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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Wer einen Tartüffe malen wollte, wendete sich an ihn. Das Komische bei der Sache war, daß man sich keinen ehrlicheren, braveren, unbescholteneren Mann denken kann, als er war. Er war ein Tolpatsch, der über seine eigene Rechtschaffenheit stolperte. Sein Gesicht paßte zu seinem Charakter wie der Titel eines Schelmenromans zu einer moralischen Erzählung. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.

Geübte Physiognomiker und feine Beobachter wissen recht gut, daß Bettler einen eigenthümlichen Gesichtsausdruck haben. Es giebt daher unter den Modellen solche, die ausschließlich für Bettler sitzen. Sie werden sehr gesucht. Auch die Soldatenköpfe sind sehr begehrt. Vor einigen Monaten ist in Paris ein Mann gestorben, der, als er in der Schlacht von Lützen verwundet worden, schon weißes Haar hatte. Bis unmittelbar vor seinem Tode besuchte er als Modell für Veteranen die Pariser Ateliers.


In einem Biergarten zu Straßburg.
Originalzeichnung von L. Löffler.

Keine Stadt der Welt kann sich so vieler, so mannigfacher Modelle rühmen wie Paris. Der Pariser Künstler ist in dieser Beziehung niemals in Verlegenheit. Neger, Mulatten, Hindus, Chinesen und Araber dienen ihm als lebende Modelle für seine Schöpfungen. Die Beduinen laufen zu Dutzenden in Paris herum, und man kann mehr als einen ehemaligen Beduinenhäuptling in den Pariser Malerwerkstätten finden. Einer dieser Häuptlinge – er nennt sich Abd-el-Kader – ist ein sehr bekanntes Modell. Er ist ein schöner Mann, dem das arabische Costüm trefflich zu Gesicht steht; er ist auch zugleich ein sehr geriebener Mann, der mit Kunstgegenständen handelt. Eines Tages, als ich mich im Atelier eines mir befreundeten Künstlers befinde, tritt Abd-el-Kader ein und spricht von einem alten Portrait Martin Luther’s, das er soeben gekauft. Ich muß gestehen, der Name des großen Reformators im Munde des Arabers berührte mein Ohr auf eine ganz eigenthümliche Weise.

Ich muß noch zwei Arten von Modellen erwähnen, nämlich das „Modèle de Complaisance“ und das „Modèle de Confiance“. Das „Modèle de Complaisance“ ist eine dem Künstler befreundete Dame, die, oft sehr reich und vornehm, ihm aus Gefälligkeit sitzt. Der Name „Modèle de Confiance“ aber bezeichnet diejenigen, die nicht nur dem Künstler zu Modellen dienen, sondern ihm auch manchen andern Dienst verrichten. Sie reinigen die Paletten, ordnen das Atelier, besorgen verschiedene,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_777.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)