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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Ueberblick über die ganze Gegend hatte, und wo er sich wahrscheinlich durch zu langes Verweilen in der herbstlichen Abendluft, sich vergessend über den ihm lieben Besuch eines russischen Freundes, die Erkältung zugezogen, welche seinen endlichen Hingang beschleunigte.

In diesem Studirzimmer hatte er seine große, äußerst werthvolle Bibliothek, deren einer Theil auf seinem Schreibtische und mehreren anderen Tischen, auf kleineren und größeren Regalen, der andere, namentlich die großen schweinsledernen Folianten, auf den Brettern rings an den Wänden ihren Platz hatten. Es herrschte hier die größte Ordnung. Zwischen den Büchern hatte er auch Steinen, Muscheln und drei Originalschädeln von Negern und Indianern ihre Stelle angewiesen. Der große Schreibtisch stand in der Mitte; er arbeitete auf einem einfachen Stuhle sitzend, hatte sich aber unmittelbar dahinter einen kleinen Divan gestellt, auf dem er sich nach seinen Arbeit ausruhte. An den Wänden hingen zahlreiche Bilder, Portraits von alten und neuen Dichtern und Philosophen, in einfachen Rahmen; einige, wie Spinoza, Giordano Bruno u. A., hatte er sich auf dem Trödlermarkte in Nürnberg gekauft.

An Bildern, zumal an künstlerisch-schönen, hatte er immer eine große Freude, und da störte es ihn selbstverständlich nicht, wenn sie ihre Entstehung auch einer der seinen ganz entgegengesetzten Weltanschauung verdankten. Eine Madonna von Raphael entzückte ihn; die sixtinische hing an einem bevorzugten Platz im Familienwohnzimmer, und vor einer anderen steinernen Marienstatue mit dem Kind, welche in der „Hirschelgasse“ in Nürnberg, aus alter Zeit herrührend, an einem Hause angebracht ist, blieb er oft stehen, sich in den Anblick der jungfräulichen Reinheit und weiblichen Innigkeit versenkend.

Die Kunst überhaupt liebte er in hohem Grade, freute sich darum auch an einer gelungenen Theateraufführung, aber diese Genüsse waren, theils wegen der Entfernung seines Wohnhauses von der Stadt, theils in Folge seiner ökonomischen Verhältnisse, so spärliche, daß er während der zwölf Jahre auf dem Rechenberge wohl kaum mehr als zwei Mal das Theater besucht hat. In seinen jungen Jahren hatte er selbst die Flöte gespielt; Mozart war und blieb sein Liebling; eine Sonate von ihm, oder eine einfache Volksmelodie, die seine Tochter ihm auf dem Clavier spielte, das machte ihm ein glückliche Stunde. Auch hatte er seine ganz besondere Freude an einem harmonisch-schönen Glockengeläute. Wenn die Glocken von St. Sebald oder St. Lorenzen in der Stadt zusammenläuteten, da ging er oft auf seinen kleinen Altan hinaus, um es deutlicher zu hören, und die Seinen bemühten sich dann ängstlich, daß Alles im Hause ganz still sei, damit er in seinem Genusse nicht gestört werde. Das Anhören dieses Glockenconcertes ersetzte ihm Theater und die anderen Concerte, auf die er verzichten mußte.

Es ist ein tiefes, ein rührend kindliches, wahrhaft ergebenes Gemüth, das ihm diesen Verzicht möglich machte, und wer überhaupt Ludwig Feuerbach, wie er wirklich leibte und lebte, nicht nach den entstellenden Zerrbildern seiner pfäffischen Gegner, sich vorstellen will, der muß vor Allem wissen, daß die Tiefe und Innigkeit seines Gemüthes der Hoheit und Kühnheit seines Geistes vollkommen ebenbürtig war. Es ist darum der Wahrheit vollkommen entsprechend, wenn der intime Freund des Entschlafenen und seiner Familie, der Secretär des Germanischen Museums, Hektor, in seinem dem Todten gewidmeten Nachruf sagt:

„Und Dein Herz und Dein Gemüth,
Wer wird’s je ergründen?
Des Poeten höchstes Lied
Kann es nicht verkünden.
Polizei nur wär’ gekränkt,
Wenn sie dies erführe:
Daß kein Bettler unbeschenkt
Ging von Deiner Thüre.“

So wenig er zu geben hatte, so gab er doch immer, und beklagte nur, daß er nicht noch mehr geben konnte. Dadurch brachte er einmal seine gute Frau, die ihm eine ebenso hingebende Gattin, als emsige, tüchtige Hausfrau war, in große Verlegenheit. Sie hatten einen lieben Besuch, und er selbst hatte diesem mit sichtbarer Freude mitgetheilt, daß es Mittags einen saftigen Braten gäbe. Als der Freund sich aber zur ausgemachten Stunde einstellte, mußte die Hausfrau sich entschuldigen: Feuerbach hatte inzwischen von der Noth eines ganz in der Nähe wohnenden armen Schusters gehört und diesem den prächtigen Braten in Papier eingepackt eigenhändig in’s Haus gebracht; der Besuch mußte mit etwas Anderem vorlieb nehmen.

Von seinem Gemüthe und seinem immer offenen Auge selbst für die kleinsten Liebesdienste spricht auch ein anderer scheinbar unbedeutender Zug, welchen der Verfasser des oben genannten Nachrufes mir mitgetheilt hat. Sie gingen ihrer Zwei oder Drei in lebhaftem Gespräch durch die Straßen Nürnbergs, und kamen an einem der vielen Brunnen vorbei, aus denen das Wasser mittelst hölzerner Schwengel geschöpft wird, welche im Ruhestand ziemlich hoch am Brunnenstock oder einem daneben stehenden Pfahl in eiserne Haken eingehängt sind, so daß kleineren Kindern es nicht möglich ist, sie mit ihren Händen zu erreichen. Da kam ein Kind mit einem Wassergefäß und machte wiederholt Versuche, den Schwengel in der Höhe aus dem Haken herauszubringen; es gelang ihm nicht. Die mit Feuerbach Gehenden, in’s Gespräch mit ihm Vertieften bemerkten wohl auch das Kind, aber keinem fiel es ein, ihm zu helfen, das Gespräch war ihnen wichtiger; Feuerbach selbst aber dachte oder fühlte anders – er verließ die Sprechenden, trat auf die Seite, holte dem Kinde den Schwengel herunter und half ihm seinen Krug füllen.

Dieser tief gemüthliche Zug seines ganzen Wesens trat in den letzten Jahren seines Lebens in noch stärkerem Grade hervor, als in seinen gesunden Tagen, oder es ist vielleicht richtiger zu sagen, es erschien dem aufmerksamen Beobachter so, weil die Thätigkeit der Denkkraft in ihm zu erlahmen begann. Und davon zeigten sich die frühesten leisen Andeutungen schon im Jahre 1867.

Der deutsche Bruderkrieg war gerade vorüber; Feuerbach hatte ihn, als einen nach seiner persönlichen Ueberzeugung blos dynastischen Krieg, als im Widerspruch mit seiner idealen Weltanschauung auf’s Allerentschiedenste verdammt; da traf ihn der erste Schlaganfall! Als er sich etwas wieder erholt, nahm er mit seiner Tochter Leonore, auf Einladung eines durch seine Schriften gewonnenen warmen Freundes in Oesterreich, einen fünfwöchentlichen Herbstaufenthalt in Goisern bei Ischl, um in der reinen Gebirgsluft seine Gesundheit vollkommen wieder herzustellen. Der Name dieses Freundes Konrad Deubler, Bäcker und Wirth in Goisern, verdient wohl der Nachwelt aufbewahrt zu werden, denn er beweist nicht nur, welche kerngesunde, nach höherer Wahrheit sich sehnende und ringende Menschen trotz aller jahrhundertlangen hierarchischen Verfinsterung Oesterreich in sich birgt, sondern namentlich auch, welcher Opfer für die Wahrheit diese Menschen fähig sind. Konrad Deubler hatte seit Jahren mit anderen seiner Gesinnungsgenossen sich freisinnige Schriften aus Deutschland kommen lassen, so namentlich den damals vielgelesenen[WS 1] Leuchtthurm, aber zuletzt auch Feuerbach’s Werke. Dafür, für „gesetzwidrige“ Verbreitung oder auch nur Haltung solcher Schriften und zugleich für seine als Hochverrath erklärte freie politische Gesinnung erhielt er in den fünfziger Reactionsjahren vier Jahre schweren Kerker, die er in Olmütz und Iglau bis auf den letzten Tag abgesessen hat. Daß ein solches Martyrium der zwischen ihm und Feuerbach, den er zuletzt im Jahre 1865 in Nürnberg aufgesucht, entstandenen Freundschaft eine höhere Weihe gab, ist selbstverständlich. Die Herbsttage, welche sie 1867 zu Ausflügen in die Berge, wozu Feuerbach meist seinen Steinhammer mit sich nahm für mineralogische Aufsuchungen, miteinander benutzten, sie blieben diesem unvergeßlich. Frischgestärkt kehrte er nach Nürnberg zurück; er besuchte im Winter die Vorlesungen, welche damals Karl Vogt hielt, aber dem Auge dieses scharfen Beobachters entging es nicht, daß von dem Schlaganfall ein unheilbares Leiden zurückgeblieben war – und er erklärte daher damals schon in einem Briefe, den er über Feuerbach’s Befinden an Deubler nach Goisern schrieb, daß eine langsam zunehmende Gehirnkrankheit sich jetzt schon angekündigt habe.

Hätte Feuerbach in andern Verhältnissen, in anderer Umgebung, mehr unter Menschen, nicht in dieser Abgeschlossenheit gelebt, und wären nicht gerade in diese für seinen Zustand so verhängnißvolle Zeit die zwei furchtbar blutigen Kriege gefallen, wer möchte es nicht wenigstens für möglich halten, daß das Schwinden seines Geisteslebens ein langsameres gewesen wäre?

Als ich im Jahre 1869 zum ersten Mal das hohe Glück hatte, ihm persönlich nahe zu treten, da nahm er noch lebendigen Antheil an allen großen Fragen der Zeit; die nachwirkende Folge seines Schlaganfalls zeigte sich jedoch immer deutlicher

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: vielgesenen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_746.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)