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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

wir uns weiter sprechen; nur dürfte sich dann das Blatt gewendet haben. Wessen ich Dich verklage, sind keine schändlichen Erfindungen, wie die famose Cassenscheingeschichte, oder albernen Hirngespinnste, wie die schauderhafte Ermordung des Hinrich, die Ihr ja wohl mit allen grausigen Details auf den nächsten Jahrmarkt bringen werdet, sondern Thatsachen, positive Thatsachen, – ein herrlicher Commentar zu dem Liede vom braven Manne, der die ihm gebotene Gastfreundschaft zu nichts Besserem zu benutzen weiß, als – wozu Du sie benutzt hast. Auf morgen also!“

Brandow schritt mit einer Handbewegung, die verächtlich sein sollte, nach der Thür; Gotthold trat ihm in den Weg.

„Du wirst Dich wohl noch etwas gedulden, wenn ich Dir sage, daß es sich jetzt und hier um Dein Schicksal für die Zukunft handelt.“

„Um mein Schicksal? Bist Du toll?“

„Entscheide selbst! Hinrich Scheel ist seit gestern Abend von mir in Wiessow, wo er sich versteckt gehalten, aufgefunden, in diesem Augenblicke in meiner Wohnung unter der Bewachung der beiden Brüder Prebrow.“

Brandow taumelte, als hätte ihn eine Kugel getroffen, zurück, bis seine Hand die Lehne des Stuhles gefaßt hatte. So blieb er stehen, Gotthold mit weit aufgerissenen Augen anstierend.

„Hinrich Scheel!“ stammelte er.

„Den Du für immer vom Schauplatz verschwunden wähntest, trotzdem Du leichtsinnig oder knickerig genug gewesen warst, den Helfershelfer nicht einmal gebührend abzulohnen. Jetzt muß ich ihn bewachen lassen, nicht um ihn an der Flucht zu verhindern – er will gar nicht fliehen; er will jede Strafe erdulden, wenn Der, für den er gethan, was er gethan, nur nicht der Strafe entgeht – ich lasse ihn bewachen, einfach, um ihn zu verhindern, daß er diese Strafe in seine eigenen harten, grausamen Hände nimmt.“

Brandow war in dem Stuhl zusammengesunken; sein frecher Muth, seine elastische Kraft schienen ihn gänzlich verlassen zu haben, er sah um zehn Jahre älter aus; aber plötzlich schnellte er wieder empor.

„Pah!“ rief er; „und damit denkt Ihr mich in’s Bockshorn zu jagen! Wenn sich der Schuft, der Hinrich, hat fangen lassen, um so schlimmer für ihn! Was kann es mir schaden? Mein Wort wird hoffentlich nicht weniger schwer wiegen, als das eines schurkischen Knechtes, der so offenbar von meinen Feinden bestochen ist! Wer sich rein weiß von Schuld, legt sich nicht auf’s Bestechen; oder denkt Ihr wirklich, irgend Jemand glauben zu machen, ich hätte den Burschen, könnte mich nach irgend einer Seite auch nur ein Verdacht treffen, laufen lassen, ohne mich seiner Verschwiegenheit so oder so zu versichern? Das ist ja der bare Unsinn! oder werdet Ihr sagen: er hat ihm nichts gegeben, damit, würde er gefangen, Niemand fragen könnte: von wem und wofür hast Du das Geld bekommen? Macht’s unter Euch aus! und macht, was Ihr wollt – ein ehrlicher Mann wie ich lacht Eurer Drohungen.“

Er ging wieder nach der Thür, aber sein Schritt wurde langsamer, je näher er derselben kam; und bevor er sie noch erreicht, wandte er sich auf den Hacken um und kam gerade auf Gotthold zu, ein Lächeln auf den Lippen.

„Lassen wir die tragischen Masken fallen, Gotthold, und sprechen wir als vernünftige Leute: welches sind Deine Bedingungen?“

„Die erste, daß Du Dich unbedingt zu Dem bekennst, dessen Dich der Wollnow’sche Brief beschuldigt. Du weißt, was ich meine.“

„Nicht ganz. Das Bekenntniß gilt nur für Dich?“

„Wenn Du Dich den übrigen Bedingungen fügst, ja.“

„Gut; ich habe also gethan, was ich gethan haben soll. Was nun weiter?“

„Was sich dann von selbst versteht. Die Tochter einer ehrenwerthen Familie kann nicht die Gattin eines Verbrechers und soll nicht die eines Zuchthäuslers sein. Das heißt: Du giebst Deine Zustimmung unverweigerlich zu Allem, was wir – ich meine Herr Bogislaf Wenhof, Wollnow und ich – Dir behufs der Scheidung vorschreiben werden.“

„Und meine Tochter?“

„Beantworte Dir die Frage selbst.“

„Ich liebe das Kind.“

„Du lügst, Brandow; und wäre es möglich, wie es unmöglich ist, Du hättest Dir doch das Recht, sie zu behalten, ja nur in irgend einer Verbindung mit ihr zu bleiben, für immer verscherzt. Ich hoffe, daß sie vergessen wird, daß Du ihr Vater bist.“

„Der ich doch immer bleiben werde, und, mon cher, dies für Dich zweifellos ungemein wohlthuende Bewußtsein soll mein Hochzeitsgeschenk sein; oder wolltet Ihr etwa das so herrlich Begonnene nicht herrlich zu Ende führen?“

„Es handelt sich um Dein Schicksal, nicht um meines.“

„Die mir doch in einer passabel nahen Relation zu stehen scheinen. Oder wolltest Du mir einbilden, daß Du dies Alles um Gotteswillen thust? Pah! lieber Freund, ich dächte, wir kennten uns nicht seit gestern und unsere Wege kreuzen sich hier und jetzt nicht zum ersten Male. Ich habe Dir, Du hast mir im Wege gestanden schon vor den Schulbänken, auf dem Spielplatz, in der Tanzstunde und überall; ich habe Dich aus dem Sattel gehoben damals und Dir einen Denkzettel gegeben, daß Du Dich Dein Lebenlang daran erinnern könntest. Nun ja, Du hast es redlich gethan und dies ist die Revanchepartie. Ich habe sie – durch eine einzige dumme Karte – gleichviel! ich habe sie verloren: ich bin ein zu alter Spieler, um das nicht zu begreifen und mich in mein Schicksal zu finden; aber das Spiel ist noch nicht zu Ende; wir werden uns noch einmal treffen, und wer zuletzt lacht, lacht am besten.“

Die Augen des Mannes sprühten Blitze tödtlichen Hasses, während er mit seinen raschen Schritten an Gotthold vorüber das Gemach auf und nieder maß. Seine spitzen Zähne nagten geschäftig an den blassen Lippen; er zog und zerrte an den Enden seines langen blonden Schnurrbarts, als er jetzt wieder stehen blieb:

„Nur noch eine Frage: Werde ich auch für die Aussteuer zu sorgen haben?“

„Ich weiß nicht, was Du darunter verstehst; ich weiß nur, daß wir die Absicht haben, Dich Deinem Schicksal zu überlassen, sobald Du Deine Schuld – äußerlich wenigstens – abgetragen und Deinen Raub zurückerstattet hast. Du hast morgen eine Chance, es auf einmal zu können. Es ist Spielergeld, aber das geht uns nicht an.“

„Und wenn ich nicht gewinne?“

„So wirst Du arbeiten. Dollan ist Dir auf weitere fünf Jahre in Pacht gegeben; Du kannst, wenn Du willst – und Du wirst wollen müssen – in weniger als der Hälfte der Zeit die Zehntausend abtragen, die ich Dir – es ist beinahe der letzte Rest meines Vermögens – vorschießen werde. Auf jeden Fall wird das Paket morgen Abend auf der Dollaner Haide – gefunden und ist übermorgen in der Klostercasse.“

„Wie Ihr für Euch besorgt seid!“

„Auch für Dich. Wenn wir Dich aus der Heimath trieben, wie Du es verdienst – denn Du bist nicht werth, daß deutsche Männer Herr zu Dir sagen – würdest Du voraussichtlich in kürzester Frist elend zu Grunde gehen. Das will ich nicht, um Deines Kindes willen nicht.“

Brandow wollte in ein höhnisches Gelächter ausbrechen, aber Gotthold’s letzte Worte und der Ton, in welchem er sie gesprochen, schlossen ihm den Mund.

„Du sagtest vorhin, Du liebtest Dein Kind, Brandow, es war eine Lüge; hättest Du es gethan, auch nur ein wenig, Du würdest um seinethalben Dich mindestens vom Verbrechen rein gehalten haben. Du hast niemals Jemand geliebt, außer Dich selbst, mit einer durchaus gemeinen, eitlen, egoistischen Liebe, in der auch keine Spur von Achtung vor dem Heiligen war, das sonst auch rohere Menschen in sich und an sich verehren. Dennoch – obgleich dies meine ehrliche Ansicht ist – ich bin ein Mensch und kann irren: vielleicht rührt es Dich doch, wenn Du hörst, daß Dein Kind krank, sehr krank ist, daß wir ihm möglicherweise nur noch wenige Tage sein junges holdes Leben fristen werden. Es ist entsetzlich, daß ich es sagen muß, aber ich kann Dir die Last nicht erleichtern, die Du auf Dein Gewissen geladen: wenn es stirbt, so hast Du es getödtet.“

„Ich?“ stammelte Brandow; „ich?“


(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_818.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)