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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

warm genug empfehlen können, David Müller’s „Geschichte des deutschen Volkes“ (Vahlen, 11/3 Thlr.). Es giebt wenigstens keine populäre deutsche Geschichte, die auf so knappem Raume eine so reiche Menge namentlich auch culturhistorischen Details in so klarer und lichtvoller Gruppirung und so frischer Darstellung enthielte und dabei von so gesunden politischen Anschauungen über den Gang unserer nationalen Entwickelung durchdrungen wäre, wie das Buch von David Müller. Zur Einführung in die allgemeine Weltgeschichte eignen sich die „Geschichtserzählungen“ von Stacke, namentlich die Darstellungen aus dem Mittelalter, der neuen und der neuesten Geschichte (Stalling, 15, 25 Sgr. und 1 Thlr.). Außerdem sind empfehlenswerth die „Charakterbilder aus der Weltgeschichte“ von Grube (Brandstetter, 3 Thlr.). Von brauchbaren Einzeldarstellungen nennen wir Hoffmann, „Columbus, Cortez und Pizarro“ (Trewendt, 21/4 Thlr.); Weidinger, „Friedrich der Große“ (Teubner, 1 Thlr.); Reiser, „Deutschlands Schmach und Ehre“ (Koch, 1/2 Thlr.).

Nächst der Geschichte wollen wir für die Geographie und die Naturwissenschaften einige empfehlenswerthe Bücher bezeichnen, welche den Unterricht der Schule in aller nur wünschenswerthen Weise fördern und beleben können. Eine gute Ergänzung jedes geographischen Unterrichts werden die „Geographischen Charakterbilder“ von Grube abgeben (Brandstetter, 3 Thlr. 121/2 Sgr.). In den Naturwissenschaften empfehlen wir vor Allem zur anregenden Anschauung für Kleinere die Zonenbilder von Leutemann (Thienemann, 2 Thlr.). Für die Naturbeschreibung schlagen wir vor: Wagner’s „Naturgeschichte“ (Thienemann, 1 Thlr.) oder Martin’s „Naturgeschichte“ (Schmidt und Spring, 11/2 Thlr.), für Wohlhabendere die reichhaltige und gut illustrirte große „Naturgeschichte“ von Rebau (Thienemann, 4 Thlr.). Insectensammlern wird man eine Freude machen mit Rebau’s „Käferbüchlein“ (Fleischhauer und Sp., 1 Thlr.) oder Hermann’s „Schmetterlingsjäger“ (Gräbner, 11/2 Thlr.), und wer’s bezahlen kann, der kaufe das prachtvolle „Schmetterlingsbuch“ von Berge (Thienemann 53/5 Thlr.). Für Reifere empfehlen wir noch Schödler’s „Buch der Natur“ (Vieweg und Sohn, 23/4 Thlr.); Stöckhardt’s „Schule der Chemie“ (ebend., 2 Thlr.); Weinhold’s „Vorschule der Experimentalphysik“ (Quandt u. Händel, 31/3 Thlr.); Benthin’s „Lehrbuch der Sternkunde“ (E. Fleischer, 22/3 Thlr.) und ganz besonders auch die bis jetzt in neun Bänden vorliegende „Naturwissenschaftliche Volksbibliothek“ (Oldenb., à Bd. 24 Sgr.).

Haben wir die Lesebücher mit dem vornehmen, aber durchaus zutreffende Namen der poetischen Literatur der Jugend bezeichnet, so ist es nun auch nicht schwer zu errathen, wie es gemeint war, wenn wir sagten, ein Theil der Jugendliteratur bewege sich auf dem Gebiete der bildenden Kunst: es sind die Bilderbücher! Fast alle Jugendschriften sind mehr oder weniger Bilderbücher. Es giebt nur wenige, die, wie die Halle’sche Jugendbibliothek, so enthaltsam sind, auf jeden bildnerischen Schmuck zu verzichten. Wir möchten diese Enthaltsamkeit auch keineswegs als einen Vorzug hinstellen. Gute Illustrationen sind in jedem Buche willkommen, und in Jugendschriften doppelt. Ohne Anschauung steht die kindliche Einbildungskraft entweder rathlos da, oder sie verliert sich in die wunderlichsten Irrwege. Ein großer Theil der von uns genannten Bücher ist denn auch mit Abbildungen versehen, bald mehr, bald weniger guten. Mit diesen haben wir es aber hier nicht zu thun, sondern mit solchen Büchern, die weiter nichts sind und sein wollen als „Bilderbücher“.

Da stehen wir nun freilich vor dem bösesten Capitel der ganzen Jugendliteratur. In keinem Zweige des Buchhandels wird eine solche Unmasse des schofelsten Zeuges hergestellt, als unter den Bilderbüchern. Den meisten thut man eine viel zu große Ehre an, wenn man sie überhaupt noch zu den literarischen Erzeugnissen zählt. Sie werden genau so fabricirt und dutzend- oder hundertweise in Schachteln verpackt und versandt wie die Spielwaaren; in den Spielwaarenläden sind sie auch zu haben, so gut wie in den Buchhandlungen. Von dieser ordinären kleinen Dutzend- und Groschenwaare sehen wir gänzlich ab. Wir sehen aber auch ab von der großen und höchst anspruchsvoll auftretenden Kategorie jener trivialen Fabrikate, zu denen „Der Struwwelpeter“, „Der Stapelmatz“, „Der Daumenlutscher“, „Der Suppenkaspar“ und viele ähnliche Producte gehören. Wenn Bilderbücher außer der Anschauung, die sie gewähren, noch irgend einen Zweck haben, so kann es doch nur der sein, schon in der Kindesseele den Sinn für Schönheit zu wecken. Das wird aber doch Niemand auf dem Wege erreichen wollen, daß er, mit einer Art Abschreckungstheorie, dem Kinde das absolut Häßliche und Gemeine vorführt.

Was die technische Ausführung der Bilder betrifft, so rathen wir vor Allem zur größten Vorsicht bei colorirten Bilderbüchern. Man weiß ja, was es heißt, dieses „Coloriren“. Die einfachste Lithographie, der schlichteste Holzschnitt ist künstlerisch werthvoller und für das Kindesauge bildender, als alle jene grobsinnliche Klexerei, alle jene auffälligen, schreienden und unvermittelten Farben, wie man sie in unseren Bilderbüchern findet. Nur bei Bildern für das ganz kleine Volk würden wir ein Auge zudrücken; hier kann die Farbe vielleicht im Anfange das Unterscheidungsvermögen etwas unterstützen.

Sehen wir uns aber unter den Holzschnitten wiederum gleich nach dem Besten um, so bleiben wir vor zwei Namen stehen: O. Pletsch und P. Konewka. Diese beiden Künstler haben im letzten Jahrzehnt der deutschen Kinderwelt eine Reihe der köstlichsten Bilderbücher bescheert. In den anmuthigen Zeichnungen von Pletsch, wie in den wunderbar lebensvollen Silhouetten Konewka’s ist Alles von tadellosester Correctheit, von reinster und edelster Schönheit. Wir wüßten nichts in der ganzen Jugendliteratur, was wir diesen Schöpfungen an die Seite setzen sollten. Was den Stoff dieser Bilder betrifft, so sind diese liebenswürdigen Meister freilich in derselben Täuschung befangen, wie die meisten unserer Jugendscribenten und Bilderbücherfabrikanten. Was sie geben, sind Genrebilder aus der Kinderwelt. Nun ist das Kind aber schon völlig unempfänglich für das Genre; es verlangt stets etwas Individuelles. Einer Mutter, die mit ihren Kleinen die Bilder von Pletsch durchblättert, bleibt daher gar nichts weiter übrig, als alle Gestalten zu individualisiren, wenn sie das Interesse der Kinder dafür erwecken will: Der kleine Bursche da mit dem papiernen Dreimaster, das ist „Fritz“, und der freundliche Herr im Schlafrock und im Käppchen, das ist „der Onkel Ludwig“. Ebensowenig interessirt sich aber das Kind für die Kinderwelt. Wir haben das schon im vorigen Artikel auseinandergesetzt und brauchen es hier nicht zu wiederholen. R. Reichenau hat in seinem Buche „Aus unseren vier Wänden“ äußerst poesievolle und lebenswahre Bilder aus der Kinderwelt geschildert, R. Schumann in seinen „Kinderscenen“ dieselbe Kinderwelt in der duftigsten und poetischsten Weise in Musik gesetzt; aber welche Mutter oder welcher Lehrer wird so thöricht sein, Kindern Reichenau zu lesen zu geben oder Schumann auf dem Clavier spielen zu lassen? Nun, Pletsch und Konewka haben das gezeichnet, was jene Beiden in Worten und Tönen gesagt haben. Der Erwachsene kann sich an diesen Bildern wahrhaft erbauen, weil er sich in die holde Poesie des Kinderlebens versenken kann; das Kind aber will alles Andere eher und lieber gemalt sehen, als sein eigenes Thun und Treiben. Ein weiterer Fehler aber, den diese schönen Bilderbücher leider mit den Bilderbüchern gewöhnlichen Schlags noch theilen, sind die darunterstehenden Reime. Wozu bedarf es dieser? Sprechen diese Bilder nicht von selbst? Liegt nicht im harmlosesten Schooßliedchen, das von Mund zu Munde geht, mehr wahre Poesie, als in diesen mühselig gemachten, unkindlichen Verslein, die irgend ein beliebiger Versifex auf Bestellung geliefert hat? Wenn doch endlich unsere besseren Bilderbücher wenigstens diese jammervolle Kinderlyrik über Bord werfen wollten! Das hat aber wahrscheinlich noch gute Weile, ’s ist einmal so hergebracht, und so geht es auch ruhig im alten Schlendrian weiter. Trotz alledem muß man, wenn irgend etwas, diese Bilderbücher empfehlen, wenn nicht um des Was, so doch um des Wie willen; es waltet echte, reine Kunst darin, und diese auch dem Kindesauge schon so früh als möglich zu zeigen, darauf kommt es an. Von den schönen Silhouetten Konewka’s nennen wir den „Schwarzen Peter“ (Thienemann, 11/4 Thaler) und die „Schattenbilder“ (ebd. 1 Thlr.). Die Bilderbücher von Pletsch, die fast sämmtlich bei A. Dürr erschienen sind, findet man in jeder Buchhandlung in reicher Auswahl vorräthig. Vor dem achten oder neunten Jahre aber würden wir keinem Kinde diese Bücher in die Hand geben. Für Kleinere rathen wir, sich in der Buchhandlung einen Stoß „Münchener Bilderbogen“ oder noch lieber „Deutsche Bilderbogen“ vorlegen zu lassen und daraus eine gute Auswahl zu treffen. Doch greife man nicht zu den bekannten Carricaturen, wie „Diogenes und die bösen Buben von Korinth“, der „Schnuller“,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_822.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)