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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Wenn wir hinter eine schwarze Scheibe, an deren Peripherie sich kleine Ausschnitte befinden, ein Licht stellen und die Scheibe zunächst in langsame Drehung versetzen, so werden wir das Licht jedesmal nur dann zu Gesicht bekommen, wenn ihm ein Ausschnitt gegenübersteht, während es jedesmal durch die dazwischen liegenden undurchsichtigen Stellen der Scheibe unseren Blicken entzogen wird. Beschleunigen wir nun die Drehung der Scheibe immer mehr, so wird ein Zeitpunkt kommen, in welchem wir das Licht dauernd zu sehen glauben; denn in den Augenblicken, wo uns dasselbe verdeckt ist, wirkt das Nachbild des eben gesehenen Lichtscheines noch fort und vereinigt sich mit der immer wieder zum Vorschein kommenden Flamme zu einem scheinbar ununterbrochenen Lichteindruck.

Doch ich fürchte, meinen freundlichen Leserinnen erscheinen diese Untersuchungen ganz nutz- und zwecklos, und selbst wenn ich Ihnen sage, daß diese Experimente zur Auflösung gewisser schneller Bewegungen in ihre einzelnen Phasen für die Physiker von nicht geringer Wichtigkeit sind, so werden Sie vielleicht doch die praktische Seite vermissen. Aber auch diese läßt sich unseren Versuchen abgewinnen, wenn anders wir ein Spielzeug, das den Kindern und auch noch uns Erwachsenen Freude macht, als etwas Praktisches ansehen. Die eben entwickelten Gesetze von der periodischen Beleuchtung finden nämlich bei der Ihnen gewiß bekannten Stampfer’schen oder sogenannten stroboskopischen (Zauberbilder-) Scheibe und bei dem in neuerer Zeit mehr verbreiteten zootropischen (Thiere und Menschen darstellenden) Rade ihre Anwendung.

Das zootropische Rad besteht aus einem auf senkrechter Axe sich drehenden hohlen Cylinder von Pappe oder Blech, in dessen Mantel sich in gleichmäßigen Abständen voneinander zwölf schmale Oeffnungen befinden. Jeder dieser Oeffnungen gegenüber befindet sich eine von den zwölf auf einen Streifen Papier gezeichneten Figuren. Nehmen wir an, diese Figuren wären alle einander gleich! Setzen wir nun den Cylinder in schnelle Bewegung und sehen durch die Oeffnungen hindurch nach der gegenüberstehenden Figur, so würde uns dieselbe dauernd und unverändert erscheinen, denn jedesmal während des Vorbeieilens der undurchsichtigen Theile des Cylindermantels habe ich ein Nachbild von der Figur, welches dann beim Erscheinen der nächsten Spalte durch das wirklich gesehene ihr gegenüberliegende Bild wieder ausgefüllt wird. Nun stellen aber die Zeichnungen auf den zum Lebensrad gehörenden Streifen eine Figur nicht unverändert, sondern in den auf einanderfolgenden Phasen einer Bewegung dar. So z. B. einen Hampelmann, der unten an der Strippe gezogen wird. Auf dem ersten Bilde hängen Arme und Beine schlaff herunter, auf dem zweiten Bilde fangen sie an sich zu erheben, auf den folgenden Figuren ist diese Erhebung eine zunehmende[WS 1] bis zum achten Bilde, wo sie ihren höchsten Grad erreicht hat, um dann allmählich wieder zu sinken. Wenn ich nun diesen Streifen in den Cylinder, den ich in Bewegung setze, hineinlege und wieder durch die Oeffnung hindurchsehe, so wird gerade so wie das vorige Mal jedes neue Bild auf ein Nachbild des vorigen treffen, beide müssen demnach miteinander verschmelzen. Da nun jedes folgende Bild von den vorhergehenden nur durch eine geringe Bewegungsveränderung verschieden ist, so macht es den Eindruck, als vollziehe sich diese Bewegung an dem einen dauernd gesehenen Bilde. Wir sehen also den Hampelmann in schnellem Wechsel seine Arme und Beine heben und wieder fallen lassen.

Ganz dasselbe zeigt die Stampfer’sche oder stroboskopische Scheibe, bei der die Figuren an der Peripherie einer Scheibe und die Oeffnungen, durch welche man jene Bilder in einem Spiegel sieht, darüber angebracht sind.

An dem zootropischen Rade können wir außerdem jene oben erwähnte Erscheinung, daß uns in Bewegung begriffene Körper bei regelmäßig unterbrochener Beleuchtung doppelt erscheinen, sehr gut nachweisen. Man verdeckt auf dem Bilderstreifen alle Figuren bis auf eine und setzt dann den Cylinder in Bewegung. Beim Hindurchsehen erblickt man nun keineswegs, wie man erwarten sollte, nur eine Figur dauernd sichtbar, sondern man sieht zu gleicher Zeit dieselbe Figur in etwa sechsfacher Zahl nebeneinander. Das rührt aber daher, daß wir beim Hindurchsehen durch die Oeffnungen jedes Mal einen größeren Theil des inneren Cylindermantels überschauen und demnach die sich mitbewegende Figur nacheinander an verschiedenen Stellen, die durch das unterbrochene Sichtbarwerden von einander um Etwas entfernt liegen, zu Gesichte bekommen und Nachbilder davon behalten. –

Wenden wir uns jetzt wieder zu der rotirenden Scheibe, auf der wir vorhin schon Schwarz und Weiß sich zu Grau mischen sahen. Dieselbe kann weiter in zweckmäßigster Weise dazu verwendet werden, um die Gesetze der Farbenmischung zu studiren. Wenn wir nämlich die Kreisfläche der Scheibe mit zwei oder mehreren verschiedenen Farben überziehen, so erhalten wir bei hinreichend schneller Drehung der Scheibe eine über dieselbe ausgebreitete[WS 2] Mischfarbe, indem sich die Eindrücke beider Farben, von denen die zweite immer eine Stelle der Netzhaut trifft, auf welcher noch ein Nachbild der ersten vorhanden ist, hier auf der Netzhaut zu der Empfindung einer einzigen Farbe vereinigen. Wir können auf diese Weise leicht die sogenannten Complementär-Farben, die bei ihrer Vereinigung Weiß geben – nämlich Roth und grünlich Blau, Orange und Cyanblau, Gelb und Indigoblau, grünlich Gelb und Violett – auffinden und uns auch davon überzeugen, daß die sieben Spectral- oder Regenbogenfarben gemischt ebenfalls Weiß geben. – Die complementären Farben, die ich oben nannte, lassen sich aber noch durch eine andere, uns hier ebenfalls interessirende Prüfungsmethode genauer nachweisen, nämlich durch die sogenannten „negativen Nachbilder", über die wir jetzt sprechen wollen.

Der Name der positiven und negativen Bilder ist uns Allen von der Photographie her geläufig. Positive Bilder sind solche, in denen die hellen Partieen des Objects ebenfalls hell, die dunkeln dunkel sind; negative Bilder dagegen solche, in denen die hellen Partieen des Objects dunkel, die dunklen hell erscheinen. Die Nachbilder, die wir besprochen haben, waren positive; die negativen gehen erst aus diesen hervor, wie folgender Versuch lehrt. Wir suchen durch starres Hinblicken auf ein hell erleuchtetes Fenster und sofortiges Schließen der Augen bei Vermeidung jeder hastigen Bewegung ein positives Nachbild von demselben zu gewinnen, an welchem wir also, wie in dem Objecte selbst, die Scheiben hell, das Fensterkreuz dagegen dunkel erblicken. Alsdann kehren wir, mit noch geschlossenen Augen, das Gesicht langsam nach einer gleichmäßig hell erleuchteten Wand und öffnen die Augen; alsbald erscheint uns das negative Nachbild, das heißt, wir sehen nun die Fensterscheiben dunkel, das Kreuz dagegen hell. – Woher rührt dieser Wechsel in der Beleuchtung des Bildes? Die Physiologie giebt uns über diese Erscheinung folgenden Aufschluß.

Das auf die Netzhaut wirkende Licht, das durch seine intensive und plötzliche Einwirkung das positive Nachbild hervorrief, ermüdet nach einer gewissen Zeit die getroffenen Nervenfasern derartig, daß dieselben, wenn ich das Gesicht nun nach einer gleichmäßig erleuchteten Fläche wende, nicht mehr im Stande sind, das von derselben zurückstrahlende Licht aufzunehmen. Neben den vorher gereizten Netzhauttheilen liegen aber solche, die nicht durch Licht ermüdet sind – die dem dunkeln Fensterkreuz entsprechen; diese Partien werden also, wenn sich das Auge dem Hellen zuwendet, noch frisch und ungeschwächt das dargebotene Licht aufnehmen, und es werden daher die Stellen, die vorher dem Fensterkreuz entsprachen, hell, diejenigen aber, die vorher von dem Lichte der hellen Fensterscheiben getroffen und ermüdet waren, dunkler erscheinen. Auf diese Weise entstehen die negativen Nachbilder, die wir – aus nun ersichtlichen Gründen – auch Ermüdungsnachbilder nennen können. Wie werden sich nun aber die negativen Nachbilder von farbigen Objecten verhalten? Um dies zu prüfen, machen wir folgendes leicht ausführbare Experiment. Wir legen eine gelbe Oblate auf einen Bogen grauen Papiers und fixiren scharf einen Punkt derselben, ziehen dann plötzlich die Oblate weg oder verändern die Stellung der Augen; sofort wird uns nun auf dem grauen Grunde ein scharf gezeichnetes negatives Nachbild der Oblate erscheinen und zwar von blauer Farbe. Wenn wir mit einer rothen Oblate dasselbe Experiment wiederholen erhalten wir ein negatives Nachbild von blaugrüner Farbe, bei einer grünen ein rosarothes Nachbild. Daraus können wir aber den Schluß ziehen, daß die negativen Nachbilder farbiger Objecte in den Complementärfarben erscheinen.

Wenn wir versuchen sollen, uns diese eigenthümliche Erscheinung zu erklären, so müssen wir zu einer Hypothese greifen, die, im Jahre 1807 von dem Engländer Thomas Young aufgestellt,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zunnehmende
  2. Vorlage: ausgebreite
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_756.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)