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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

hat mich auch fünf Louisd’or gekostet; ich sollte ja die Hälfte haben.“

„Hier hast Du sie,“ sagte Brandow in die Tasche greifend und von dem Golde, das er eben gewonnen, gebend, was ihm eben in die Hand kam.

„Sie sind immer ein guter Herr gegen mich gewesen,“ sagte Hinrich, in seiner harten Faust die Goldstücke gegeneinanderreibend.

„Und will’s nun erst recht sein.“

„Die Herren wollen fort, wenn Sie nun nicht wieder hereinkommen,“ sagte Rieke, die eilig herbeikam. Sie hatte die Thür zum Spielzimmer aufgelassen, und man hörte Hans Redebas’ dröhnende Baßstimme: „Brandow! Brandow!“ und krähendes Gelächter und eine heisere Stimme intoniren: „Nach Hause geh’n wir nicht! nach Hause geh’n wir nicht!“

„Ich will Euch schon fortbringen,“ murmelte Brandow. „Du bleibst hier, Hinrich.“

„Ich habe Zeit, Herr.“

Brandow ging in das Spielzimmer zurück.

„Ihr macht von der Freiheit, welche Euch die zufällige Abwesenheit der Damen giebt, einen übertriebenen Gebrauch,“ sagte Brandow mit schneidendem Hohn, als ihn seine Gäste mit geschwungenen Gläsern und einem Halloh empfingen, in welches Gustav von Plüggen ein schnarrendes Hip, Hip, Hurrah! mischte.

„Zufällig?“ rief Hans Redebas; „gar nicht zufällig. Du machst ja heute gute Geschäfte!“

„Und wozu denn da Deine Frau?“ sagte Otto von Plüggen.

„Ich erbitte mir darüber eine Erklärung!“ rief Brandow; „ich werde nicht dulden –“

Er brach plötzlich ab. Sich heftig gegen Otto von Plüggen wendend, sah er neben demselben Gotthold stehen, der unmittelbar hinter ihm in das Zimmer gekommen sein mußte und ohne Frage Alles gehört hatte. Es war unmöglich, in seiner Gegenwart dies Thema zu erörtern. So würgte er denn den wüthenden Haß, der beim Anblick des Menschen in seinem Herzen aufkochte, mit gewaltsamer Anstrengung hinunter und rief:

„Da bist Du ja endlich! wo in aller Welt hast Du nur gesteckt? Gott sei Dank, daß Du kommst und dem abscheulichen Spiel ein Ende machst.“

„Hoho!“ rief Hans Redebas; „abscheulichen Spiel! pfeifst Du aus dem Loch? das glaube ich! sechshundert oder so hat er schon! schmeckst du prächtig!“

„Ich bin noch Niemand Revanche schuldig geblieben!“ schrie Brandow mit übertrieben heftiger Geberde.

„Aber, Brandow!“ rief der Assessor; „Sie müssen auch nicht jedes Wort auf die Goldwage legen; es ist ja Redebas nicht eingefallen, Sie beleidigen zu wollen. Er möchte nur, daß weiter gespielt wird, und – offen gestanden – ich wüßte nicht, was wir Gescheidteres thun könnten.“

„Nun, wenn Sie das meinen, Herr Assessor, der Sie auch gewonnen haben –“

„Die paar Thaler!“ sagte der Assessor nicht ohne einige Verlegenheit.

„So kann ich gewiß nichts dagegen haben,“ fuhr Brandow fort. „Ich meinte nur, daß wir Freund Gotthold, der nicht spielt und von dem wir bis jetzt so wenig gehabt haben, diese kleine Rücksicht schuldig wären, oder sage ich lieber: uns! er verliert an uns nicht viel, aber wir an ihm desto mehr.“

„Ich bitte, sich meinethalben nicht incommodiren zu wollen,“ sagte Gotthold.

„Na, denn zu, in dreier Teufel Namen!“ schrie Hans Redebas, nach den Karten greifend. „Ich will einmal Bank halten; es werden sich ja wohl noch ein paar Mutterpfennige finden.“

Und er nahm mit der Linken aus der dicken, vor ihm liegenden Brieftasche Banknoten, die er zu einem Haufen zusammendrückte. „So, nun aber ordentlich pointirt, Brandow und Ihr Anderen, das bitte ich mir aus!“

„Es thut mir leid, aber was soll ich machen? ich hoffe, daß Du mir es nicht übel nimmst,“ raunte Brandow Gotthold zu und nahm dann seinen Platz am Spieltisch wieder ein. Gotthold trat mit einer abwehrenden Handbewegung zurück und konnte nun nicht anders, als der Einladung des Pastors Folge leisten, der in der einen Ecke des großen Ledersophas saß und, als Gotthold in der andern Platz genommen, nicht ohne Anstrengung ein wenig heranrückte und mit lallender Zunge zu sprechen anfing.

„Ja, ja, geliebter Freund, eine sündige Welt, eine grausam sündige Welt! aber man darf auch nicht zu streng sein, um Himmelswillen, nicht zu streng! Sie arbeiten die ganze Woche, lassen wenigstens ihre Kerls für sie arbeiten; am Sonntag dürfen sie es nicht, bei schwerer Strafe. Wir haben erst vor Beginn dieser Ernte ein landräthliches Scriptum zugesandt erhalten, das gründlich gepfeffert war. Was sollten sie da mit den langen Stunden beginnen? Müßiggang ist aller Laster Anfang: Spielen, Trinken – Rieke, ein Glas – zwei Gläser – Du trinkst nicht? thust sehr unrecht – selber gebraut – nach einem Recept meines verehrten langjährigen Principals, des Grafen Zernikow. Ueber dreihundert Bowlen während meines Candidatenlebens gebraut – zuletzt blindlings, auf Cerevis! – mit geschlossenen Augen, mit geschlossenen Augen!“

Er hatte die letzten Worte nur noch gelallt, der schwere Kopf nickte vornüber und der untere Theil des Gesichts verschwand in den Falten des gelockerten weißen Halstuches. So sank er hülflos in seine Ecke zurück.

Gotthold erfüllte der trostlose Anblick mit zorniger Verachtung.

Der Mann hatte gehalten, was der Knabe, der Jüngling versprochen; die Maske der Scheinheiligkeit hatte der Rausch abgerissen, und da war das stupide Wüstlingsgesicht des Hallenser Corpsburschen, dessen sich Gotthold so gut erinnerte. Es konnte ja nicht anders sein. Aber daß dieser Jammermensch der Nachfolger seines Vaters war, daß diese blinzelnde Eule da saß, wo der Adler gehorstet, dessen Feuerauge allzeit die Sonne suchte; daß diesem plumpen Schalksnarren verstattet war, mit seinen Schellen an der Stätte zu klingeln, von welcher der Prediger in der Wüste mit glühender Beredsamkeit zur Buße, zur Besserung gerufen hatte – es kam ihm wie eine Beleidigung vor, die man ihm persönlich angethan. Und doch! dieser Mensch gehörte ja hierher; die Herde war des Hirten werth; es war hier Alles aus einem Guß – war wie ein Bild, von Meisterhand in kecksten Umrissen und tollkühnen Farben hingeworfen: der trunken-nickende Pfaff in der Sophaecke hier, dort die wüsten weinglühenden Gesichter der Spieler, da die üppige Dirne, ab- und zugehend und den Zechern den Feuertrank reichend, ein verbuhltes Lächeln, ein schlüpfriges Wort mit Diesem wechselnd, die Hand Jenes, die sich um ihre Hüfte legen will, kokett wegdrückend – die wahre Göttin dieses Lastertempels! – und das Alles eingehüllt in den wogenden grauen Qualm, der aus den unaufhörlich brennenden Pfeifen aufsteigt und um die trüben Flammen der Kerzen in schmutzig rothen Ringen kreist; nur daß es kein Bild, nur daß es derbste, plumpste, gemeinste Wirklichkeit war! Und ach, der Schmach, daß sie unter diesem selben Dache lebte, daß der wüste Lärm bis in ihr stilles Zimmer schallte. – heute nicht zum ersten Mal! heule nicht zum letzten Mal! – Daß dies die Menschen waren, die hier aus- und eingingen, – diese hohlköpfigen Krautjunker, dieser rohe Emporkömmling mit seinen plumpen Händen und plumpen Späßen! Und wenn sie dieser Gesellschaft der Faunen und Satyrn entflohen, als Trösterin die Einsamkeit, die sie mit den kalten, harten, stechenden Schlangenaugen anstarrt! Da waren sie, diese Augen; sie hatten eben von der Karte herübergeblickt mit einem schnellen verstohlenen Blick! diese Augen und ihre – die weichen, sanften, zärtlichen Augen!

Und Gotthold sah nicht die Spieler mehr. Er sah sie sitzen in der öden Kinderstube neben den Spielsachen ihres Kindes – die rührende Gestalt, in ihrer schlanken Zartheit selbst noch so mädchenhaft. Er sah das trauernde Antlitz von rosiger Freude überstrahlt, sah es von Schrecken und Angst entstellt – er lebte die ganze Scene wieder durch, die ihm schon jetzt wie ein Traum erschien; und träumte weiter von einer Zukunft, die ja doch kommen müsse, einer Zukunft voll Sonnenschein und Liebe und Poesie. –

Er hätte nicht sagen können, wie lange er so gesessen, als ihn ein Lärm vom Spieltisch her jäh emporfahren ließ. Es schien etwas Besonderes vorgefallen zu sein; nur Hans Redebas und Brandow saßen noch, die Anderen standen mit neugierigen Gesichtern über den Tisch gebeugt, auch Rieke blickte zu, so eifrig, daß sie den Arm des Assessors, der sich um ihre Taille geschlungen, wegzustoßen vergaß.

„Hältst Du noch einmal?“ schrie Redebas.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_703.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)