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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Frage, ob denn Tigerin und Tiger noch zusammen bleiben, nachdem die Jungen auf der Welt sind, hat er mir geantwortet, daß nach der Mittheilung seiner Leute die Tigerin, wenn sie geworfen hat, das Männchen von sich treibe, da dasselbe die Jungen sonst auffresse. Das steht zwar, wie gesagt, schon in den naturwissenschaftlichen Büchern, aber ich setze es als eine Bestätigung der Mittheilungen jener Bücher noch ausdrücklich her, weil gerade über das Zusammenleben beider Eltern mit den Jungen oder nur der Mutter noch sehr viel Unerwiesenes in den Büchern zu lesen ist und schon Vieles hat berichtigt werden müssen.

Ueber die prachtvolle Erscheinung des Tigers, besonders wie sie durch unsern Berliner Tiger repräsentirt wird, ein Wort zu sagen, ist eigentlich überflüssig, denn er bietet für jeden empfänglichen Beschauer einen fast berauschend schönen Anblick. Wohl hat ein edles Pferd eine größere Formenschönheit, wohl imponirt uns der Löwe mehr durch den stolzen Ausdruck der Majestät und Kraft, und viele Vögel übertreffen den Tiger an Farbenpracht, aber eine solche Vereinigung von Formenschönheit, von Ausdruck und herrlicher Farbenpracht, wie sie der Tiger bietet, dürfte sich doch kaum bei einem zweiten Thiere finden, und bei aller Feindschaft, die wir ihm als freiem Thiere schuldig sind, tritt doch auch hier, wie oft im Menschenleben, der Fall an uns heran, daß wir den Feind bewundern müssen. –

Der Leser wird vorher schon gestaunt haben über die Menge von Tigern, welche Herr Jamrach aus Indien geholt hat; noch anschaulicher wird ihm aber dieser Handel werden, wenn er erfährt, daß der Thierhändler Hagenbeck in Hamburg von 1866 bis September 1872 verkauft hat: 111 Hyänen, 106 Bären, 80 gefleckte Katzen (Leoparden, Jaguare etc.), 18 Königstiger, 110 Löwen, 36 Giraffen, 61 Elephanten, 5 Rhinocerosse, 332 Hirsche, Antilopen (überhaupt Wiederkäuer) und Einhufer, 342 große Schlangen, 252 Krokodile, 3000 Affen etc.




Diese Zeilen waren bereits vollendet und sollten gerade zum Druck kommen, als der Verfasser erfuhr, daß vor wenigen Tagen das schöne Thier, welches den Gegenstand derselben bildet, leider verendet ist. Ich hörte dies vom Wärter selbst, und die einfachen Worte, mit denen mir derselbe das Sterben des Thieres schilderte, haben mich, ich schäme mich des Geständnisses gar nicht, schmerzlich berührt. Im Sterben hat der Tiger immer kläglich und schmerzlich miaut, und nur wenn sein Wärter zu ihm getreten ist und dem Thiere, das mit dem Kopfe am Gitter lag, die Backen gestreichelt hat, ist es ruhig geworden, hat aber gleichsam wieder nach demselben gerufen, wenn er sich entfernen mußte. Niemand braucht sich der warmen Theilnahme für eine solche Scene zu schämen, denn wir haben es hier nicht mit dem freien, von der Natur auf Blut und Mord angewiesenen Raubthiere zu thun, dem wir unbedingt entgegentreten müssen, sondern mit einem wehrlosen Gefangenen, der auf unsere Rücksicht und Theilnahme angewiesen ist. Jedenfalls legt auch diese Scene ein warmes Zeugniß ab von der Humanität, mit welcher die Thiere des Berliner Raubthierhauses von ihrem Wärter behandelt werden, einer Humanität, welche sie lehrt, in demselben nicht ihren Peiniger, sondern ihren wohlwollenden Freund zu erkennen.

L.




Ein Glücklicher aus dem letzten Kriege.


Es ist aus Tageblättern und Zeitschriften hinlänglich bekannt, daß im Anfange des deutsch-französischen Krieges eine Reihe von Geldschenkungen aus verschiedenen Quellen aufgebracht wurden, welche demjenigen deutschen Soldaten als Ehrengabe verabreicht werden sollten, welchem das Glück beschieden wäre, dem Feinde die erste Fahne zu entreißen. Diesen Ruhmespreis errang der frühere Musketier Ernst Wickel aus Gotha, der schon den Feldzug von 1866 beim ersten Bataillon des damaligen coburg-gothaischen Regiments mitmachte und erst bei Langensalza am 27. Juni, dann bei der Mainarmee mitfocht. Den Krieg von 1870 und 1871 hat er in der zweiundzwanzigsten Infanterie-Division, der sogenannten „Kilometer-Division“, mitgemacht und während des ganzen Feldzugs in den Gefechten, auf Märschen und bei allen sonstigen größeren und kleineren Strapazen tapfer ausgehalten.

In der Schlacht bei Wörth hatten bekanntlich die deutschen Streiter, nur aus einzelnen Divisionen bestehend, der bedeutenden französischen Uebermacht fünf volle Stunden hindurch tapfer gestanden, als sich endlich in den Nachmittagsstunden durch Zuzug neuer deutscher Kämpferschaaren ein numerisches Gleichgewicht herstellte und zuletzt die Deutschen auch der Zahl nach den Franzosen überlegen waren.

Etwa von diesem Zeitpunkte aus gehen die mündlichen Mittheilungen Wickel’s. Die einunddreißigste Division, die bisher den äußersten linken Flügel der deutschen Schlachtlinie bildete, hatte eben einen erneuten Angriff von Truppen der feindlichen vierten Division, General Lartigue, auf Gunstett abgeschlagen, als gegen zwölf Uhr die zweiundzwanzigste Division südlich von Gunstett erschien, die Sauer überschritt und in der Richtung auf Landsberg (auch Albrechtshäuserhof genannt) und Eberbach vordrang. Die Sauer, dieser jetzt historische Bach, fließt in nord-südlicher Richtung durch Wörth, westlich bei Spachbach vorbei, theilt sich bei der westlich von Gunstett liegenden Bruchmühle in zwei Arme und fließt in südöstlicher Richtung gegen den Hagenauer Forst hin. Von Gunstett direct gegen Westen, in gleicher Entfernung von der Sauer, auf einem theilweise bewaldeten Hügel liegt der Albrechtshäuserhof, in südwestlicher Richtung von diesem das Dorf Eberbach im Eberbachthale selbst. Zwischen Eberbach im Süden und Elsaßhausen im Norden liegt der Niederwald, der sich im Weste bis nahe an Reichshofen erstreckt. Dieses eben angedeutete Terrain westlich der Sauer bildete vorzugsweise den Schauplatz der Thätigkeit des elften Corps.

Ein Jeder, der in seinem Leben eine Schlacht mit durchgekämpft hat wie z. B. die von Wörth, weiß, wie beschränkt und einseitig die Theilnahme des einzelnen gemeinen Soldaten am Gefecht meistentheils ist und wie selten er Gelegenheit hat, sich nur einen einigermaßen freien Ueberblick über die allernächste Umgebung zu verschaffen. Niemand wird daher von dem Soldaten Wickel eine klare Uebersicht von jenem Theile des Schlachtfeldes und den Vorgängen daselbst verlangen. Was ich in Folgendem mittheile, ist die unveränderte Wiedergabe seiner eigenen schlichten Aussagen über seine persönlichen Erlebnisse, und die Leser der Gartenlaube mögen entschuldigen, daß ich den mündlichen Mittheilungen des glücklichen Eroberers keine weitere Draperie anhänge. Ich wollte der Originalität der Erzählung nicht Eintrag thun.

Wickel’s Bericht lautet folgendermaßen: „Ich stand im dritten Gliede des zweiten Zuges (vom ersten Bataillon des sechsten thüringischen Infanterieregiments Nr. 95) und kam mithin, als Züge aus dem dritten Gliede formirt wurden, in den ersten Schützenzug des Bataillons, den der (gegen Ende des Krieges im Gefecht bei St. Célérin vor Le Mans am 11. Januar 1871 gefallene) Fähnrich Teichelmann führte.

Von Gunstett aus ging unser Regiment durch Felder, Obstalleen und an Weinbergen hin gegen die Sauerbrücke vor, an welcher unser Compagniechef, Hauptmann (jetzt Major) von Schauroth, die Compagnie sammelte, was unter dem ununterbrochenen Feuer der Franzosen natürlich nicht nach Wunsch und sehr langsam von Statten ging. Um diese Zeit waren von der ersten Compagnie schon die beiden Lieutenants von Motz und Klein gefallen. An strenge Ordnung war bei den massenhaft einschlagenden feindlichen Geschossen nicht mehr zu denken, und so kam es, daß ich mit einem kleinen Trupp meiner Cameraden vorging, um mich baldigst in eine sichere Deckung zu bringen. Das Terrain, welches wir zurückzulegen hatten, ehe wir die vor uns befindliche Höhe gewinnen konnten, war nicht geeignet, die geringe Ordnung unserer Handvoll Soldaten, die ohne Officier vorging, aufrecht zu erhalten, und als ich, mich links an Hopfenfeldern hinziehend, ungeschoren an und auf die Eberbacher Höhe (zwischen Eberbach und dem Albrechtshäuserhof) kam, war ich wohl der Einzige vom fünfundneunzigsten Regiment an dieser Stelle. Die Höhe war

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 788. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_788.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)