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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Oesterreich an Nichtkatholiken verleihen kann, des Stephansordens. Franz Joseph spricht lebhaft, eingehend; ernst sinnend hört der deutsche Reichskanzler ihm zu und auf seinen Mienen liegt es wie eine Beistimmung zu dem, was er hier aus dem Munde des Abkömmlings der einstigen römisch-deutschen Kaiser vernimmt.

Wer ist, fragen wir weiter, die hohe, wie aus Erz gegossene Gestalt in preußischer Uniform, die mehr zur Seite steht und die fast alle Anderen in diesem Kreise durch ihr körperliches Maß überragt? Ein Mann in den ersten Fünfzigern von etwas gelblichem Teint, in den Zügen liegt eine gewisse nervöse Abspannung, aber sonst erregt der edle Schnitt des Gesichtes mit dem schönen dunklen Schnurrbarte, das Beherrschende des Blickes Interesse. Es ist Kaiser Alexander von Rußland, der Neffe unseres Kaisers, und der preußische General mit der goldenen Brille, der an seiner Seite steht, und mit welchem er länger, als sonst so hohe Herren zu thun pflegen, in Unterhaltung begriffen, ist der geniale Führer der preußischen Nordarmee, der Besieger Faidherbe’s, der General von Goeben. Nun tritt eine Dame aus dem Kreise der Fürstinnen in die Mitte des Saales, voll Grazie und Würde, die Kaiserin Augusta. Sie hat in geringer Entfernung von ihr einen älteren kleinen Herrn mit etwas Embonpoint erblickt; derselbe trägt ebenfalls eine goldene Brille, wie General von Goeben, aber während dessen Auge unter derselben hell und klar hervorschaut, blitzt es aus den etwas gekniffenen Blicken des fast behäbigen und bartlosen Gesichtes des alten Herrn scharf, schlau und beobachtend, als wollte er alle Absichten der europäischen Politik durchdringen, in den Gesichtern der Umstehenden die geheimsten Gedanken lesen. Er ist auch kein Geringerer, als der Lenker der russischen auswärtigen Politik, der Reichskanzler Fürst Gortschakoff, mit welchem die deutsche Kaiserin nun eine Unterhaltung anknüpft. Wenn er freundlich blickt, soll dadurch das entgegengesetzte Gesicht seines Innern verhüllt werden; wenn er mißmuthig aussieht, deutet das darauf hin, daß er mit seinen Vorschlägen nicht durchgedrungen ist. Der Kaiserin gegenüber ist er nur Cavalier; er lächelt und verbeugt sich, er verbeugt sich und lächelt wieder. Und aus diesem Sphinxgesichte soll man etwas herauslesen!

Wir haben den Fürsten Bismarck, wir haben nun auch Gortschakoff gesehen – sein anderes Ich, der sogenannte „Macher“, der Geheime Rath v. Hamburger, eine kleine, ausgewachsene Gestalt von krankhaftem Aussehen, aber mit einem geisterleuchteten Gesichte, verhandelt weiter zurück mit einem Herrn im einfachen schwarzen Hofkleide, der aber das große Band des Rothen Adlerordens trägt, also schon eine bedeutende Persönlichkeit sein muß. Wir erkennen den Sectionschef im österreichisch-ungarischen auswärtigen Ministerium von Hofmann, der für Andrassy dasselbe ist, was Hamburger für Gortschakoff.

„Aber wo,“ höre ich meine Leser fragen, „wo ist der Graf Andrassy?“ Suchen wir ihn mit unseren Augen! Im Kreise der Fürsten und Herren ist er nicht. Vielleicht finden wir ihn bei den Damen! Beginnen wir bei den Hofdamen und zwar bei der schönsten Comtesse, dort wird er am ehesten zu finden sein – vergebens! Gehen wir in den Kreis der Prinzessinnen, der Herzoginnen und Großherzoginnen über, winden wir uns mit unseren Blicken durch alle die Atlas-, Tüll- und Spitzenroben und Schleppen – auch hier ist er nicht zu finden. Dort an jener Säule steht eine alte Dame mit schneeweißen Locken und vom Kopfe bis zum Fuße in Weiß gekleidet. Wenn auch ihr Greisenalter der ehrwürdigste Schmuck, so blitzt hier und da von Haupt und Hals und Brust doch noch ein Brillant. Das ist die einzige noch überlebende der Töchter Friedrich Wilhelm’s des Dritten und der Königin Louise, die Großherzogin-Mutter von Mecklenburg-Schwerin. Heiter und leutselig, wie immer, scheint sie sich mit einem Herrn sehr gut zu unterhalten. Die Gestalt desselben steht mit dem Kopfe eigentlich in einem Mißverhältniß, jene ist nicht groß, aber zierlich, schlank, nervig und beweglich, wozu auch vielleicht die Husarenuniform viel thut, der Kopf dagegen ist zwanzig Jahre älter als diese fast noch jugendliche Figur. Die Züge des etwas zusammengedrückten Gesichts sind tief gebräunt und die Runenzeichen eines von Schicksalen und Erfahrungen reichen Lebens sind darin verzeichnet. Der Bart um die Lippen und das Kinn scheint einst vom reinsten Schwarz gewesen zu sein, nun hat sich bereits jenes ominöse Grau darein gemischt, mit welchem leider erst die Erfolge unseres Lebens zu beginnen pflegen. Im Anfange erscheint dieses Gesicht unbedeutend, blickt man jedoch länger in diese Züge, dann drängen sich Einem tiefe geistige Lineamente auf, ein Gemisch von Melancholie und Leidenschaft, von Berechnung und von Kühnheit, von lächelnder Offenheit und lauernder Beobachtung, von leichtem nachgiebigem Wesen und dabei von trotzigem energischem Geiste. Dieser Mann ist der Graf Andrassy, der frühere Führer der ungarischen Landwehrhusaren, der Honveds, deren Uniform er noch mit einer gewissen Ostentation trägt, der begeisterte ungarische Patriot aus der Bewegung des achtundvierziger Jahres, der Geächtete, der Flüchtling – und nun ist er der erste Rathgeber desselben Kaisers, in dessen Namen er vor einigen zwanzig Jahren verfolgt wurde, und als solcher nimmt er seinen Platz inmitten des russischen und deutschen Reichskanzlers gegenüber den drei Kaisern ein, und nun steht er auch als der Lenker der Schicksale der österreichisch-ungarischen Monarchie und Vertreter der Politik derselben vor Kaiser Wilhelm.

Die Audienz, welche auf unserem Bilde dargestellt ist, hatte unmittelbar nach dem geschilderten Hofcirkel im Erdgeschosse des Palais in dem blauen Damastzimmer stattgefunden, in welches ich meine Leser schon früher einmal geführt hatte. Was in derselben zwischen dem deutschen Kaiser und dem ersten Minister des Kaisers Franz Joseph gesprochen und verhandelt wurde – wer kann es uns sagen? Vielleicht die allenthalben ausgebotene „Drei-Kaiser-Zeitung“, deren Ausrufer sie als im Besitze aller Geheimnisse hinstellen? Spaß bei Seite, nur Eine kann uns das bekannt machen – die Zukunft. Aber wünschen wollen wir gleich jetzt, daß diese Audienz, die eine ganze Stunde währte, die letzten Hindernisse und Bedenken, die einem friedlichen Einvernehmen Oesterreichs mit dem deutschen Reiche noch entgegenstehen mochten, recht gründlich hinweggeräumt haben möge.

Georg Horn.




Die musikalischen Insecten und ihre Instrumente.


Wenn wir an einem schönen warmen Sommernachmittage fern vom Gewühl der Stadt durch Felder und Wiesen streifen, so umfängt uns bald jene Feiertagsruhe, welche so wohlthätig auf den Erholung Suchenden wirkt. Aber es ist keine todte Stille, keine lautlose Ruhe; mehr und mehr, wenn wir stille stehen, oder uns im Schatten dichter Gesträuche lagern, dringt jener leise, aber vielstimmige Chor von Lauten an unser Ohr, der so gut zu dem ganzen Naturbilde paßt. Keine hellen, starken Töne, keine scharf ausgeprägten Rhythmen, keine nach menschlichen Vernunftgesetzen construirten musikalischen Kunstformen bedrängen uns; es ist keine wirkliche Musik und wirkt doch musikalisch auf unser Gemüth; es ist kein nach den strengen Regeln der Harmonie gefügtes Tongebilde und stimmt doch so harmonisch zum Ganzen, wie eben – Alles in der Natur! Das ist die „Musik der Insecten“.

Einzelnes darüber ist zwar allgemeiner bekannt, doch bleibt noch Manches übrig, was an der Hand der neueren Forschung specieller zu betrachten, interessant und für eine genauere Naturerkenntniß wichtig bleibt.

Das Nächste, was die sorgfältigere Beobachtung der concertirenden Insecten ergiebt, ist der Umstand, daß es unter ihnen sowohl „Vocalisten“ als „Instrumentalisten“ giebt, und wenn bei den Ersteren auch nicht von einer eigentlichen Vocalmusik gesprochen werden kann, so findet sich bei ihnen doch eine wirkliche „Stimme“, das heißt eine Lautäußerung, die, ganz ähnlich wie beim Menschen, durch die Respirationsorgane hervorgebracht wird, während bei den Uebrigen die Laute durch besondere äußere Apparate erzeugt werden, die oft unseren musikalischen Instrumenten ähnlich sind und im Allgemeinen in die Classe der „Reibungsinstrumente“ gehören. Man hat auch bei den Insecten, je nachdem eine bestimmte Höhe erkennbar ist oder nicht, Töne und Geräusche zu unterscheiden. Daß alle Stimmclassen vom höchsten Discant

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_698.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)