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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

dramatisch-psychologischer Art ist, so hat der Roman „Der Roland von Berlin“, dessen Held der Bürgermeister Johannes Rathenow ist, dagegen einen anheimelnden Charakter, indem uns das städtische Leben in der Zeit jener inneren Parteistreitigkeiten und des Kampfes mit der kurfürstlichen Gewalt mit großer Treue und Anschaulichkeit geschildert wird, so daß wir uns ganz in demselben heimisch fühlen. Auch sind diese Kämpfe keineswegs der Gegenwart so fremd wie das Gebahren der Raub- und Stegreifritter, und der Held, der Vertreter des stolzen Bürgerthums, fesselt mit seiner starren Energie unsere Theilnahme.

Daß Wilibald Alexis nicht eigentlich für die Toilettentische geschrieben hat, beweist der Titel eines seiner Romane: „Die Hosen des Herrn von Bredow“, ein Titel, vor welchem die prüden nordamerikanischen Grazien Reißaus nehmen würden. Dieser Roman spielt im Reformationszeitalter und schildert uns die Verwandlung und die Verwirrung, welche durch jene große That des deutschen Geistes in allen ständischen Kreisen der Mark hervorgerufen wurde.

Der Hauptroman des Autors bleibt indeß: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, ein Gemälde jener unrühmlichen Zeit, in welcher unter französischer Bedrückung der preußische Geist geknickt schien und auch die gesellschaftlichen Zustände von innerer Fäulniß zersetzt waren. Deshalb spielt auch das grell Criminalistische in den Roman mit hinein, eine Episode, welche der Autor mit besonderer Vorliebe ausgeführt hat. Ueber dem Ganzen schwebt ein bleierner Horizont; doch man sieht auch schon, von wo die erlösenden Wetter kommen werden, welche die lastende Schwüle lichten. Die Ausführung ist mit breitem Pinsel gemacht, mit dem vollen Behagen des epischen Dichters; das ganze Leben und Treiben der preußischen Hauptstadt in jener unglücklichen Epoche wird mit intimer Kenntniß dargestellt; wir belauschen alle Lebensregungen der unterdrückten Geister; aber auch alle Zeugnisse vom Verfall des öffentlichen Geistes sind gewissenhaft gesammelt. Die allzugroße Ausführlichkeit der Detailmalerei wirkt hier und dort ermüdend, ebenso die Unerschütterlichkeit der epischen Ruhe, die nirgends in leidenschaftlichere Bewegtheit übergeht, nirgends durch einen lyrischen Augenaufschlag Gemüth und Phantasie wärmer erregt.

Außer diesen bedeutendsten Romanen hat Wilibald Alexis noch viel Tüchtiges im gleichen Geist geschaffen – und nun werden Sie fragen, welche Anerkennung einem so patriotischen Schriftsteller zu Theil geworden ist, der die Entwicklungsgeschichte eines zur Herrschaft berufenen Staates in ihren großen Wendepunkten so lebensvoll dargestellt hat?

Die Antwort auf diese Frage ist nur sehr kleinlaut; außer dem mäßigen Antheil des Lesepublicums und dem oft warmen Lob der Kritik hat der Autor keine Kränze, am wenigsten glänzende Lorbeern, davongetragen. Dem übrigen Deutschland erschienen diese märkischen Romane nur als eine Ausschmückung der Brandenburger Localchronik, als der Ausfluß einer Borussomanie, die damals in weiten Marken unseres Vaterlandes geächtet war. In Preußen selbst aber fiel ihr Loos wenig glücklicher. Die Mehrzahl der Romane erschien in vormärzlicher Zeit; die liberale Opposition, welche die Gedankenrichtung derselben beherrschte, hatte damals wenig Sinn für die ältere Geschichte des Landes, die ihr als eine Ritter- und Räubergeschichte erschien; jene Stände aber, welche solche historische Erinnerungen pflegten, merkten alsbald, daß diese Geschichtsbilder nicht den Zweck hatten, ihrer Vergangenheit zu schmeicheln, und daß der Verfasser ein sehr versteckter Liberaler war, der aus alter Zeit die rostigen Schwerter hervorgrub, um sie der Opposition in die Hand zu drücken. Und als die Reaction in voller Blüthe stand und Wilibald Alexis seinen Roman „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ erscheinen ließ, hatte er dabei nicht die geheime Absicht, den Zeitgenossen einen Spiegel vorzuhalten, der ihnen grell das eigene Bild zurückwarf?

So wollen wir wenigstens einen bescheidenen Kranz auf den Sarg eines Schriftstellers legen, dem das Leben selbst wenig Ruhm gewährte, dem der Lebensabend ein tragisches Schicksal brachte, der aber unter den tüchtig strebenden Patrioten und unter den Pflegern des deutschen geschichtlichen Romans einen unbestrittenen Ehrenplatz einnimmt.




Fürst Pückler-Muskau und sein Jugend-Portrait.[1]


München, den 6. Januar 1808.

München ist vielleicht von allen deutschen Hauptstädten diejenige, wo ich am liebsten leben möchte. Obgleich die Gesellschaft nicht zahlreich und der Luxus gering ist, so wird man doch nicht leicht in Verlegenheit kommen, seine Abende auf eine angenehme Art auszufüllen; kleine Kränzchen, die bald bei diesem, bald bei jenem ihrer Mitglieder zusammenkommen, in denen man sich in kurzer Zeit gegenseitig kennen lernt und wo ein sehr gebildeter Ton herrscht, ersetzen reichlich die mehr betäubenden als vergnügenden, mehr geräuschvollen als von Freude belebten großen Cirkel, Assembleen und Feste der größeren Residenzen.

Es wird schwer sein, einen Hof zu finden, der mit so viel wahrem Anstand und Liebenswürdigkeit weniger Etiquette verbindet. Man würde bei einem Privatmann zu sein glauben, wenn der allgemeine Respect, den der König bei aller Popularität sehr wohl einzuflößen und zu erhalten weiß, nicht den Rang des Fürsten besser anzeigte als der äußere Glanz, mit dem sich Hoheit zu umgeben pflegt. Wie philosophisch der König selbst hierüber denkt, hatte ich einmal Gelegenheit aus seinem eignen Munde zu vernehmen. Ein Fremder erlaubte sich eine sonderbare Aeußerung über einen anderen deutschen Herrscher, von dem er sagte: Er möchte gern vergessen, durch wie viel Grade er bis zum Königstitel emporgestiegen sei. „Mir geht es ebenso,“ unterbrach ihn der König, „auch ich wünschte diese Grade zu vergessen, durch die ich gestiegen bin, denn nie werde ich anders als mit Sehnsucht und Bedauern an die glückliche Zeit meines Privatlebens zurückdenken können.“ Es war wohl nicht möglich, des Fremden Tölpelei feiner zu beantworten und zugleich eine philosophische Denkungsart an den Tag zu legen, die auf dem Throne mit doppeltem Verdienste glänzt.

Der Kronprinz, der mit seinem Vater die Liebe des ganzen Landes theilt, verbindet mit den allgemein geschätzten Eigenschaften seines Charakters Gefühl und Geschmack für Kunst sowie vielseitige Bildung. Mancher junge Künstler wird theils im Vaterland, theils in Italien von ihm unterstützt und verdankt es des Prinzen Großmuth, wenn sein Genie keine Fessel mehr drückt – welchen besseren Gebrauch mag ein Fürst von seinen vielen Mitteln machen, als wenn er die Kunst, diese Tochter des Himmels, von der Schmach befreite, nach Brode gehen zu müssen!

Ich habe in der hiesigen Gesellschaft einen alten Freund und Schulcameraden von uns getroffen, der sich wie in Wien auch hier mit großem Antheil nach Dir erkundigt. Da er Dir wahrscheinlich schreibt, so erräthst Du, daß ich vom Grafen Pückler spreche, der schon seit einigen Monaten durch eine sonderbare Begebenheit, die wirklich einzig in ihrer Art ist, hier aufgehalten wird. Er ist gesonnen, diese sonderbare Geschichte durch den Druck öffentlich bekannt zu machen, und da ich glaube, daß sie der Personalität wegen Interesse für Dich haben kann, so schreibe ich das Original für Dich ab:[2]

„Da ich im Begriff bin, Deutschland zu verlassen, so sehe ich mich genöthigt, meinen Freunden und allen Denjenigen, welche die Güte haben, sich für mich zu interessiren, eine genaue Darstellung der folgenden Vorgänge zu geben, die sich auf ein Ereigniß beziehen, das vielfach besprochen worden und leicht von schlecht unterrichteten oder übelwollenden Personen entstellt werden könnte.

Es sind ungefähr neun Monate, daß ich in Wien einen Streit mit dem Fürsten von Löwenstein hatte, den wir übereinkamen dadurch auszugleichen, daß wir uns auf Pistolen schlügen; jedoch unsere beiden Secundanten, der Herr Graf Ferdinand

  1. Aus dem nächstens erscheinenden „Reisetagebuch des Fürsten Hermann von Pückler-Muskau“ theilen wir hier einige Auszüge mit, welche seine Erlebnisse der Jugend schildern, wo er, noch kaum dreiundzwanzig Jahre alt, eine Reise nach der Schweiz und Italien unternahm, zu der er von seinem Vater, mit dem er damals nicht zum Besten stand, nur geringe Mittel erhielt. Es ist merkwürdig, wie sich in diesen Jünglingsbriefen schon die Eigenthümlichkeit und Originalität des später so berühmt gewordenen „Verstorbenen“ ausprägen. Interessant ist das Portrait, welches er von seinem Charakter entwirft, indem er von sich als von einem Dritten redet.
    Die Redaction.
  2. Das Original ist französisch.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_693.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)