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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Gesicht stierten die schielenden Augen gräßlich auf seine Angreifer. Plötzlich zuckte er zurück:

„Sie sind es, Sie!“ rief er. „Was wollen Sie von mir?“




31.


Es lag ein wilder Schrecken in Miene und Geberde des Hinrich, in dem gurgelnden Ton seiner rauhen Stimme.

„Was habt Ihr?“ rief Gotthold, indem er ihn, der noch immer wie erstarrt dastand, derb an der Schulter schüttelte.

Die kräftige Berührung brachte in dem Manne eine seltsame, unheimliche Wirkung hervor. Er reckte die langen Arme zum nächtlichen Himmel empor, indem er dieselben wild schüttelte und auf- und niederzuckte, und dann warf er sich in die Kniee, die Linke in den Sand stemmend und mit der Rechten ein paar Mal wüthend vor sich niederschlagend, als wolle er Jemand, den er an der Kehle hielt, den Garaus machen; und dann stand er wieder da und kreischte, als Antwort auf Gotthold’s Frage:

„Was ich habe? ich wollte, ich hätte ihn!“

„Wen?“

„Er hat gelogen; er hat gesagt, Sie wären todt und sie wollten mir an den Kragen, und lebenslängliches Zuchthaus wäre das Wenigste, und ob ich ihn mit in’s Unglück stürzen wolle, der immer ein so guter Herr gegen mich gewesen; und er wolle mir so viel geben, daß ich Zeit meines Lebens drüben genug hätte. Gab mir aber nur fünfhundert Thaler, als er in der Nacht zu den Hünengräbern kam, wo ich mich versteckt hatte; er habe nicht mehr, keinen Schilling; habe das Andere dem Referendar als Caution geben müssen, daß er sich jeden Augenblick stellen wolle, wenn er vorgefordert würde. Und das war Alles gelogen, nicht wahr, Herr, das war Alles gelogen?“

„Alles,“ sagte Gotthold, „Alles, Wort für Wort.“

„Alles, Wort für Wort!“ wiederholte Hinrich, als könne er es noch immer nicht fassen. „Warum brauchte er zu lügen, ich wäre ja so gegangen, wenn es sein mußte – für ihn; ich hatte es ja für ihn gethan; und wäre mir an dem Geld gelegen gewesen – ich hatte es in der Hand, ich konnte damit machen, was ich wollte, und habe es ihm ausgeliefert. Kein Thaler fehlte daran, das ganze Paket, wie ich es dem Herrn Assessor aus der Tasche gezogen.“

„Ihr hattet es für ihn gethan,“ sagte Gotthold; „hattet Ihr es auch auf seinen Befehl gethan?“

„Auf seinen Befehl?“ erwiderte Hinrich; „so was befiehlt sich auch! ich hab’s gethan, weil – weil – ich weiß nicht, weshalb; aber er ist auf meinem Buckel geritten, bis er seinen Pony bekam, und dann habe ich ihn reiten gelehrt; er hat Alles von mir, Alles; und wenn der Brownlock gewinnt und ihm das Heidengeld einbringt – wem hat er es zu verdanken, als dem Hinrich Scheel?“

Sie schritten, während sie so sprachen, durch die Dünen, Gotthold und Hinrich voran, während Jochen Prebrow hinterherging, aber nicht so weit, daß er nicht mit ein paar Sprüngen zur Hand gewesen wäre, falls es Noth that. Es war sehr dunkel geworden, so dunkel, daß die wilden Kaninchen, welche vor ihren Füßen durch den Strandhafer huschten, kaum noch zu sehen waren und die große ihnen entgegenschwebende Eule erschrocken zur Seite flatterte, als Hinrich jetzt nach einer Pause mit einem wilden Fluche fortfuhr:

„Ich hab’s gethan, weil ich seine Noth kannte. Fünftausend hatte er Mittags an den Herrn Redebas zu zahlen, und wenn er sie nicht zahlte, konnte er von dem Rennen zurückgewiesen werden. Das wußte ich – bin ich doch oft genug dagewesen und kenne es so gut, wie Einer von den Herren – und ich wußte, daß es ihm hinterher recht sein würde, wenn er es auch nicht ausgesprochen und, ich glaube, zuerst gar nicht an das Geld gedacht hat, das der Herr Assessor in der Tasche trug. Ich hatte aber den ganzen Tag daran gedacht und schon, als wir herausfuhren, mir die Stelle darauf angesehen. Sie hatte schon längst übergehangen und der Regen hatte lange Risse gemacht und ich sagte so bei mir: wenn sie heute Abend zurückfahren und man macht es, daß der Wagen da hinaufgeräth, so bricht’s ab und die ganze Geschichte rutscht hinunter; und es ist ein Unglück, das dem besten Kutscher passiren kann in einer Sturmnacht, wie wir sie heute haben werden.“

„Nur daß Ihr leicht die Partie mitmachen konntet!“ sagte Gotthold.

„Sie meinen, wenn ich nicht zur rechnen Zeit vom Wagen kam? Pah, Herr! das ist nicht schwerer, als von einem Pferde, das durchgeht, herabzukommen, wenn man merkt, daß es stürzen muß. Ich war zur rechten Zeit unten, und da brach’s auch schon und es ging hinunter, daß es nur so donnerte und krachte, und dann war es ganz still geworden, blos daß sich noch ein Stück oder zwei loslösten und hinabkollerten, und der Sturm kam über das Moor und heulte und wimmerte; aber das war mir nichts Neues, und unten war es ganz still.

Ich stand oben und sah hinab und fragte mich, wie weit sie wohl gerutscht sein könnten. Wenn der Mergel gut zusammengehalten hatte, war’s bis in’s Moor gegangen und dann, bei der Gewalt und der Schwere, wer weiß wie tief; aber es hatte unterwegs so gepoltert und ich hatte es so im Ohr: die ganze Geschichte müsse auseinandergebrochen sein, und dann konnte auch Alles noch am Rande liegen. Wissen mußte ich doch, wie es stand, und so machte ich mich denn daran, hinunterzuklettern.

Aber es ging nur schwer; ich konnte bei der Dunkelheit die rechten Stellen nicht finden und wäre beinahe selbst hinabgestürzt; endlich kam ich doch unten an.“

„Nun?“

„Nun, da tastete ich denn so herum; der Mond war auch ein bischen herausgekommen, und ich fand bald den Wagen, oder was noch vom Wagen übrig war; Alles kurz und klein, und der eine Gaul lag dabei; der hatte sich das Genick gebrochen und war mausetodt. Dicht bei dem Gaul lag der Herr Assessor, der athmete aber noch, und als ich ihn aus den Rücken drehte, stöhnte und wimmerte er, aber dann zuckte er so ein paar Mal zusammen; ich dachte, es würde auch ohne mich zu Ende gehen, und das Geld hatte ich ihm schon aus der Tasche genommen und den Rock wieder zugeknöpft, damit es so aussehe, als sei er liegen geblieben, wie er hinuntergestürzt.“

„Nach mir suchtet Ihr nicht?“

„Ich suchte schon, aber ich fand Sie nicht; er sagte mir nachher, Sie wären halbwegs liegen geblieben, und dann wurde mir die Zeit lang, wie ich da so im Dunkeln unten am Sumpf herumkrabbelte, und in den Binsen raschelte es und dann fing die andere Mähre, die mit der halben Deichsel losgekommen und auf den Sumpf gelaufen war, das dumme Vieh – ja, das fing zu schreien an; es klingt jämmerlich, wenn so ein Thier, dem’s an’s Leben geht, schreit in seiner Todesangst, und da machte ich, daß ich unten am Rande hin wieder auf’s Trockne kam.“

„Und da war auch schon Herr Brandow da?“

„Woher wissen Sie das?“ fragte Hinrich verwundert.

„Ich meinte nur so.“

„Nein, da war er noch nicht da, aber er kam gleich darauf, und ich war fuchswild, daß er den Brownlock genommen hatte, und was wollte er überhaupt? Das sagte ich ihm auch, und daß er gleich wieder umkehren müsse; aber er wollte ja nicht: sie hätten ihn wegreiten sehen, und was er sagen solle, wo er gewesen sei, wenn es herauskäme? Ich hatte ihm nämlich das Paket geben wollen; aber er hatte es mir aus der Hand gestoßen und so lag es zwischen uns, und ich sagte, da könne es ja da liegen bleiben. ‚Meinetwegen,‘ sagte er, ‚mir ist es nicht um das Geld zu thun gewesen,‘ und dann fragte er, was aus Ihnen geworden. Ich gab kurze Antwort, denn ich ärgerte mich; und da sagte er, ich solle auf der Stelle wieder umkehren und – und – ‚thut’s allein, Herr,‘ sagte ich, ‚ich will nichts weiter damit zu thun haben.‘ Er gab gute Worte, aber ich wollte aus schierer Bosheit nicht; nun kriegte er es wieder mit der Angst, was er angeben solle, wo er während dieser Zeit gewesen? bis ich zu ihm sagte: ‚Da Sie denn doch einmal den Brownlock unter sich haben, Herr, können Sie auch ebenso gut über das Moor reiten, und dann kommen Sie gerade so schnell nach Neuenhof, als wenn Sie von Dollan gleich nach den Herren weggeritten wären; versteht sich, auf dem richtigen Wege.‘ Das sah er denn auch ein; aber er hatte die Courage nicht, trotzdem er zu solchen Dingen Courage genug hat und ich selbst vor seinen eigenen Augen acht Tage vorher über das Moor geritten war, und da sagte ich zu ihm: ‚Dann thun Sie, was Sie wollen; ich muß nun hin und die Prebrows herausklopfen, sonst kriege ich noch alle Schuld;‘ und da ist er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_800.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)