Seite:Die Gartenlaube (1872) 829.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

von diesem Besuche, daß er sich eines schwer zu beschreibenden Gefühls nicht gut erwehren konnte, indem er die Stufen zum Palaste Friedrich’s hinaufstieg, indem er Sanssouci und alte die Orte besuchte, die durch den großen König geweihet worden sind. Am meisten fühlte er sich von der Geisteswerkstätte des königlichen Weisen, von dem Bibliothekzimmer in Sanssouci angezogen. Er schloß selbst den Bücherschrank auf und nahm einige Bände heraus; es waren gerade die Werke Friedrich’s des Großen. Er zeigte dieselben seiner Umgebung, ebenso den von Friedrich’s Hand geschriebenen Katalog. Auf einem Pulte bemerkte er dann verschiedene Musikalien.

„Das sind wohl die Musikalien, die der große König beim Flötenspiel benutzte?“ richtete er die Frage an den Castellan Droz, der des Französischen vollkommen mächtig war. Dieser bestätigte es.

„Ja, meine Herren!“ wandte er sich zu seiner Umgebung, „dieser große Mann hat sieben Jahre lang dem halben Europa Widerstand geleistet und dabei noch Zeit übrig gehabt, auf der Flöte ein großer Künstler zu sein.“

„Was ist da – dieser Foliant auf dem andern Pulte?“

Ohne die Antwort des Castellans abzuwarten, hatte er den Titel des aufgeschlagenen Buches gelesen und fand, daß es die Kriegskunst von Puységur war. Es war gerade das Capitel vom Tragen des Degens aufgeschlagen.

„Es ist gewiß nicht dasselbe, welches ein Friedrich las,“ bemerkte er mit einem Lächeln.

Diese Besuche hatten ihn einige Stunden in Anspruch genommen. Als er in das Stadtschloß zurückkam und von Duroc vernahm, daß im Neuen Garten von Seiten des französischen Militärs Gewaltthätigkeiten stattgefunden hatten, befahl er um alle Schlösser in und um Potsdam Sicherheitswachen aufzustellen. Am nächsten Morgen ließ der Kaiser seine Garden und seine Lieblingstruppe, die reitende Artillerie, im Lustgarten vor den Fenstern seiner Wohnung manövriren. Wußte er vielleicht, daß auf demselben Platze Friedrich der Große seine ersten Versuche mit reitender Artillerie gemacht hatte? Jedenfalls war es ihm, dem Verehrer des großen Genius, nicht unbekannt, daß dieser der Erste war, der die Nothwendigkeit einer größeren Manövrirfähigkeit der Artillerie erkannte, und vielleicht wollte Napoleon gerade an diesem historischen Orte zeigen, was hauptsächlich auch durch ihn, durch Marmont und Lauriston aus dem Kinde geworden war, dessen Wiege hier gestanden hatte. Nach dem Manöver setzte er sich mit seinen Marschällen und Generalen zu Pferde und ließ sich von dem voranreitenden Stallmeister Müller den Weg nach der Garnisonkirche, zur Gruft Friedrich’s des Großen zeigen. Die Kirche ist vielleicht vom Stadtschlosse nur etwa dreihundert Schritte entfernt; es wäre leichtere Mühe gewesen, den Weg dahin zu Fuß zu machen, aber der Kaiser schien etwas darin zu suchen, dem im Todesschlaf Ruhenden seine Huldigung in aller militärischer Form zu erweisen.

Der stellvertretende Prediger Derège war abwesend; es mußte also schnell die Kirchendienerschaft, der alte Hofküster Geim an der Spitze, der die Notizen über diesen Besuch auch aufgezeichnet hat, zusammengerufen werden. Der Kaiser ritt am Thurmeingange vor, während die Kirchendiener an einem andern Eingange seiner harrten und erst auf das Pferdegetrappel hin an den Thurmeingang eilten. Es bedurfte jedoch einiger Zeit und Anstrengung, bis man die schwere Thüre, die diesen ungewöhnlichen Eingang in die Kirche verschloß, öffnen konnte, bei welchem Geschäft der Marschall Duroc den Hofküster unterstützte.

Die Gruft befindet sich unter der Kanzel, dieser gegenüber der königliche Kirchenstuhl, und in dem Raume dazwischen stand damals der Altar. Das Gefolge war durch eine andere Thür eingetreten und hatte sich, man kann nicht anders sagen, mit allem Ausdruck der Ehrfurcht vor der Bedeutung dieses Ortes um den Altar gruppirt. Vor dem Eingang zur geöffneten Gruft hatten sich zwei Elite-Gensd’armen aufgepflanzt. Der Hofküster führte den Kaiser aus dem schmalen Gang an den bestimmten Ort. Hinter Napoleon ging der Leibmameluk Rustan und hinter diesem noch zwei Elite-Gensd’armen. In der allgemeinen Stille widerhallten in dem hohen Kirchengewölbe die Schritte der auf den Fliesen Dahingehenden. Geim trat in die Gruft und wies mit stummer Geberde auf den schmucklosen Metallsarg, der ohne jede Erhöhung auf dem Boden rechts an der Wand stand, als auf den Sarg, in dem Friedrich der Große ruhte.

In tiefer stummer Betrachtung stand der Heros des neuen Jahrhunderts vor den sterblichen Ueberresten des Heros des vergangenen. Es war Todtenstille in der Kirche; kein Laut, keine Bewegung ging durch den weiten Raum derselben, bis der Kaiser die Worte sprach: „Sic transit gloria mundi!“ Mit ihm war sein Bruder Jerôme in die Gruft getreten, aber bald gab er diesem, so wie Allen, die um ihn waren, einen Wink, daß sie ihn allein lassen sollten. Sie traten an den Vorraum zurück. Nun stand der Kaiser allein in der Gruft, sichtbar Allen, die den Altar umstanden, allein mit dem Andenken eines Mannes, in dem er Geist von seinem Geiste fühlte und eine Ebenbürtigkeit des Genius, die er keinem lebenden Wesen zugestand, allein mit dem großen Todten, der einst die Welt regiert hatte, wie er sie jetzt regierte, und der da, Staub und Asche, in dem dunklen Sarge vor ihm ruhte.

Nach etwa zehn Minuten trat er wieder heraus und besah sich den übrigen Kirchenraum. Er deutete auf den Altartisch und frug, zu welchem Zwecke er diente.

„Er wird zu Taufen und bei der Abendmahlsfeier gebraucht,“ antwortete der alte Geim.

Da er keine heiligen Gefäße sah, so frug er ferner den Küster nach denselben und erfuhr dann, daß sie bis zum jedesmaligen Gebrauche in der Sacristei verschlossen blieben. Dem Auge des Kaisers schien Nichts zu entgehen, was irgend eine charakteristische Färbung oder Bedeutung hatte. So standen zu damaliger Zeit in der Garnisonkirche zwei marmorne Figuren, Mars und Minerva, welche später auf Andringen des Bischofs Eylert hinweggebracht und im Potsdamer Stadtschlosse auf dem Treppenaufgang vom Schloßhofe her aufgestellt wurden. Nichts kennzeichnet mehr den künstlerischen Geschmack im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts, nichts mehr die unbefangene Naivetät des frommen Königs Friedrich Wilhelm des Ersten, als diese beiden heidnischen Götter an christlicher Stätte, durch die er die Bestimmung dieses Gotteshauses als Garnisonkirche andeuten wollte. Wenn diese Unzukömmlichkeit sich dem Bewußtsein jedes denkenden Menschen aufdringen mußte, um wie viel mehr nicht einem Geiste wie Napoleon dem Ersten! Er frug auch, was die Figuren hier eigentlich für eine Bedeutung haben sollten, und als der alte Geim ihm diese erklärte, antwortete er mit einem halb verwunderten, halb mißbilligenden: „Bah!“

Ehe er jedoch die Kirche verließ, bestimmte er noch gegen Duroc, daß dieselbe unter seinem unmittelbaren kaiserlichen Schutze stehen solle, und weder zu einem Magazine noch zu einem Lazarethe, oder gar einem Stalle benutzt werden dürfe.

Das war der Besuch des neuen Cäsars in dem preußischen Versailles. Wie es den Anschein hatte, sollte der Aufenthalt des Kaisers in Potsdam vorzugsweise eine Todtenhuldigung für den großen König bezwecken. Am nächsten Tage ging er nach Berlin weiter. Die Gegenstände des großen Königs aber, die er im Schlafzimmer desselben im Stadtschlosse gefunden, den Ringkragen, die Schärpe, den Orden und den Degen Friedrich’s des Großen, nahm er an sich und übergab sie in einer Audienz am 19. November den Deputirten des französischen Senats, die zu einer Beglückwünschung von Paris nach Berlin gekommen waren, mit dem Befehle, sie dem Gouverneur des Invalidenhauses in Paris zuzustellen. Er selbst sagt davon, daß dergleichen Trophäen den Werth von hundert eroberten Fahnen haben, und daß man vergessen konnte, sie fortzuschaffen, beweist nur die Verwirrung, die Bestürzung, welche in Preußen herrschte, als die Nachricht ankam von der Katastrophe, welche die Armee betroffen hatte.

Nur acht Jahre verblieben diese Trophäen in Paris; dann wurden sie mit all den Kunstgegenständen wieder heimgeholt; es waren unter letzteren allein aus den Schlössern in und um Potsdam an Gemälden und Statuen zweiundvierzig Kisten nach Paris geschafft worden, ohne dessen zu gedenken, was die Generale noch so nebenbei mitgehen hießen; sie wurden heimgeholt, nachdem die siegreichen verbündeten Heere Paris eingenommen, und sich an dem überwundenen Imperator dasselbe Wort erfüllt hatte, das er einst am Sarge Friedrich’s des Großen gesprochen: „Sic transit gloria mundi!“

Georg Horn.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 829. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_829.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)