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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Kommt ein nasser Regen,
Donnert’s – meinetwegen!
Laufen wir doch nicht davon,
Liesel sitzt auf ihrem Thron
Wie der König David.
Gihkgahk, Juch!

Huhle, huhle Schnäbel,
Kommt der Herbst mit Nebel,
Gebt ihr Braten, Gänsefett,
Weiche Federn für das Bett,
Freu’n sich alle Kinder!
Gihkgahk, Juch!

Legt euch Pfarrers Hanne
In die schöne Pfanne,
Steckt euch Beifuß in den Bauch,
Freut sich der Herr Pfarrer auch,
Sagt, ihr wäret prächtig!
Gihkgahk, Juch!

Huhle, huhle Gänschen,
Wackelt mit den Schwänzchen!
Freuet euch, denn daß ihr’s wißt:
Wenn euch der Herr Pfarrer ißt,
Kommt ihr auch in Himmel!
Gihkgahk, Juch!

 Fr. Hfm.




Der deutschen Jugend Weihnachtsbüchertisch.


Von Gustav Wustmann.


I.


Unter allen Gaben, mit denen die Mutter den Weihnachtstisch ihrer Kinder schmückt, macht ihr wohl keine so viel Sorge und Kopfzerbrechen, als die bösen Bücher. Es ist nicht zu viel gesagt: die meisten Mütter stehen dieser Sorge rathlos gegenüber. Sie kaufen Bücher ein, etwa so wie sie Schnittwaaren einkaufen: sie gehen eben in den Laden, lassen sich vorlegen und suchen sich aus. Welche Mißgriffe sie dabei thun, das werden sie in der Regel viel zu spät gewahr, wochenlang nach dem Feste, manchmal auch nie. Wer in die Buchhandlung geht, der muß genau wissen, was er will. Wir meinen nicht etwa, daß die Mutter sich aus einem jener seitenlangen Verzeichnisse von Jugendschriften Raths erholen soll, die unseren „Weihnachtskatalogen“ beigegeben sind; erstens ist mit bloßen Büchertiteln gar nichts anzufangen, und sodann steht dort das Beste und das Schlechteste kunterbunt durcheinander. Auch auf Reclamen in den Zeitungen ist nicht das Allermindeste zu geben; da preist eben Jeder seine Waare an oder läßt sie anpreisen. Vielmehr kommt Alles darauf an, daß man an die ungeheure und auf den ersten Blick fast sinnverwirrende Masse von Jugendschriften nicht ganz grundsatzlos herantrete, daß man ein paar einfache und richtige Principien mitbringe, an denen man dann aber auch unverbrüchlich festhält. Möchte eine Mutter wohl die kleine Mühe scheuen, die es kostet, um diese paar Grundsätze zu gewinnen? Wenn nicht, dann folge sie uns.

Die Jugendliteratur bewegt sich, wie alle literarischen Erzeugnisse überhaupt, auf drei Gebieten: Wissenschaft, Poesie und bildende Kunst. Von der ersteren und von der letzteren wollen wir das nächste Mal reden; heute zunächst von der Poesie.

Es liegt in der Natur der Sache, daß von den drei Dichtungsarten, die es giebt, die dramatische Dichtung so gut wie gar nicht, die lyrische nur in beschränktem Maße, dagegen die epische voll und ganz der Jugend gehört. Das eigentliche poetische Lebenselement der Jugend, und zwar nicht blos des einzelnen Menschen, sondern auch ganzer Völker, so lange sie auf der Stufe der Kindheit stehen, ist die epische, das heißt die erzählende Dichtung. Ob sie in Prosa oder in Versen geschrieben sei, darauf kommt es gar nicht an; wir nehmen den Begriff hier natürlich im weitesten Sinne.

Ist die Zeit gekommen, wo die Jugend an Lyrik und Drama herangeführt werden darf, so giebt man ihr sogleich das Beste und Classischste in die Hand, das unsere Literatur besitzt. Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, den Knaben auf die Lectüre von Schiller’s „Tell“ oder das Mädchen auf den Genuß von Lessing’s „Minna“ durch besondere für Kinder gedichtete Schauspiele vorbereiten zu wollen. Die vereinzelten Versuche, die allerdings nach dieser Richtung hin gemacht worden sind – denn wo ist eine Thorheit, die nicht einmal begangen worden wäre? – sind so einfältig und abgeschmackt, daß sie gar nicht in Betracht kommen können. Noch weniger, sollte man meinen, könnte irgend ein urtheilsfähiger Mensch die Jugend zum Verständniß Goethe’scher und Uhland’scher Gedichte durch das Medium einer besonderen Kinderlyrik leiten wollen. Die beste Vorbereitung auf einen verständnißvollen Genuß unserer classischen Lyrik fließt immer und ewig aus jener Quelle, aus der unsere größten Lyriker selbst auf ihre dichterische Production sich gleichsam vorbereitet haben, aus dem Volksliede. Indeß macht man schon hier die befremdende Beobachtung, daß diese einfache und natürliche Wahrheit überaus häufig verkannt wird. Unsere Bilderbücher, und namentlich die ordinäre colorirte Waare, wimmeln ja geradezu von den albernsten und fadesten Kinderverschen, und viele Eltern sind noch obendrein einfältig genug, dieses Zeug, welches das Papier nicht werth ist, auf dem es gedruckt steht, die armen Kleinen auswendig lernen zu lassen. Ganz zu geschweigen von der jammervollen Poesie, die zum Theil jetzt in den sogenannten Kindergärten im Schwange ist, zu geschweigen von der erbaulichen Gesangbuchslyrik, mit der die Kinder vom sechsten bis zum vierzehnten Jahre massenhaft gefüttert werden, und die für Tausende unter ihnen vielleicht die einzige Lyrik bleibt, die sie je im Leben zu kosten bekommen.

So bliebe denn noch die erzählende Dichtung übrig. Aber weiß der Himmel, wie es zugeht, auf diesem Gebiete der Poesie, wo man es doch nun am allerwenigsten erwarten sollte, ist man wunderlicher Weise fast allgemein in der Ansicht befangen, daß die Jugend hier einer umfänglichen Vorbereitung für die Genüsse des reifern Alters bedürfe. Beweis dafür: die tausend und abertausend speciell für die Jugend gemachten und ausgestatteten Kindergeschichten.

Fragen wir uns einfach, ob diese Kindergeschichten berechtigt sind und ob sie nöthig sind. Berechtigt würden sie dann sein, wenn sie den Anforderungen genügen, die man an jede gute und classische Erzählung stellen darf; nöthig würden sie sein, wenn unter der allgemein für classisch geltenden Literatur sich keine erzählenden Dichtungen fänden, die für die Jugend geeignet sind.

Wir antworten zunächst auf die Frage nach der Berechtigung. Mit dieser Berechtigung sieht es nun freilich sehr schlimm aus. Von Goethe stammt der Ausspruch, „daß für die Jugend das Beste gerade gut genug“ sei. Leider wird dies köstliche Wort so oft von Unberufenen in den Mund genommen, so oft als Aushängeschild gemißbraucht, um das Allerschlechteste damit anzupreisen, daß man sich fast scheuen möchte, es noch anzuführen. Wir führen es trotzdem an, aber wir dringen auch darauf, daß die Forderung, die darin aufgestellt ist, mit aller Tiefe erfaßt und mit aller Strenge durchgeführt werde. Wie müßten darnach unsere Jugenderzählungen, unsere Kindergeschichten beschaffen sein, und wie sind sie beschaffen?

Ein echter erzählender Stoff für die Jugend soll vor allen Dingen bedeutend sein, damit ihm das freie Interesse der Jugend entgegenkomme; er soll nicht blos einen bedeutenden, über die gemeine Wirklichkeit erhabenen Hintergrund haben, sondern es sollen sich auch bedeutende und scharf individualisirte Gestalten von diesem Hintergrunde abheben. Unsere Kindergeschichten aber sind uninteressant, unbedeutend, trivial, sie spielen auf einem höchst alltäglichen Hintergrunde, und die Gestalten, die darin vorgeführt werden, sind Dutzendmenschen des gewöhnlichsten Schlages. Die Hauptmasse aller unserer Jugenderzählungen machen ja jene völlig werthlosen und nichtsnutzigen Familiengeschichten aus, in denen irgend ein biedrer Onkel oder eine reiche Tante die Hauptfiguren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 793. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_793.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)