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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Ein Besuch bei den Jesuiten.


Aus früherer Zeit von Arnold Ruge.


In Zürich wurde 1839 von der Priester- und Aristokratenpartei ein Putsch gemacht, der viele andere in demselben Sinne nach sich zog, wovon der schlimmste der in Luzern war. Denn dadurch wurden die Jesuiten Herren in diesem wichtigen Canton, dem dritten Vorort. Der Züricher Putsch ging angeblich gegen die Berufung des Doctor David Strauß zum Professor der Theologie nach Zürich; in Wahrheit aber gegen alle Reformen der liberalen Regierung und vornehmlich ihre Verbesserungen im Schulwesen. Damit hatten sie die Gläubigen und die Aristokraten erschreckt. Es war auch wirklich zu arg, die alten braven Lehrer, die aber nichts wußten, noch einmal zu examiniren und zu pensioniren. Man berief statt dieser Unterprediger aus der guten alten Zeit Zöglinge deutscher Lehrerseminare, die damals noch nicht semitisch angesteckt waren und weniger Bibelweisheit als wirkliche Wissenschaft lehrten.

Dies fanden die Prediger und die alten Stadtherren höchst gefährlich und machten ihren Putsch mit einer bethörten Masse, die nicht unterrichtet und aufgeklärt sein wollte. Die Putscher setzten darauf die Reactionärs oder Umkehrer in die Regierung und diese wollten nun zum Beispiel die Cantonschule, die halb fertig war, liegen lassen; das hintertrieb aber ein alter Millionär, der auch Regierungsrath geworden war, mit der Drohung: „Dann bu I sie allei!“ Natürlich hätten diese Regierungsräthe gern auch die alten Schullehrer in ihre altgewohnten Aemter wieder eingesetzt, aber die neuen Schulmeister setzten sich auf die Hinterbeine und drohten mit sammt ihren Gemeinden nach Zürich zu marschiren, wenn die Schulreform gestört würde. Das half. Umsonst stimmte die fromme Regierung vier Jahre lang auf der Tagsatzung mit den Jesuitencantonen. Bei der nächsten Wahl siegte die Schulpartei über die Kirchenpartei, und Zürich war wieder frei.

Und wieder folgten dem Züricher Vorgange kleine und diesmal liberale Aufstände, wie Raketen, die das große Feuerwerk von 1847, den Sonderbundskrieg, vorbereiteten. Die Genfer Revolution der kleinen Stadt gegen die große war die, welche den liberalen Cantonen die Mehrheit auf der Tagsatzung gab, und diese konnte nun beschließen, was die Mehrheit des Schweizervolkes längst gewollt hatte, die Auflösung des Sonderbundes, durch den die Jesuitencantone Luzern, Zug, Schwyz, Uri, Unterwalden, Wallis und Freiburg sich gegenseitig Schutz zusagten. Sie fürchteten nämlich ganz natürlich das Aufhören der künstlichen Herrschaft der kleinen Cantone über die großen, der Minderheit über die Mehrheit des Volks.

Die Auflösung des Sonderbundes hinderte das Zerreißen der Schweiz durch Oesterreich, Preußen und Frankreich und brachte die neue Verfassung und Vereinigung hervor. Dazu war aber erst der Sonderbundskrieg von 1847 nöthig, und noch am 22. Januar 1848 protestirten Oesterreich, Preußen und Frankreich gegen jede Aenderung der Schweizer Bundesverfassung. Sie wußten im Januar noch nicht, was im Februar und März ihnen selber begegnen und den Schweizern den freien Genuß ihres Sieges sichern sollte.

Ehe diese aufregenden Ereignisse eintraten, zur Zeit der liberalen Wahl, wohnte ich in Zürich dicht unter der nun fertigen Cantonschule, die mein ältester Sohn besuchte. In Genf im Ecu de Genève trafen ich und meine Frau zwei Freunde aus Paris, Victor Schölcher und den Herrn von Ribbentropp, mit denen wir eine Schweizerfahrt verabredet hatten.

Die Jesuiten waren damals natürlich der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit, sie hatten sich interessant gemacht, nachdem sie so viel Anläufen der Tagsatzung und sogar den Freischaarenzügen widerstanden. Schölcher fand sie daher eben so sehenswerth, als die Berge, und es wurde beschlossen, in Freiburg eigens zu verweilen, um ihnen einen Besuch abzustatten. „Das ganze reactionäre Europa nimmt für sie Partei,“ sagte er, „sie sind ein bedrohtes Außenwerk der großen Festung, die wir zu stürmen haben, es ist daher höchst wünschenswerth, so harmlos als Reisende ihr wichtigstes Rüsthaus zu besehen.“

„Ich weiß nicht,“ bemerkte der Herr von Ribbentropp, „ob es da nicht in der Ordnung ist, daß wir uns gleich als Protestanten zu erkennen geben, damit sie wissen, wie sie mit uns daran sind.“

„Wenn sie darnach fragen, sind wir allerdings gehalten, es zu sagen; wenn sie uns aber nicht fragen, so haben sie einfach Fremde vor sich, die sie schon zu behandeln wissen werden,“ erwiderte Schölcher.

„Auch muß ich gestehen,“ fuhr Ribbentropp fort, „daß ich die Freischaarenzüge gegen Luzern ganz ungerechtfertigt finde.“

„Und ich,“ erwiderte Schölcher, „finde die Gewaltherrschaft in Luzern, die eine größere Menge Bürger vertrieben hat, als verhältnißmäßig je eine andere ähnliche Regierung, ganz ungerechtfertigt.“

„Ich bin ein Gegner der Jesuiten,“ bemerkte der Herr von Ribbentropp, „aber was dem Einen recht ist, das ist dem Andern billig; die Freiheit und das Recht, welches wir für uns in Anspruch nehmen, müssen wir ihnen ebenfalls zugestehen.“

„Aber wollen denn die Jesuiten dieselbe Freiheit wie wir?“

„Ohne Zweifel! Sie wollen Preßfreiheit und Rechtsschutz.“

„So? also wollen sie wohl Gewissensfreiheit und machen sich nichts aus der Autorität der Kirche?“

„Gewissensfreiheit können sie freilich nicht wollen, da sie die Autorität der Kirche wieder herstellen wollen.“

„Die Autorität der Kirche über uns und alle Welt. Müssen sie also nicht die Inquisition und die Vertilgung der Ketzer wollen?“

„Allerdings!“

„Also nicht blos Gewissensfreiheit, auch die Verbreitung ihrer Ansichten durch Rede und Presse werden sie den Ketzern nicht zugestehen?“

„Den Ketzern – nein!“

„Gestehen sie also den Ketzern gleiches Recht mit sich zu, nämlich das Recht, ihre Meinung durch Gründe geltend zu machen?“

„Allerdings nicht!“

„Wozu verlangen also jetzt die Jesuiten gleiches Recht und gleiche Freiheit mit uns?“

„Um ihre Ansicht geltend zu machen.“

„Und die war, wie Sie selbst zugestanden haben, daß unsre Ansicht verbrecherisch sei und ausgerottet werden müsse durch die Inquisition; sie wollen also nur die Freiheit und das Recht, um alle Freiheit und sogar das Recht der Gewissensfreiheit zu unterdrücken; sie wollen die Preßfreiheit nur, um sie abzuschaffen.“

„Das scheint so.“

„Und dazu wollen Sie ihnen jetzt die Mittel gewähren, und eine Verbindung, welche den Zweck hat, alle Freiheit, das heißt den ganzen gegenwärtigen gesetzlichen Zustand aufzuheben, wollen Sie bestehen lassen?“

„Ich habe schon gesagt, daß ich ein Gegner der Jesuiten bin, aber auf gesetzlichem Wege.“

„Der gesetzliche Weg wird sein, daß man die Auflösung einer solchen ungesetzlichen Verbindung beschließt und ihre Mitglieder zur Rechenschaft zieht.“

„Mag doch die Tagsatzung das beschließen.“

„Die Zeit wird allerdings kommen,“ sagte Schölcher, „denn ich habe schon ein Vögelchen singen hören, das protestantische Genf werde nicht immer mit den Jesuiten stimmen können. Man wird im Nothfall Gewalt brauchen, um solchem Verrath ein Ziel zu setzen.“

Ich habe dieser Unterredung mit Vergnügen zugehört und mich ihrer oft wieder erinnert, denn grade jetzt ist ja dieselbe Frage an uns und das Reich herangetreten. –

Mit einiger Besorgniß verließen wir Genf, von dem so viel, ja Alles abhing, diese älteste freie Stadt Europas, die von der prächtigen blauen Rhône in zwei ungleiche Theile getheilt wird, von denen, wie gesagt, der kleinere Theil der freigesinnte, der größere, auf dem linken Ufer, der aristokratische war, der auf der Tagsatzung seinen Vertreter immer mit den Jesuiten hatte stimmen lassen. Wir konnten es uns nicht verhehlen, daß es hier noch eine harte Nuß zu knacken gab, ehe noch irgend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_714.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)