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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 46.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


„Es handelt sich in erster Linie um das verlorene Geld, das doch, wenn es möglich, wieder herbeigeschafft werden muß,“ erwiderte Wollnow.

„Der arme Sellien! er thut mir wahrlich leid,“ sagte Gotthold; „aber ich sehe nicht, was Ihre Fragen und meine Antworten zur Herbeischaffung des Verlorenen helfen sollen.“

„Lassen Sie uns eben sehen. Glauben Sie zu wissen, daß Sellien das Geld noch bei sich hatte, als Sie Dollan verließen?“

„Ich weiß es mit Bestimmtheit; er hatte mir, da er ja nicht ahnte, daß das Geld von mir kam, auf einem Spaziergange nach Tische voller Bewunderung mitgetheilt, daß Brandow ihn bezahlt habe, und mir dabei das Paket gezeigt, indem er es aus der Brusttasche seines Rockes nahm. Dort sah ich es auch während des ganzen Abends – nicht ohne einige Unruhe. Ich fürchtete immer, er könne sich verleiten lassen, das Geld anzugreifen. Glücklicherweise blieb er im Gewinn.“

„Es wurde also gespielt? Wer war der Verlierer?“

„Brandow.“

„Verlor er viel?“

„Ich glaube, daß er an Redebas, der wohl allein den Muth hatte, einem so tollkühnen Gegner Stand zu halten, fünftausend Thaler verloren hat.“

„Die er selbstverständlich nicht auf der Stelle bezahlte?“

„Gewiß nicht; und eben daraus entstand der Streit, der damit endete, daß die Anderen zornentbrannt das Haus verließen.“

„Hatten Sie sich in den Streit gemischt?“

„Ich sicher nicht; Sellien vielleicht ein wenig, wenigstens konnte Brandow daraus Veranlassung zu den Ungezogenheiten nehmen, die uns dann auch aus dem Hause trieben.“

„Aus dem Hause trieben! sehr gut!“ sagte Wollnow, als hätte er die Worte wirklich zu Protokoll genommen. – „Und Sellien hatte das Geld noch, als Sie fortfuhren?“

„Ich fühlte das Paket, als ich dem Halbberauschten den Ueberrock zuknüpfte.“

„Und der Ueberrock war noch zugeknöpft, als Lauterbach ihm hier den Verband anlegen wollte. So sagten Sie neulich, und Lauterbach bestätigt es. Hatten Sie denn in der Schmiede keinen Versuch gemacht, ihn seiner Kleider zu entledigen?“

„Nein. Der alte Prebrow wollte es; aber Sellien, der für einen Augenblick zur Besinnung kam, bat so dringend, ihn zu lassen, wie er sei, daß wir davon abstanden und uns begnügten, ihn in dem Stroh und Heu des Wagens, den die Prebrows unterdessen bereit gemacht hatten, möglichst weich zu betten.“

„Und fühlten Sie das Paket auch da noch?“

Gotthold besann sich. „Nein,“ sagte er; „da hatte er es nicht mehr. Ich erinnere mich jetzt, daß erst der Alte und dann ich ihm die Brust betasteten, weil er über große Schmerzen in den kurzen Rippen der linken Seite klagte. Da hätte ich das Paket fühlen müssen. Das ist wirklich seltsam.“

„Gewiß ist es das,“ erwiderte Wollnow, „da es ihm doch nicht von den wackern Prebrows, Vater und Sohn, die ihn von der Unglücksstätte bis zur Schmiede trugen, aus der Tasche genommen sein kann?“

„Unmöglich!“ rief Gotthold.

„Und es doch fast, wenn auch in einem andern Sinne, ebenso unmöglich ist, daß er es während des Sturzes aus den Taschen seines zugeknöpften Rockes verloren hat, über den noch ein anderer Rock geknöpft war?“

„Dennoch bleibt keine andere Annahme übrig.“

„So scheint es. Aber lassen Sie uns wieder ein paar Schritte zurückgehen. Sie hatten also durchaus die Empfindung, daß Brandow Sie aus dem Hause trieb. War Ihnen das nicht auffallend?“

„Nein und ja.“

„Nehmen wir an, daß das Nein auf Ihr Verhältniß mit Brandow geht und das Ja sich auf den Assessor bezieht, dessen Gunst sich zu erhalten, er doch wahrlich die dringendste Veranlassung hatte. Ich gestehe, mir ist es unbegreiflich. Und dazu in einer solchen Nacht – wie König Lear sagt: in Sturm und Regen und Finsterniß – Sie hinauszutreiben und Ihnen dann einen Wagen ohne Laternen zu geben auf einem so mit Recht verrufenen Wege!“

„Es ist das Alles wahr,“ sagte Gotthold verlegen; „aber die Constatirung von Brandow’s Unfreundlichkeit – die er ja übrigens sofort bereut und noch an demselben Abend wieder gut zu machen versucht hat – wird uns wohl kaum zur Wiedererlangung des Geldes verhelfen.“

„Sie sehen, ein wie ungeschickter Inquisitor ich bin,“ erwiderte Wollnow, sich mit der Hand über die Stirn fahrend. „Lassen wir also den Herrn und halten wir uns ohne Ehrerbietung vor der Sprüchwortweisheit an den Knecht. War es nicht derselbe, der Sie am Morgen gefahren?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_749.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)