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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

grauen Thurme seine Wohnung aufgeschlagen hatte, singt von der alten Burg:

„Ich zieh’ in euch, ihr Mauern,
Mit Wehmuth und mit Lust:
O Vorzeit, reich an Schauern,
Du ziehst in meine Brust.

Ihr Wände habt belauschet
Des alten Kaisers Glück,
Vom Saitenklang durchrauschet,
Erhellt vom Sonnenblick.“

Von der Romantik der Sage umwoben und in manchem Liede verherrlicht, schaut die alte Burg als ein Zeuge aus längst vergangener Zeit zu uns herüber. Die an sie und den dunkeln

Burg Frankenberg bei Aachen.
Nach einer Skizze von Rudolf Scipio.

stillen See sich knüpfende Sage ist eine überaus sinnige und ansprechende. Die schöne Fastrade, Karl’s des Großen inniggeliebtes Ehegemahl, war ihm durch den Tod entrissen; doch der Kaiser vermochte sich nicht an den Gedanken seines unersetzlichen Verlustes zu gewöhnen. Er glaubte noch immer, daß Fastrade zum Leben erwachen und in seine Arme zurückkehren werde,

„– – und herzt und küßt das bleiche Bild,
Als wär’s noch rosenroth.“

Erzbischof Turpin, der Freund und vertraute Rath des Helden, sann vergebens nach, wie er den Kaiser von der traurigen Wahrheit überzeugen könne, daß die schöne Fastrade nie wieder die hellen Augen aufschlagen werde. Endlich zeigte ihm ein Traumbild in dem Haarschmucke der todten Herrin den Ring, von dem jener Zauber, der den Kaiser bestrickt hatte, ausging. Kaum hatte der Erzbischof am andern Tage das Kleinod aus Fastradens Haar entfernt, als Karl’s Augen sich öffneten und dieser nun in wilden Schmerz um den Tod der Geliebten ausbrach. In Gold und Purpur gekleidet, wurde Fastrade in der Kaisergruft beigesetzt, und von Stund’ an wandte Karl seine ganze Anhänglichkeit und Liebe dem im Besitze des Ringes befindlichen Freunde zu, bis dieser, um den Zauber, den er für gottlos hielt, zu brechen, das Kleinod in den dunkeln See warf.

„Und was ihn so gekränket,
Was ihm sein Herz bezwang,
Hier liegt’s im See versenket
Schon tausend Jahre lang.“

Doch auch in der Tiefe des See’s hatte das Kleinod seine Zaubermacht über den Kaiser noch nicht verloren. Karl zog fortan die Burg Frankenberg allen seinen anderen Schlössern vor. Hier in der durch Nichts gestörten Stille, fern von dem Getriebe der Welt, saß er Tage lang an den einsamen Ufern des Sees und blickte, vergangener Zeiten und seines verlorenen Glückes gedenkend, hinab in die dunkle Fluth.

Schenkendorf singt, an die Sage anknüpfend:

„Hier hat der Held gesessen,
Als ihm sein Lieb entschlief,
Die Lust war ungemessen,
Das Leid war gar zu tief.

D’rum ist der See so trübe,
Mit Laub und Schilf bedeckt,
Weil ihren Gram die Liebe
Gern aller Welt versteckt.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_721.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)