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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

unter der alten Firma fortgeführt wird, und wo es gar nicht mehr sehr sicher angelegt sein soll; aber er rührt nicht einmal die Zinsen an, außer wenn es gilt, hülfsbedürftigen Künstlern beizuspringen, oder junge, strebsame Talente zu fördern, ihnen den Aufenthalt auf der Akademie, eine Reise nach Italien zu ermöglichen, und was dergleichen mehr ist. Nun, er braucht es ja nicht; er verdient ja mit Leichtigkeit so viel, wie er will, und ist ja überdies ein so grundguter Mensch, dem Andern wohlzuthun Bedürfniß ist, aber ich glaube, es hat doch damit seine eigene Bewandtniß.“

„Womit?“ fragte Alma.

„Warum heirathet er nicht? Gelegenheit dazu hat sich ihm doch gewiß die beste geboten, und er ist achtundzwanzig Jahre! Ich fürchte, ich fürchte, er wird ein Junggeselle bleiben, wie sein Onkel in Stettin; und – aus demselben Grunde. Und wo das Geld bleibt, das glaube ich auch schon zu wissen. Nach dem, was wir heute Morgen über Brandow’s Verhältnisse gehört haben, wäre es dann auch recht gut placirt; von Vater und Mutter wird das arme Gretchen wohl nicht viel zu erben haben.“

„Er wird kein Narr sein,“ sagte Alma.

„Das werden die Leute von dem guten Eduard Lenz ebenfalls gesagt haben. Und ich glaube, ich glaube – aber Du mußt mich nicht verrathen, wenn Dein Mann zurückkommt –, ich glaube, ein Theil von Gotthold’s Vermögen ist heute schon in Brandow’s Hände gewandert.“

„Sagte Dein Mann das?“

„Dann wüßte ich es ja; Emil und Ausplaudern – da kennst Du ihn schlecht. Alles eigene Combination, aber die sich bestätigen wird, wenn die Herren morgen zurückkommen.“

„Ich habe ihnen noch beim Wegfahren gesagt, daß ich sie heute Abend mit Bestimmtheit zurückerwarte,“ sagte Alma, durch die hohle Hand auf das Gemälde blickend, und im Stillen die Phrase wiederholend, mit der sie Gotthold empfangen wollte.

„Wahrhaftig, da sind sie schon! rief Ottilie, als jetzt die Hausglocke ertönte.

„Es kann ja auch Dein Mann aus seinem Club sein.“

„Der klingelt nicht,“ sagte Ottilie; „es ist auch nicht sein Schritt.“

Ottilie ging mit einem „Herein“ auf die Thür zu, an welche jetzt geklopft wurde; Alma lehnte sich in die Sophaecke, den Kopf ein wenig hintenübergeneigt, im Begriff, die weißen Hände in dem Schooße möglichst vortheilhaft zu arrangiren, als sie durch einen leisen Schrei Ottiliens aus ihrer Pose aufgeschreckt wurde.

„Herr Brandow!“

„Verzeihen Sie, gnädige Frau, verzeihen die Damen, daß ich mich, in Ermangelung eines Domestiken, der mich hätte melden können, unangemeldet introducire. Ich hoffe, daß Sie mich einige Minuten bei sich dulden und mir so einen Scherz ausführen helfen, den ich unsern Freunden zugedacht habe.“

Brandow verbeugte sich; Ottilie blickte ihn überrascht, ja erschrocken an. Herr Brandow sah so gar nicht aus wie Jemand, der einen Scherz auszuführen gedenkt; sein Gesicht bleich und wie entstellt, sein langer blonder Schnurrbart zerzaust, seine Kleidung eine seltsame Zusammenstellung von Gesellschaftsanzug und Reitcostüm, mit Spritzflecken, die bis zur Schulter hinaufreichten. Und in dieser Verfassung, zu dieser späten Stunde in ein Haus zu kommen, das ihm so gut wie fremd, ja seit Jahren eigentlich verschlossen war! Ottilie hatte für das Alles nur eine Erklärung.

„Es hat doch kein Unglück gegeben?“ rief sie.

„Ein Unglück?“ sagte Brandow, „daß ich nicht wüßte; oder doch, das Unglück, das ich gehabt habe, mich den Freunden gegenüber ein wenig tactlos – ein wenig sehr tactlos, meine Damen, zu benehmen. Und da ich, obgleich sonst ein vielgeprüfter Mann, meine Damen, an diese Sorte Unglück nicht sehr gewöhnt bin, hat es mich nicht gelitten, bis ich den Versuch gemacht, mich in meinen Augen zu rehabilitiren, von den Freunden zu schweigen, die mir meine Ungeschicklichkeit gewiß schon unterwegs vergeben haben.“

„Nicht wahr, sie kommen heute Abend? ich habe es ja gesagt!“ rief Alma.

„Ohne Zweifel, gnädige Frau; und sie werden gleich hier sein, in – sagen wir in zwanzig Minuten – ganz recht, zwanzig Minuten. Sie fuhren genau zehn Minuten vor zehn von Dollan ab; jetzt ist es genau ein halb elf; sie brauchen, trotz des abscheulichen Wetters, mit meinen kräftigen Pferden und einem so ausgezeichneten Kutscher, wie mein Hinrich, eine Stunde; also in zwanzig Minuten, meine Damen, werden wir den Wagen vorfahren hören.“

Brandow hatte seine Uhr hervorgenommen und blickte nicht von derselben auf, während er seine Rechnung anstellte.

„Und Sie selbst?“ fragte Alma.

„Ich selbst, gnädige Frau, ritt, nachdem ich mich von den Herren mit einer Unfreundlichkeit verabschiedet, die ich tief bedauere, Schlag zehn Uhr von Dollan ab und stellte genau fünfundzwanzig Minuten später meinen Gaul in den Stall des Fürstenhofes, das heißt, ich habe zu den anderthalb Meilen von Dollan bis zum Fürstenhof genau fünfmal so viel Zeit gebraucht, wie zu den fünfhundert Schritt vom Fürstenhof bis hierher.“

„In fünfundzwanzig Minuten denselben Weg, auf dem die Anderen eine Stunde fahren!“ rief Alma.

„Verzeihen Sie, gnädige Frau; ich konnte nicht denselben Weg über die Dollaner Haide nehmen, den die Freunde genommen, sonst wäre ja die Ueberraschung unmöglich gewesen. Ich ritt einen zweiten über Neuenhof, Lankenitz, Faschwitz und so weiter. Frau Wollnow wird ungefähr die Direction verfolgen können – einen Weg, der mindestens noch einmal so lang, und – noch einmal so schlecht ist, wie ich leider an meinen Kleidern zu spät bemerke.“

„O, wie ich diese kühnen Reiterstücke liebe!“ rief Alma mit einem schwärmerischen Augenaufschlage. „Setzen Sie sich zu mir, lieber Brandow, hierher.“

Sie hatte das Arrangement vergessen, das sie zu Gotthold’s Empfang gemacht, und indem sie mit der ausgestreckten Hand an die Lehne des Stuhles stieß, glitt das Bild herab und fiel auf die Erde. Ottilie, die es fallen sah, kreischte; Brandow sprang hinzu, es aufzuheben; aber er hatte kaum einen Blick darauf geworfen, als er mit einem dumpfen Schrei es aus der Hand gleiten ließ.

„Mein armes Bild!“ rief Ottilie.

„Ich bitte tausendmal um Verzeihung,“ sagte Brandow, „ich sehe, wenn man anderthalb Meilen in fünfundzwanzig Minuten reitet, ist man doch nicht ganz Herr seiner Gliedmaßen.“

In der That zitterte er, als er das Bild abermals in die Hand nahm, ja er schien Mühe zu haben, sich aufrecht zu erhalten; Ottilie, die es bemerkte, bat ihn nun endlich auch, Platz zu nehmen.


(Fortsetzung folgt.)




Ein deutsches Kaiser- und Dichterheim.


Bei Aachen an der Kaiserstadt,
Da liegt ein grüner See –[1]

traumhafte Stille ruht über seinen dunkeln Wassern, deren glatter, von dichtem Eichen- und Buchengezweige umrahmter Spiegel von keinem Windhauche bewegt wird. Nur das Schilf nickt und flüstert leise, als ob es drunten mit den Wasserrosen geheime Zwiesprache führen wollte, die weithin leuchtend aus dem See emporlugen, auf dessen dunkelm Grunde, wie die Sage erzählt, der Zauberring Fastradens, der schönen Kaiserin, seit einem Jahrtausend in den Fluthen ruht.

Ueber dem See, aus hohen, dichtbelaubten Wipfeln erhebt sich das graue, von Epheu umsponnene Gemäuer eines alten Schlosses, die Burg Frankenberg, einst der Lieblingssitz Karl’s des Großen, der, von dem Zauber jenes Ringes hier gebannt, hinter diesen Mauern um sein verlorenes Liebesglück trauerte.

Schenkendorf, der längere Zeit hier lebte und in jenem

  1. Wilhelm Müller, „Die Burg Frankenberg“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_720.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)