat er von seinem Vater, der Pfaffensohn! Und ich sitze hier, und lasse mich schlecht machen von dem elenden Schwätzer, dem verdammten Heuchler, und schleudere ihm nicht Alles, was er gesagt, zurück in sein scheinheiliges Gesicht! Pah!“

Er sprang auf und irrte durch das Gemach.

„Narretei, und abermals Narretei! Sie hat den Farbenkleckser nicht erst seit heut’ und gestern, sie hat ihn immer geliebt; sie hat es sich nie vergeben können, daß sie sich zu mir herabgelassen, die hoffährtige Prinzeß! Ich wußte es ja seit dem ersten Tage! Und das hätte ich ruhig einstecken sollen? thun sollen, als merkte ich es nicht? zufrieden sein sollen mit den Brocken, die mir hingeworfen wurden? Daß ich ein Narr gewesen wäre! Keiner an meiner Stelle hätte es gethan! und ich habe nur gethan, was Jeder an meiner Stelle gethan hätte! was Tausende thun, die noch nicht einmal meine Entschuldigung haben! Alma wäre schon längst ihrem albernen Manne weggelaufen, wenn ich sie hätte haben wollen, wenn ich nicht immer abgeredet hätte! Aber das wäre ja just das rechte Wasser auf ihre Mühle; läuft doch ihr ganzer Jammer darauf hinaus, daß ich es ihnen nicht leichter gemacht habe. Und hab’s ihnen doch jetzt leicht genug gemacht! Ich Narr, ich Narr! wie hätte ich sie zappeln lassen können, wie könnte ich sie zappeln lassen, wäre es nicht um das verdammte Geld! Sie haben mir den Stein in den Weg geworfen, daß ich darüber stolpern sollte, und ich habe ihnen den Gefallen gethan; und nun stehen sie da und triumphiren!“

Er lief in dem Gemache hin und her, wie ein gefangenes Raubthier.

„Aber es ist noch nicht aller Tage Abend. Es fehlte nicht viel, und ich hätte geflennt über das sentimentale Gerede, als ob Alles die lautere Wahrheit wäre, als ob sie das Kind nicht erzogen hätte, mich zu hassen, als ob es eine Spur von mir hätte, und nicht ebenso gut sein Kind sein könnte, und wahrscheinlich sein würde, wäre er schon damals der edle Hausfreund gewesen, als der er sich jetzt gerirt. Ich habe mich in’s Bockshorn jagen lassen, wie ein dummer Junge. Es kam zu plötzlich; ich war nicht darauf gefaßt; und daß der Hinrich sich wieder eingefunden hat, war ein schändlicher Streich. Wer hätte das denken können, nachdem der Kerl einmal die Dummheit begangen, allen Verdacht auf sich zu laden, und ich ihm hinterher noch die Hölle so heiß gemacht! Er soll es entgelten wenn er mir wieder einmal über den Weg läuft, der Schurke; er soll es entgelten! er und der salbadernde Pfaffensohn, und der alte Schnurrant und der verfluchte Jude und sie – sie –“

Er trat vor den großen Trumeau, der den Fensterpfeiler des Gemaches bedeckte.

„Ich war ihr nicht gut genug; so? Andere denken anders in diesem Punkte. Die Sache ist: ich hatte mich zu billig verkauft. Ein Kerl, wie ich, hätte ganz andere Ansprüche machen können; kann noch jeden Augenblick ganz andere Ansprüche machen, wenn ich auch eben aussehe, wie gestern Abend der Don Juan, als ihn der Teufel holte. Aber es ist nur das grüne Glas und die elende Beleuchtung.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 831. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_831.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)