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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

wirkenden Persönlichkeit, in diesem so überaus bewegten, beziehungs- und erfahrungsreichen Leben zu einem Ganzen sich vereinigten, bringt nicht jedes Jahrhundert und wohl die Folgezeit niemals wieder hervor. Es ist daher gut, daß ein so denkwürdiges und bezeichnendes, in die Geschichte unserer Zeit so vielseitig verflochtenes Charakter- und Lebensbild der Mit- und Nachwelt nicht verloren geht, daß es bereits mit allen seinen Räthseln, seinen Größen und Schwächen so wahrheitsgetreu geschildert werden konnte, wie es soeben Fräulein Ludmilla Assing in einer ausführlichen Biographie des Fürsten uns vorzuführen beginnt.

Vor uns liegt aber auch ein Buch, das zu den Beiträgen aus dem Nachlasse des „Verstorbenen“ gehört, welche das eben erwähnte Lebensbild ergänzen sollen. Den größeren Theil der Seiten nehmen Briefwechsel ein, die Pückler im Anfange der dreißiger Jahre mit Bettina von Arnim und in den Jahren 1844 und 1845 mit der Gräfin Ida Hahn-Hahn geführt hat. Die Briefe enthalten einen nicht geringen Reichthum an geistvollen Urtheilen, überhaupt sehr viel Interessantes und Charakteristisches. So kurz aber die Zeitspanne ist, welche zwischen dem heutigen Tage und jenem lebhaften Austausch liegt, es weht uns aus dieser Steigerung eines einseitigen Gedanken- und Empfindungslebens doch etwas an wie Verwesungsgeruch einer thatenarmen und todesreifen Epoche, das unfrische Parfüm einer längst vom Zeitsturm hinweggewehten Bildungsaristokratie. Der Gebildete des heutigen Geschlechts hat noch Interesse und ein geschichtliches Verständniß für das brillante Leuchtfeuer, die heißen Dispute jener grübelnden Salon-Titanen, aber fremdartig berührt und mit Unbehagen wendet er sich zugleich ab von dem Gemachten und Gedunsenen in ihrem Wesen, von ihrer forcirten Originalitäts- und Genialitätssucht, ihrer müßigen, aller gesunden und klaren Ziele entbehrenden Ideentrunkenheit, bei der es meistens doch nur um die eitelste Selbstbespiegelung sich handelte, um eine oft bis zu wahnwitzigster Narrheit getriebene Beschäftigung mit dem eigenen Ich.

Lassen wir deshalb den schon aus dem Freiheitsdrange des Zeitgeistes geborenen, aber im Ganzen doch krankhaft überreizten Spuk hier bei Seite. Die immerhin mannigfach als tüchtig bewährte Bettina hat ja längst den prophetischen Mund geschlossen, die von ihr sehr verschiedene genial-emancipirte Gräfin Ida ist mit all ihrem himmelstürmerischen Selbstgefühl im stillen Hafen betschwesterlicher Trivialität gelandet; Pückler aber, der auch einst eine Zeitlang zu den Füßen der beiden Priesterinnen geschwärmt, hat nicht blos den wirklichen Heimgang der Einen und den geistigen Tod der Anderen überlebt, als ein in seiner Wurzel gesunder Stamm hat er auch noch freudig die frische Morgenluft eines neu hereinbrechenden Weltumschwunges begrüßt und von ihrem Hauche gern sich anwehen und verjüngen lassen. Wir wissen, daß er 1866 noch rüstig genug war, als preußischer General den König Wilhelm auf die böhmischen Schlachtfelder zu begleiten. Nach beendigtem Kriege aber zog er sich wieder als Einsiedler in die Abgeschiedenheit seiner herrlichen Neuschöpfung Branitz zurück, und man hat gehört, mit welcher unermüdlich regen und verständnißvollen Theilnahme er hier forschend und studirend allen lebendigen Ergebnissen der Zeitbewegung folgte, namentlich den wissenschaftlichen Befreiungskämpfen auf dem religiösen Gebiete. Aber auch für das künstlerische Schaffen der Zeit, für den poetischen Ausdruck des Protestes gegen eine gebrochene und doch noch gewaltsam sich haltende Welt des Geisteszwanges, der Volksunterdrückung und Menschenentwürdigung hatte der merkwürdige Greis noch eine überaus wache Empfänglichkeit und ein außerordentlich scharfes Auge. Es gab hier keine bedeutende Erscheinung, die nicht in dem fürstlichen Einsiedler auf Schloß Branitz einen eingehenden Kritiker gefunden hätte, und so kam es, daß er im Jahre 1868 sich in seinem Innersten von einer Erzählung getroffen sah, die nichts von jenem sprühenden Raisonnement, jener blitzenden Gedankenphantastik an sich trug, welche er einst an den Ergüssen Bettina’s und den Romanen der gräflichen Mecklenburgerin bewundert hatte.

In den laufenden Nummern der „Gartenlaube“ hatte er das ergreifende Bild aus dem Leben der Gegenwart gefunden, es war Marlitt’s bekanntes „Geheimniß der alten Mamsell“, dieses jubelnde Lied vom Siege der Menschlichkeit und des gesunden Volkssinnes über die hochmüthige und heuchlerische Modefrömmelei der höheren Stände! Je mehr aber der hochbejahrte Aristokrat mit der erregbaren und geisteskräftigen Jugendseele sich bewegt und erschüttert fühlte von dem poesievollen Gehalt und der lebensvollen Wahrheit jenes schlichten Gemäldes, um so mehr wurde er, seiner Natur gemäß, von einer verzehrenden Unruhe erfüllt. Während seines ganzen Lebens hatte er mit der gesammten Welt des geistigen und künstlerischen Schaffens die lebhaftesten persönlichen Beziehungen unterhalten. Und hier waren ihm stille und oft schon freudenarme Tage des Alters durch eine neu aufgetauchte schöpferische Kraft belebt und verschönert worden, die wohlthuenden Athem ihres warmen Lebens in Hütten und Paläste strahlte, aber vor dem Gruße des Dankes und der Anerkennung in scheuer Zurückgezogenheit sich bergen wollte. Noch schwebte über Marlitt’s wahrem Namen und Wohnort ein streng bewahrtes Geheimniß. Pückler wendete sich deshalb an den Redacteur der Gartenlaube und sandte demselben zu gefälliger Weiterbeförderung einen Brief an die Dichterin, der nicht unbeantwortet blieb und die Anknüpfung zu einer in jedem Betrachte anziehenden Correspondenz wurde.

Möge sich das Publicum bei der Verlagshandlung Hoffmann und Campe bedanken, daß ihm dieser Briefwechsel nicht vorenthalten wurde, der ein so beredtes Zeugniß ablegt von dem feinen und stolzen Sinne eines heutigen Bürgerkindes. Wie wir aus zuverlässiger Quelle wissen, hat Marlitt lange die von ihr erbetene Erlaubniß zur Publicirung dieser niemals für die Oeffentlichkeit bestimmten Privat-Correspondenz mit hartnäckiger Entschiedenheit verweigert und dem Andrängen erst schmerzlich nachgegeben, als nur die in der Copie vorhandenen Lobsprüche Pückler’s ohne ihre Antworten gedruckt werden sollten. Gerade unzähligen Lesern der Gartenlaube aber ist sicher auch durch diesen Einblick in vertrauliche Eröffnungen einer stets so streng hinter ihren Gestaltungen sich bergenden Lieblingsdichterin ein Dienst erwiesen, und diesem großen Verehrerkreise glauben wir willkommen zu sein, wenn wir hier den betreffenden Verkehr durch einige Auszüge zu charakterisiren suchen.

Wir berühren die drei ersten schon sehr interessanten Briefe nur in einigen kurzen Umrissen. In dem ihm wohlanstehenden Tone einer heute ziemlich abhanden gekommenen Galanterie stellt sich Pückler in seinem ersten vom 9. Februar 1868 datirten Schreiben der „Schönen Unbekannten und liebenswürdigsten Schriftstellerin“ als einen „Collegen“ vor und richtet keine geringere Bitte an sie, als daß sie ihm gegenüber ihrer Anonymität entsagen und ihre volle Adresse angeben möge, damit er sie – auffinden und besuchen könne. „Ihre Geschichte ‚Das Geheimniß der alten Mamsell‘,“ schrieb er, „hat mich so gerührt und entzückt, als wenig andere, die ich gelesen, und im Begriff eine lange Reise anzutreten, von der ich schwerlich wieder zurückkommen werde, da mein zweiundachtzigjähriger Geburtstag schon seit zwei Monaten vorüber ist – hege ich den lebhaftesten Wunsch, noch vorher Ihre Bekanntschaft zu machen.“ Schon am 16. Februar antwortet Marlitt mit bescheidenem und freundlichem Danke, ohne jedoch den ihr ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen, da sie gegenwärtig sehr leidend und an das Zimmer gefesselt sei. Pückler nennt in seiner Erwiderung diesen Brief „diplomatisch“; je mehr er in der Photographie der Empfängerin nur Güte, Geist und heitere Lebendigkeit sähe, um so mehr sei er traurig, seinen Besuch so kurz und bündig abgewiesen zu sehen. Zugleich sendet er sein nach dem letzten Feldzuge in Gala-Uniform gemaltes Porträt und richtet die Bitte an die Empfängerin, sie möge ihn nur „den Verstorbenen“ nennen, ihm aber ihren Vornamen sagen, wie man sie als Kind und junges Mädchen gerufen, und ihm wenigstens eine länger andauernde Correspondenz gestatten, da sie so grausam sei, ihn nicht sehen zu wollen. Mit diesem Ersuchen war die Annäherung auf einen Punkt gediehen, der in der wahrheitsliebenden und zartfühlenden Dichterin ein ernstes Bedenken erregen mußte. Schon früher war ja ihr Roman „Goldelse“ erschienen, und es drängten sich ihr Zweifel auf, ob der Fürst sich ihr überhaupt genähert haben würde, wenn er dieses poetische Manifest gegen den Hochmuth der Adelskaste gelesen hätte. Sie erwiderte:

„An den Verstorbenen. Da steht die Adresse, wie sie gewünscht worden ist; allein das Gefühl und die Feder der Lebendigen sträuben sich gegen diese Bezeichnung – sie soll deshalb zum ersten – und letzten Mal geschrieben sein. Ich liebe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 824. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_824.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)