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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Das Nebelhorn.


Vor mehreren Jahren verlebte der Verfasser nachstehender Mittheilung einen Theil des Sommers im englischen Nizza, zu Ventnor auf der Insel Wight. Diese letztere, ein Stück irdischen Paradieses, wenigstens in ihren südlichen Partieen, ist bekanntlich der Sitz des britischen Jachtclubs, der sich in Ryde, ihrer Hauptstadt, ein prachtvolles Haus erbaut hat. Mit einem jüngeren Mitgliede desselben, dessen Familie auf dem schönen Eiland ansässig ist, im Laufe der Zeit näher bekannt geworden, unternahm ich in seinem mit allen möglichen Bequemlichkeiten ausgestatteten kleinen Boote eines Tages einen Ausflug in den vor uns ausgegossenen Canal hinein, das von malerischen Küsten eingefaßte, aber gefährliche Aermelmeer.

Der Morgen war klar und goldig, in tiefblauem Glanze lag die See, mit einem Male aber begannen sich leichte Wolkenschleier über die Sonne zu legen, und noch ehe einige Stunden verstrichen, gingen in einem dichten feuchten Nebel Land und Wasser unter. Wir sahen absolut nichts mehr von den uns umgebenden Gegenständen, kaum noch die Contouren unseres Schiffchens und unserer eigenen Gestalten.

„Wo sind wir jetzt wohl?“ frug der Bootsherr den uns begleitenden Diener und Matrosen.

„Auf meine Ehre,“ antwortete der Bursche, indem er mit der Nase „windete“, wie ein plötzlich aufgescheuchtes Stück Wild, „ich habe keine Ahnung davon. Weiß blos, wir treiben im Canal, wahrscheinlich irgendwo zwischen Portland und Beachy Head, umher. Möchte schon eine Strecke weiter sehen können; denn es wäre verdammt unbehaglich, uns jählings im Bereiche eines Dampfers zu wissen! Die Schrauben sind tückische Dinger; sie melden sich nicht so gehörig an wie die Räder.“

„Spränge nur eine Brise auf,“ meinte James, mein Freund vom Jachtclub. „Dann wollten wir schnell die Küste anlaufen und recognosciren, wo wir sind.“

„Still!“ fuhr jetzt der Bootseigner auf. „Hören Sie nichts?“

Ich lauschte, doch ich konnte nichts vernehmen als das Plätschern des Wassers unter unserem Kiele.

„Da kommt’s wieder,“ nahm der Andere wieder das Wort.

Nun konnte auch ich es hören – den schrillen Ton eines trompetenartigen Instruments.

„Vortrefflich!“ jubelte unser Matrose. „Das ist das Nebelhorn von St. Catherine; wir sind also nicht weit mehr vom Hafen.“

„Wie könnt Ihr denn wissen, Tom,“ frug ich erstaunt, „daß es gerade dieses Horn ist? In Dungeneß giebt es ja auch Nebelsignaleinrichtungen, und wenn ich auch nicht fürchten will, daß wir von unserem Ausgangspunkte schon so weit abgekommen sind, so wäre es doch nicht ganz und gar unmöglich.“

„Könnte wohl sein,“ versetzte Tom gleichmüthig; „aber das Dungenesser Signal tönt fünf Secunden fort und schweigt dann zwanzig Secunden. Das von St. Catherine tönt auch fünf Secunden, pausirt indeß blos fünfzehn. Ich habe nun genau auf meine Uhr gesehen und kann mich folglich nicht leicht irren.“

In diesem Augenblicke erhob sich ein leichter Wind, der Nebelschleier zerriß, und richtig, da segelten wir etwa eine Seemeile südlich von St. Catherine. Das Nebelhorn erschallte nicht mehr, deutlich jedoch ersahen wir den Leuchtthurm, der es beherbergte, und die zu ihm gehörende kleine Gruppe von freundlichen weißen Häusern. Ruhig glitten wir längs der herrlichen Unterklippe (Undercliff) dahin und lagen binnen Kurzem sicher bei Ventnor wieder vor Anker.

„Wie wäre es,“ begann ich, als wir dem Boote entstiegen waren und gemächlich den Strand hinabschlenderten, „wenn wir, zum Dank für seinen freundlichen Ruf, dem Nebelhorn einen Besuch abstatteten?“

Mein Freund war gern dazu bereit, und so begaben wir uns auf den Weg Abseiten von der Heerstraße wanderten wir auf einem nah’ am Meere sich hinziehenden Fußpfade unserem Ziele zu, ließen die Dünen von St. Catherine zur Rechten und erreichten bald den Leuchtthurm, oder, wie sich der Engländer richtiger ausdrückt, das Leuchthaus, dessen oberster Hüter uns zuvorkommend sein Reich erschloß.

Nachdem wir den Leuchtapparaten selbst und der das ganze Etablissement kennzeichnenden Ordnung und Sauberkeit unsere glühende Bewunderung gezollt hatten, gingen wir durch den kleinen Garten unseres Geleiters nach dem Nebelsignalgebäude, einem bescheidenen Hause mit einem mächtigen Schornstein. Vor seinem dem Meere zugekehrten Dachhange reckte unser wackerer Helfer, das Horn, sein Haupt empor. Der Bau enthält einen Flur, ein Gemach für allerhand Werkzeuge und Geräthe und den Maschinenraum, der etwa zwanzig Fuß lang und achtzehn Fuß breit sein mochte und auf das Beste ventilirt und auf den Seiten durch Fenster erhellt ist. Hier gewahren wir das andere Ende des Nebelhorns. Es läuft durch einen am Dache befestigten eisernen Cylinder und communicirt mit großen ehernen Windrohren. Zwei wunderlich aussehende Maschinen, jede mit einem schweren Schwungrade und einem complicirten Getriebe von Zähnen und Wellen, sind, wie uns unser Führer belehrt, Ericson’sche calorische Apparate zur Bewegung der Pumpen, welche die Luft in den Windröhren oder Blasebälgen verdichten. Zu gleicher Zeit arbeitet stets nur eine Maschine; die andere dient blos zur Reserve, um in Fällen der Noth bereit zu sein. Bis jetzt aber hatte seit der Aufstellung des Horns im Jahre 1868 eine solche Aushülfe noch nicht in Anspruch genommen werden müssen, da die Maschinen in ihrer Construction sehr einfach sind und niemals explodiren können. Jede hat ungefähr zwei Pferdekraft, verbraucht in der Stunde zwölf Pfund Coke und kann binnen dreißig Minuten in Gang gesetzt werden. Dieses letztere Moment ist von hoher Wichtigkeit. Muß doch das Signal ohne Verzug gegeben werden können, sobald, was an den englischen Küsten so häufig geschieht, ein Nebel eintritt.

Das Horn selbst ist von Messing, in Gestalt dem sogenannten russischen Serpent, einem von Militärmusikbanden viel gebrauchten großen tubaartigen Blasinstrumente, ähnelnd. Für ein Orchester freilich dürfte unser Signalhorn sich kaum empfehlen, denn es hat eine Länge von fast zehn und an seiner Mündung eine Weite von zwei Fuß Durchmesser, und sein leisester Ton würde die Zuhörerschaft eines Concertsaales in schleunige Flucht schlagen. Das Horn steht aufrecht, seine Mündung der See zugewandt, und der uns umherführende Beamte zeigte uns eine sinnreiche mechanische Vorrichtung, mittelst deren es sich langsam um seine verticale Axe herumdrehen läßt, so daß es seinen Schall über einen weiten Luftkreis verbreitet und von den Schiffern an den verschiedensten Stellen dieses Cirkels vernommen werden muß. Daraus erklärt sich, daß wir es das erste Mal nicht so deutlich hörten, als das zweite Mal. Offenbar war bei diesem letztern die Mündung des Instruments uns direct zugekehrt gewesen. Nach seinem Erfinder, einem Amerikaner, heißt das Horn auch wohl Dabollshorn. Außer ihm kommen noch mehrfache andere Schallapparate zur Benutzung, unter andern metallene Handtrommeln auf den Leuchtschiffen, auf mehreren Leuchtthürmen große Glocken und an gewissen Punkten der Küste schwere Kanonen. Wie ich mich später unterrichtete, gebraucht man nicht weniger als sechs verschiedene Nebelsignale: Hörner, Trompeten, Pfeifen, Trommeln, Geschütze und – Sirenen.

Schon seit langer Zeit hat man sich des Hornes bedient, um bei Nebelwetter die Fahrzeuge zu warnen und zu orientiren. So lange man indessen keine Maschinen zur Zusammenpressung der Luft besaß, war es ein sehr unzulängliches Instrument. Da erfand im Jahre 1844 Capitain (nachmals Admiral) Tayler eine Maschine zu diesem Behufe, die indeß niemals zur praktischen Verwendung gelangte. Erst Daboll ’s Erfindung wurde für probat erklärt und 1851 auf Rhode Island in den Vereinigten Staaten Nordamerikas eingeführt. Allein erst elf Jahre später nahm England die Erfindung an und errichtete bei Dungeneß, zunächst zur Probe, ein Dabollshorn. Es erwies sich jedoch für die Station nicht kräftig genug und wurde deshalb 1865 durch ein größeres ersetzt. Ein zweites Instrument empfing ein Jahr später die Station von Cumbrae am Clydebusen in Schottland; dies zeigte sich so wirkungsvoll, daß man, selbst bei heftigem Winde, seinen Schall bis fünf englische Meilen weit in See vernehmen konnte.

Seit ihrer ersten Einführung hat Daboll’s Erfindung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_774.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)