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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

24.


Gotthold war, sobald sein Zustand es erlaubte, von Prora nach Sundin übergesiedelt, obgleich Ottilie behauptete, daß die Luft in Prora für einen Reconvalescenten ungleich besser sei, und er das versprochene Bild ebensowohl hier wie dort ausführen könne. Ja, sie hatte sich bereit erklärt, falls sich nur der Freund um diesen Preis halten ließe, ganz und gar auf das Geschenk zu verzichten; aber ihr Gatte war wieder einmal anderer Meinung gewesen. „Man darf nicht halten wollen, wer gehen will,“ hatte er gesagt; „oder man müßte dann die Verantwortung alles dessen übernehmen, was aus dem Bleiben folgen kann. Und dazu habe ich in diesem Falle keine Lust. Ich bin dem jungen Manne wahrhaftig herzlich gut, wie er es verdient, und gönne ihm von Herzen alles Glück, das er verdient; nur sehe ich nicht recht, wie er es auf diesem Wege erreichen könnte. Und ich will damit nicht etwa feierlich an meine Dir bekannten Ansichten über die Ehe erinnert haben; ich ließe mich schon zu allen möglichen Concessionen bereit finden, wenn Gotthold damit geholfen wäre. Aber das ist es nun doch nicht. Und das einzige Mittel, die Hindernisse aus dem Wege zu räumen, ist so schlimmer Art, daß, wie ich ihn kenne, er schaudern wird, es anzuwenden, wenn es überhaupt einmal so weit kommt. Vorläufig ist es noch nicht so weit.“

„Ich werde mich hüten, mir über diese Räthsel den Kopf zu zerbrechen,“ rief Ottilie, „nur diese eine Frage, auf die ich mir aber eine gerade, ehrliche Antwort erbitte: kennt Gotthold dies Mittel?“

„Ich habe es ihm nicht genannt; es ist aber möglich, daß sein Scharfsinn von selbst darauf verfällt.“

Wie wenig zufrieden auch Ottilie mit dieser problematischen Auskunft gewesen war, daran hatte auch sie nicht zweifeln können, daß Gotthold in der That fort wollte, und daß ihn selbst das Zureden ihres Gatten schwerlich gehalten haben würde.

Gotthold war fortgeeilt mit der Heftigkeit Jemandes, der einen Zauberbann um sich gezogen wähnt, und nun denselben, koste es was es will, zu durchbrechen strebt. War es denn nicht wie ein magischer Kreis, der sich um ihn geschlungen von dem Augenblick an, da er seine Heimathsinsel betreten hatte und mit dem Gefährten seiner Jugend, ohne ihn zu kennen, durch die heimischen Fluren gefahren war? Der gute Jochen Prebrow! er hatte wahrlich herzlich wenig von einem Götterboten, und doch hatte mit ihm die Reihe der Wunder dieser letzten Tage begonnen, die ihm jetzt ein himmlisch Angesicht und jetzt eine höllische Fratze zeigten, ihn jetzt mit Nektar und Ambrosia letzten und ihm jetzt Asche auf die lechzende Zunge streuten.

„Ich wäre das unseligste Geschöpf, wenn Du mich nicht verständest!“

Die Worte klangen ihm immerdar im Ohr – die Worte und der bange Ton, in welchem sie dieselben gerufen, wie aus der Tiefe der Unseligkeit heraus, in die sie rettungslos stürzte, wenn er sie nicht verstand. Sie und er! Hieß Nichtverstehen doch Zweifeln; und Zweifeln und Verzweifeln war in diesem Falle Eines und Dasselbe!

Hatte er sie verstanden?

Es war mitten in der Nacht gewesen, als Gotthold aus einem unruhigen Schlaf emporfuhr, und da hatte es, nachtgeboren, vor seiner Seele gestanden: Eines und nur Eines gab es, was sie nicht konnte, nicht durfte: gehen, während ihr Kind blieb, in der Gewalt dieses Teufels blieb; und mit diesem Einen hatte der Teufel sie zu seinem Willen gezwungen. Und daß er sie zum Gehen zwingen könne, zum Gehen zwingen werde! die Scheidung einer Ehe beantragen werde, die sie gebrochen – oder sollte sie, die Stolze, leugnen? abschwören daß sie in des Freundes Armen gelegen? vor Gericht, vor der Welt das Ja wiederholen, das sie längst ihm in’s Angesicht in ein starres Nein verwandelt? Nun wohl, dann war der Treubruch constatirt, die Ehe geschieden, das Kind wurde dem schuldigen Theil ab- und dem Theil zugesprochen, den keine Schuld traf!

Und dann hatte er ihr hohnlachend die wahrheitschänderische Formel vorgesprochen, mit der sie am nächsten Morgen vor dem Geliebten sich zur Dirne machen sollte, machen mußte, wenn er das höllische Spiel nicht durchschaute, wenn er sie nicht verstand!

Gott sei Dank, daß er sie jetzt verstand! Aber was mußte sie gelitten haben! was mußte sie leiden!

Und das sollte so bleiben? nimmer und nimmermehr! Jetzt, da er endlich seines Gegners schnödes Spiel durchschaut hatte, mußte ihm der Sieg gelingen. Und wenn er sich die Schande, zu wissen, daß sein Weib im Herzen einem Andern gehöre, mit baarem Gelde hatte bezahlen lassen, was war ihm dann nicht feil! Aber war ihm Alles feil: Ehre, Weib und Kind – weshalb hatte er denn nicht Alles und Alle auf einmal verkauft, da er doch wußte, daß ihm jeder Preis bezahlt werden würde, so weit das Vermögen des[WS 1] Käufers reichte? Wollte er künstlich den Preis seiner Waare steigern, dadurch, daß er die Stücke einzeln losschlug? Oder gab es auch für ihn ein Etwas, über das er nicht hinwegkam? undenkbar! oder war sein Haß gegen den Nebenbuhler doch größer, als seine Habsucht? trieb er das Raffinement der Grausamkeit so weit, seine Opfer nur zu verstümmeln, damit er sich noch an ihren Qualen weiden konnte?

Das war gewiß bei einem solchen Manne sehr wohl denkbar; aber wie lange blieb der Verschwender, der Spieler in der Lage, sich eine so kostbare Lust gewähren zu können? wie bald konnte die Nöthigung an ihn herantreten, seine Waare losschlagen zu müssen? Was hatte der Käufer zu thun, als ein wenig Geduld zu haben und das Geld bereit zu halten?

Und mit einem Male gewann für Gotthold sein Vermögen, auf das er bis jetzt ein so geringes Gewicht gelegt, einen wunderbaren, unschätzbaren Werth; und es fiel ihm schwer auf die Seele, daß er den größten Theil desselben Leuten anvertraut, deren Redlichkeit keineswegs außer allem Zweifel stand. Wenigstens hatte Wollnow bereits früher, als sie nur erst brieflich mit einander verkehrten, wiederholt andeutend und endlich mit klaren Worten zur Vorsicht gegen das Stettiner Geschäftshaus ermahnt; aber Gotthold hatte, aus Gleichgültigkeit gegen den Besitz, aus Pietät vor dem Namen des Erblassers, der in der Firma des Nachfolgers beibehalten war – die Warnung nicht beachtet, bis Wollnow neuerdings und dringender als vorher auf diesen Punkt zu sprechen gekommen war und geradezu gesagt hatte, daß er sein Geld kündigen müsse und daß Gefahr im Verzuge sei. Das Banquierhaus in Sundin, welches die Wollnow’schen Wechsel discontirt, hatte Gotthold die Aussagen des Geschäftsfreundes bestätigt und ihm seine guten Dienste angeboten, aber er solle lieber heute als morgen kündigen.

Gotthold hatte es thun wollen; aber sein nächster Besuch hatte seinem Pensionair, dem jungen Maler Bruggberg, gegolten, den er sterbend fand, und er hatte über seinen Freundespflichten alles Andere vergessen. Dann waren Tage und Wochen trübster Verstimmung gefolgt, in welchen er sich zu keinem Entschlusse aufraffen konnte. Jetzt brauchte er sich nicht aufzuraffen; jetzt trieb es ihn, die Säumniß einzubringen; es war zu spät.

Als er bei dem Banquier eintrat, kam ihm derselbe mit einem sehr ernsten Gesicht entgegen. Soeben war die Nachricht aus Stettin eingelaufen, daß das Haus Lenz und Compagnie fallirt habe – in einer unerhört scandalösen Weise; für die Gläubiger würden nicht fünf Procent aus der Masse abfallen. „Es thut mir herzlich leid,“ sagte Herr Nathanson; „ich selbst verliere eine Kleinigkeit, wenn man noch verlieren kann, was man längst verloren gegeben hat; aber Sie sind sehr stark engagirt, wenn ich Sie recht verstanden habe. Waren es nicht fünfzigtausend Thaler?“

Vor kurzer Zeit noch würde Gotthold ob einer solchen Nachricht die Achseln gezuckt haben und wieder an seine Arbeit gegangen sein. Jetzt traf ihn dieselbe wie ein Donnerschlag. Durch die Anleihe, welche er neulich bei Wollnow gemacht hatte, und seinen jetzigen Verlust war sein Vermögen auf den vierten Theil etwa reducirt, und auch dieser gehörte ihm, streng genommen, nicht mehr. Ja, nicht einmal streng brauchte er es zu nehmen; er brauchte nur den Verpflichtungen, die er eingegangen, nicht untreu werden zu wollen: Verpflichtungen gegen arme junge Künstler, die ihren Lebensplan auf seine Freundschaft gebaut, gegen die Wittwe und die Kinder des eben dahingeschiedenen Kunstgenossen, die ohne ihn dem Elend preisgegeben waren. Was blieb ihm, wenn er, wie es seine Ehre, wie es sein Herz von ihm heischten, diese Schulden bezahlte? nichts! nichts außer den Erträgnissen seiner Arbeit. Das war für ihn genug, und übergenug; aber für die Unersättlichkeit jenes Wüstlings? er würde sich nicht auf die Zukunft vertrösten, nicht auf Abschlagszahlungen einlassen, er nicht!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: das
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_751.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)