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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

hüllt. Oder hatte das Alles nur ihm gegolten? war ihm so viel daran gelegen gewesen, den Feind aus dem Hause zu haben, daß er es sich selbst die Freundschaft des einflußreichen Mannes kosten ließ? Das war so einfach menschlich, sah dem kalt berechnenden Menschen so wenig ähnlich – aber, wenn nicht Trunkenheit, die sich austoben, nicht Haß, der sich befriedigen will – was war es dann?

Und wenn es nun Haß wäre, der sich befriedigen will um jeden Preis? und wenn dieser Haß ihr nicht minder galt als ihm, ihr vielleicht mehr noch als ihm? wenn der Fürchterliche das Haus frei haben wollte, um seinem wüthenden Haß freien Lauf lassen, schwelgen zu können in grausamer Rache?

Gotthold richtete sich, laut stöhnend, halb von seinem Sitze auf, und sank wieder zurück und schalt sich, daß er solche Grauengespenster heraufbeschwor. Es war ja doch das Unwahrscheinlichste von Allem! Welches Mittels er sich auch gestern Nacht bedient haben mochte, den Stolz der Stolzen zu brechen – er hatte gesiegt, er war der Herr der Situation! er konnte zufrieden sein! Und war er es nicht – er wußte ja jetzt das Geheimniß, Gold zu machen, der schlaue Alchymist; und wie bald er wieder in die Lage kommen konnte, seine Kunst in Anwendung bringen zu müssen – der heutige Abend hatte es bewiesen! – Wo bleibt das Wasser, das du zwischen die Finger nimmst? wo bleibt das Gold, das du einem Spieler giebst? Vetter Boslaf hatte Recht gehabt!

Aber je mehr Gotthold bemüht war, sich das Entsetzliche auszureden, als unwahrscheinlich, ja unmöglich hinzustellen, um so deutlicher trat es vor seine Augen. Er sah ihn nach ihrem Zimmer schleichen, sah ihn leise vorsichtig die Thür öffnen, hineinschlüpfen, auf ihr Bett zu. Heiliger Gott, was war das? Er hatte ganz deutlich seinen Namen rufen hören in schrillem Tone tödtlichster Angst.

Es war nur ein Spiel seiner aufgeregten Sinne, ein Uhu vielleicht, der auf unhörbaren Schwingen, vom Sturm geschleudert, dicht über seinen Kopf weggestrichen war, und in der Ueberraschung den Schrei ausgestoßen hatte. Dies, oder etwas der Art.

Ohne Zweifel, nur daß die Phantasie ihr grausames Spiel deshalb um nichts minder eifrig fortsetzte, und aus dem langgezogenen Heulen und dumpfen Brausen des Sturmes über die Haide, aus dem Rascheln der Ginsterstauden an der Wegseite, aus dem Kreischen des mühsam gleisenden Wagens, aus dem Schnaufen der sich abarbeitenden Pferde geisterhafte Töne formte, die sich in grausige Worte umsetzten, Töne und Worte, wie sie die Gestalten raunen und röcheln konnten, die rechts neben dem Wagen her auf den Haidehügeln durch die grauschwarze Dämmerung der Felsblöcke schlüpften, oder unten links durch die undurchdringliche Nacht huschten, die von dem Moore kalt heraufathmete.

Der Weg war schon eine Zeitlang gestiegen, nach Gotthold’s Meinung mußten sie beinahe auf der Höhe des Hügels sein, als plötzlich die Pferde schnaufend stillstanden.

„Was heißt das?“ fragte Gotthold.

Hinrich Scheel antwortete nur mit ein paar sausenden Peitschenhieben, welche die Pferde wieder vorwärts trieben, aber nur ein paar Schritte, dann standen sie wieder, unruhiger noch als vorher schnaufend und sich in dem Geschirre zurücklegend, daß der Wagen ein wenig hügelabwärts glitt.

„Die verdammten Mähren!“ schrie Hinrich Scheel, aber nicht mehr von seinem Sitze, sondern rechts neben dem Wagen.

„Noch einmal, was giebt’s?“ rief Gotthold, sich aufrichtend.

„Gar nichts,“ schrie Hinrich, „bleiben Sie ruhig sitzen. Die verdammten Mähren! das bischen Arbeit! ich will’s ihnen beibringen! bleiben Sie ruhig sitzen, wir sind ja gleich oben! Die verdammte Peitsche!“

Hinrich, der bis jetzt wie unsinnig auf die Pferde losgeschlagen hatte, war neben dem Wagen verschwunden; die angstvoll vorwärts drängenden Pferde thaten noch ein paar Sprünge – plötzlich neigt sich der Wagen nach links auf die Seite – tiefer und tiefer – wie ein Blitz durchfährt es Gotthold, daß, wenn der Wagen hier umschlägt, er unaufhaltsam sechszig Fuß tief die Böschung hinab in das Moor stürzt – er hat bereits die Hand auf der Lehne, sich nach rechts hinauszuschwingen – er will sich nicht retten ohne den Gefährten. Der aber regt sich nicht, rührt sich nicht. Er hat ihn umfaßt, sich mit ihm aus dem Wagen zu werfen. Es ist zu spät. Ein dumpfes Krachen, Rauschen, Rascheln, als ob die Erde selbst sich aufthäte, um Wagen, Roß und Mann auf einmal zu verschlingen; ein Sausen und Knattern des Windes in den Ohren – ein furchtbarer Schlag, ein Stürzen, Rollen, Aufschlagen, wieder Stürzen, Rollen, Aufschlagen und dann – vorbei der Graus!




22.


In dem großen behaglichen Zimmer neben dem Comptoir saßen beim gedämpften Scheine einer prachtvollen Lampe – die Schwesterlampe brannte auf dem Spiegelconsol in der Tiefe des Zimmers – Frau Ottilie Wollnow und Alma Sellien; Ottilie mit einer feinen Handarbeit beschäftigt, während Alma, die schlanken Hände müßig in den Schooß gelegt, in der Sophaecke lehnte. Ueber den Damen stand auf einem hochlehnigen Stuhle und gut in das Licht gerückt Gotthold’s Bild von Dollan, und Alma warf von Zeit zu Zeit einen ihrer schmachtenden Blicke darauf. Sie wollte, wenn die Herren heute Abend kamen, Gotthold eine angenehme Ueberraschung mit dem Interesse bereiten, das sie an seinem Werke nahm, und deshalb mußte das Bild, das vorhin auf ihren Wunsch herabgenommen war, hier stehen bleiben.

„Ich fürchte nur, es könnte herabgleiten und beschädigt werden,“ sagte Ottilie; „und überdies – ich bin gar nicht so sicher, daß sie heute Abend noch zurückkommen.“

„Ich weiß nicht, was das Zurückkommen der Herren mit meinem Kunstgenusse zu thun hat,“ erwiderte Alma, die Augen mit der Hand beschattend und das Bild mit scheinbar erhöhtem Interesse betrachtend. „Wie kräftig diese Buchen hier in dem Vordergrunde, wie bequem der Blick in den zweiten Plan hinübergleitet und in süßer Ruhe dort verweilt, um sich dann links mit Lust auf der braunen Haide zu ergehen, oder rechts sehnsuchtsvoll in die blaue duftige Meeresferne hinauszuschweifen. Er ist wirklich ein großer Künstler.“

Ottilie lachte. „Und das willst Du ihm Alles sagen?“

„Warum nicht?“ erwiderte Alma, „ich gebe gern Jedem, was ihm zukommt.“

„Besonders wenn der ‚Jede‘ ein so liebenswürdiger Mann ist wie Gotthold.“

„Ich habe ihn ja heute Morgen kaum fünf Minuten gesehen und gesprochen.“

„Und das reicht für eine so seine Kennerin auch vollkommen hin. Gestehe, Alma, Du bist bezaubert und siehst jetzt, daß unsere arme Cäcilie doch nicht so hart zu verurtheilen ist, wenn sie wirklich das Unglück gehabt haben sollte, einen solchen Mann liebenswürdig zu finden.“

„Du weißt, ich denke in diesen Dingen sehr streng,“ entgegnete Alma; „ja, sehr streng, trotz der großen Augen, die Du zu machen beliebst. Aber, offen gestanden, es ist mir passabel gleichgültig, was Deine arme Cäcilie findet oder nicht findet; ich möchte nur nicht gern an dem guten Geschmacke und dem Tacte der Männer verzweifeln, und das müßte ich, fände wirklich umgekehrt ein solcher Mann Deine arme Cäcilie liebenswürdig.“

„Aber, Alma!“

„Bitte, liebe Ottilie, erlaube, daß ich in diesem Punkte meine eigene Ansicht habe und festhalte. Sage mir lieber – denn das interessirt mich jetzt, nachdem ich ihn persönlich kennen gelernt habe –, was Du von seinen sonstigen Verhältnissen weißt. Hugo behauptet, er sei ein halber Millionär. Ist er wirklich so reich? und wie ist er zu dem Vermögen gekommen? Hugo sagt, es sei eine ganz mysteriöse Geschichte – das sagt er aber immer, wenn er über etwas keine Auskunft geben kann. Was ist daran?“

„Gar nichts,“ erwiderte Ottilie; „ich meine gar nichts Mysteriöses, aber traurig ist die Geschichte; ich habe, als mein Emil sie mir neulich erzählte – er hatte vorher nie mit mir davon gesprochen –, so weinen müssen!“

Und Ottilie Wollnow trocknete die Thränen, die ihr bereits in den dunkeln Wimpern hingen.

„Du machst mich unglaublich neugierig,“ sagte Alma; „wie kann eine Geschichte traurig sein, bei der schließlich eine halbe Million herausspringt?“

„So viel ist es nun wohl nicht,“ sagte Ottilie; „überhaupt darfst Du keine Details von mir verlangen, da Emil’s Erzählung selbst sehr – wie soll ich sagen? – sehr discret war – aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_718.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)