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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

unser Hund in gleichem Grade wie der Pommer, und die Unempfindlichkeit gegen Nässe, Kälte und Hitze theilt er mit seinem an Unwetter aller Art gewöhnten Herrn. Sind doch Beide echte Naturkinder, deren Thätigkeit sich unter dem freien Walten des wechselnden Himmels immer unverdrossen entfalten soll. Doch wie manchmal hat unser Thier an seinem Gebieter das Bild eines Lungerers, den Goethe in den Worten zeichnet:

„Es war einmal ein Schäfer,
Ein rechter Siebenschläfer,
Ihn kümmerte kein Schaf.“

Da ist’s gar oft der gewissenhafte Schäferhund, der für den schläfrigen, pflichtvergessenen Herrn wachen muß, da ist es jener allein, dessen Klugheit, Scharfsinn und unverdrossene Thätigkeit die Herde hier bei etwaigem Ausbrechen aus dem lüderlich bereiteten nächtlichen Pferche, dort beim Weiden vor Uebergriffen in das verbotene Wachsthum der Felder überwachen und in Ordnung halten muß.

Wenn aber in solchen Fällen bisweilen die unverdorbene Natur des treuen Herdehüters die herabgekommene menschliche beschämt, so erkennt man auch oft umgekehrt an dem schlechten Hunde den noch schlechteren Schäfer; denn der Hund ist wie zum Guten so auch leicht zum Bösen zu leiten. Hier nehmen wir Gelegenheit, an die Worte des Mr. Trimmer zu erinnern, die er in seinem Buche über die Merinoschafe Spaniens im Hinblick auf die verkehrte Abrichtung der Hunde so mancher Schäfer spricht: „Wenn ein Schaf nach der Ansicht eines leidenschaftlichen Schäfers einen Fehler gemacht oder ihn zufälligerweise geärgert hat, so wird es durch den Hund zurechtgewiesen; er giebt ein Zeichen, der Hund gehorcht, das arme Schaf springt auf dem Felde herum, um den Zähnen dessen zu entfliehen, der sein Beschützer sein sollte, bis es vor Schreck und Erschöpfung halb umkommt, während die ängstliche Herde aus Furcht vor gleichem Schicksale sich zusammendrängt und der grobe Hund seines Sieges über ein schutzloses schwaches Thier sich freut.“

Wenn ihr Landleute daher auf den Feldern und Wüstungen bemerkt, daß eure Thiere durch die Annäherung des Hundes beunruhigt werden, also daß sie sich auf Haufen aneinander drängen und drücken, kurz den Hund als einen argen Feind fürchten und fliehen: dann habt ihr hierin den Grund zu suchen, warum viele eurer Mutterschafe fehlgebären, warum die Thiere der Herde nur in Hast weiden und das Abgeweidete nicht regelmäßig ruhig verdauen, also nicht gedeihen können; ihr habt das Recht, den Schäfer zu verdammen, und ihr übt, falls ihr ihn seines Amtes nicht entbindet, keine Ungerechtigkeit gegen denselben, wenn ihr für jede Spur eines Bisses an euren nützlichen Thieren nicht dem Hunde, sondern dem Schäfer eine Strafe ansetzt!

Sprechende Seelenzüge schildert der berühmte Ettrick-Schäfer James Hoog von seinem Hunde Sirrah und überhaupt dem „Colley“, dem Schäferhunde der schottischen Hochlande, der ganz die oben hervorgehobenen äußeren Merkmale der echten Race trägt mit der einzigen Abweichung, daß Vorderkopf und Gesicht bei ihm glatt erscheinen. Die glänzendste That der Ueberlegung und zugleich die rührendste Aeußerung von Gemüth entwickelte nach Hoog ein Colley, als er das fünfjährige Kind seines Herrn, welches derselbe auf der Hochweide bei einem dichten Nebel am Fuße eines Berges verloren hatte, in einer Höhle an dem Berghange auswitterte, in welche das verirrte Kind gefallen oder gekrochen war. Vier Tage brachte der merkwürdige Hund dem Kinde von seinem eigenen Futter ein Stück Haferbrod, das er sich täglich zur Fütterungsstunde in der Hütte des Schäfers holte und schnell damit zu seinem Pflegling eilte, den er außer dem täglichen Gange nach der Hütte nicht verließ. Der Schäfer, endlich darauf aufmerksam werdend, folgte dem Thiere, als es eben wieder mit einem Stück Haferbrod sich entfernte. Es führte ihn an den Berg bis zur Höhle, worin der überraschte Vater sein schon aufgegebenes Kind wohlerhalten fand, das Brod verzehrend, das ihm der vor ihm stehende Hund oben dargebracht. – Welche Aufopferungsfähigkeit und freundlich-treue Hingebung trat uns hier in dem Wesen mit dem rauhen, unscheinbaren Aeußern entgegen! Auch in dem Hundegeschlechte ein Beweis mehr, daß das Gute und Treffliche zumeist aus Dürftigkeit und Armuth erwächst. –

Musterhafte Polizei bei den Schafherden der Alpen übt nach von Tschudi auch der schweizerische Schäferhund. Je ein Hund bewacht daselbst einen größeren Trupp, hält ihn auch ohne den Hirten in Ordnung, sorgsam im Auge und verläßt ihn nie. In das Weiderevier tretende Fremde beobachtet der Hund genau und schließt sich schweigend dem Fremdlinge an; nähert sich derselbe nun aber den Schafen, so packt er ihn und hält ihn bis zur Ankunft des Hirten fest. Die bei ihrer großen Thätigkeit und spärlichen Kost sehr mageren und nicht starken Hunde sind nichtsdestoweniger muthig und greifen gemeinschaftlich oft den Wolf und Bär an.

Vermöge seiner scharfen Nase und seines Muthes kann der Schäferhund zur Suche und zum Fange auf den Dachs mit Vortheil abgerichtet werden. Er sucht auf der Spur sehr zuverlässig oder, wie der Waidmann sich ausdrückt, er „führt die Spur regelmäßig fort“ und findet so, Nachts vom Bau aus auf dem „Pfädchen“ des Dachses von der Leine gelöst, Meister Grimmbart in den meisten Fällen ohne besondere Mühe, holt den Flüchtigen besser als der langsame Pommer ein und vermag den Aufgefundenen oder „Gestellten“ vermöge seiner größeren Stärke auch besser festzuhalten oder zu „decken“. Die Wetterauer Schäfer wissen das sehr gut und gebrauchen die Hunde, welche Hasen und anderes Haarwild nicht jagen, nur zu oft und zwar mit Erfolg zur Nachthatze auf den nützlichen Dachs. Ich kannte einen Schäferhund, der auf dieser Jagd untrüglich war, den gestellten Dachs so lange verbellte, bis man mit der Dachsgabel herzukam, um sogleich mit Sicherheit den Gestellten zu decken. Ebenso bewährt war er auf Iltis und Marder, fing namentlich den letzteren beim Niedersprunge vom Baume auf den Boden mit ungemeiner Gewandtheit, öfter sogar das springende Thier in der Luft. Für diese Jagdarten hat er in dem langsameren und schwächeren Pommer entschiedenen Vorzug, von welch letzterem er nur in der einen Leidenschaft des unbedingt sichern Lautgebens unter der Stelle, wo ein Raubthier „gebaumt“ (in die Höhe geklettert) ist, nicht selten übertroffen wird.

Vollenden wir nun das Bild unseres Braven mit der Schilderung der echten Schäferhundracen der Wetterau.

Unter den vielen durch schlechte und zufällige Kreuzung entstandenen Schäferhunden dieses gesegneten Landstriches haben sich bis jetzt noch zwei Varietäten rein erhalten. Es ist das die eisgraue langhärige und die schwarze krause. Beide haben die oben angedeutete Größe und bei beiden in hohem Grade vertreten sind die obigen Merkmale des echten Schäferhundes. Doch ist die eisgraue Race die constanteste, denn sie leuchtet am meisten bei den Hunden dieser Gegend hindurch und scheint sonach die Ur- und Stammrace dieser Thiere zu sein.

Die schwarze Varietät erscheint gewöhnlich in mittellangen krausen oder gelockten, gleichmäßig über den Körper verbreiteten Haaren. Meist bemerklich machen sich bei dieser Farbe rostgelbe Zeichnung an Wangen, Läufen und in der Aftergegend, sowie gleichfarbige Punkte über den Augen. Gesicht und Vorderkopf erscheinen in der Regel glatt. Vielfach entwickelt diese Varietät gute, brauchbare Hunde; sie liefert aber auch bisweilen jene unruhig hin- und herlaufenden, zum Uebermaß bellenden Thiere, die sich, die Herde und den Schäfer unnütz ermüden, auch, der stetigen Aufmerksamkeit und der Lust an dem Dienst entbehrend, manchmal in den Fehler verfallen, gelegentlich einen Hasen zu jagen.

Der Vorzug vor dieser Varietät gebührt der eisgrauen. Der Hund dieser Race ist kräftig und gedrungen gebaut. Das sehr lange, selten krause oder gelockte Haar bedeckt den Hund von oben bis unten, den Kopf bis zur nackten großen Nase nicht ausgenommen, so daß man glauben sollte, das Thier könne wegen der über das Gesicht hängenden Haare nur unvollkommen sehen, was aber durchaus nicht der Fall ist. Das mittelgroße, ebenfalls stark behaarte Gehör steht, wie bei dem schwarzen Schäferhunde, halb aufrecht, während die obere Hälfte hängt; die dichtverwachsene Ruthe wird gewöhnlich im Halbkreis ziemlich hoch, bei anstrengender Thätigkeit fast gerade wie beim Fuchse getragen. Unter dieser Race giebt es selten fehlerhafte Exemplare, das heißt solche, welche zu ihrem Berufe unbrauchbar sind. Der Eisgraue beweist sich immer verständig, aufmerksam und im Hüteramte von Morgens bis Abends unverdrossen thätig. Dabei ist er ernsten, ruhigen Wesens, karg im Anschlagen (Lautgeben) und Bellen, und ein Feind aller Calfakterei, treuen Charakters und voll Anhänglichkeit an seinen Herrn, in dieser hervortretenden Eigenschaft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_760.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)