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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

leider keine Auskunft geben, weil er eben den Assessor, den er heute zum ersten Male sah, in seine Arme schloß und denselben seiner ewigen Freundschaft versicherte. Der Assessor lachte und hatte auch Humor genug, weiter zu lachen, als jetzt Hans Redebas, seine vielbewunderte Stärke zu zeigen, die sich Umarmenden umfaßte, in die Höhe hob und auf dem Platze umhertrug, Otto Plüggen dadurch veranlassend, sein seidenes Taschentuch hervorzuziehen und über dasselbe, indem er es an zwei Zipfeln erfaßte, vorwärts und rückwärts zu springen, während Gustav in rühmlicher Nacheiferung des sinnreichen Bruders einen Gartenstuhl auf den unteren Schneidezähnen balancirte.

„Ich möchte Euch nun auch meine Kunststücke vormachen,“ rief jetzt Brandow, „und Euch zu dem Zwecke bitten, mir ein paar Schritte zu folgen.“

Er ging voran und öffnete, an dem Gartenzaune angelangt, eine kleine Thür, die unmittelbar auf die Bahn führte, in welcher er seine Rennpferde zu trainiren pflegte. Es war ein ziemlich bedeutendes Terrain, das mit großem Verständniß ausgewählt und mit vorzüglichem Geschicke zu seinem Zwecke vollends künstlich hergerichtet war. Da gab es schmälere und breitere Gräben, niedrige und höhere Hecken; da gab es weite Strecken vollkommen glatten, kurzgehaltenen Rasens, um auslaufen lassen zu können; da gab es tiefgeackerte Brache für einen Jagdgalopp. Brandow hatte diesen Platz, der mit der einen Seite an die Pferdeställe stieß, auf den andern drei Seiten mit einem manneshohen Bretterverschlage einfriedigen lassen und hielt ihn eifersüchtig vor Jedermann verschlossen. Jetzt weidete er sich an den Blicken neidischer Verwunderung, welche die drei Gutsbesitzer umherschweifen ließen. Aber er hatte ihnen eine noch empfindlichere Kränkung zugedacht. Als die Gesellschaft sich nach den Ställen zu in Bewegung setzte, kam ihr Hinrich Scheel entgegen, den Brownlock am Zügel führend. Das herrliche Thier knirschte vor Ungeduld in das Gebiß, rieb den feinen Kopf an des Bereiters Schulter und blickte dann wieder aus den großen schwarzen Augen die vor ihm Stehenden an, als fordere es Jeden heraus, der Muth habe, es mit ihm aufzunehmen.

„Nun, Ihr Herren,“ rief Brandow, „Ihr hattet ja so große Lust, den Brownlock zu reiten; da ist er. Ich wette zehn Louisd’or gegen einen, daß Keiner von Euch auch nur in den Sattel kommt.“

„Ich möchte dem Thiere nicht gern das Rückgrat entzweibrechen,“ murmelte Hans Redebas.

Otto Plüggen hatte sich beim Springen den Fuß vertreten; aber Gustav meinte, daß er sich die zehn Louisd’or wohl verdienen möchte.

Gustav von Plüggen war ein anerkannt guter Reiter, der in den Sundiner Rennen mehr als einmal den Preis davongetragen. Er zweifelte nicht einen Augenblick, daß er die Wette gewinnen werde, hielt es aber doch für zweckmäßig, mit aller möglichen Vorsicht zu Werke zu gehen. So umschritt er denn den Renner, ihn an seinen Anblick zu gewöhnen, klopfte ihm auf den schlanken Hals, kraute ihm in dem glatten Stirnhaar, ordnete dann, fortwährend mit dem Thiere sprechend, ganz leise die Zügel und hieß Hinrich Scheel loszulassen und wegzutreten. Aber in dem Moment, wo er mit dem Fuße den Bügel berührte, prallte der Brownlock so stark auf die Seite, daß Gustav froh sein konnte, nur die Zügel in der Hand behalten zu haben. Wieder und wieder machte er den Versuch und stets mit demselben unglücklichen Erfolg.

„Ich hätte Dir es vorhersagen können,“ schrie Herr Redebas.

„Du blamirst Dich wieder einmal unnöthigerweise,“ schnarrte sein Bruder.

Gotthold hatte bemerkt, daß Hinrich Scheel immer vor dem Pferde stehen geblieben war, es scharf aus den Schielaugen fixirend und jedesmal, so oft Gustav Plüggen es besteigen wollte, eine kaum sichtbare Wendung mit dem Kopfe machend, worauf das Thier, das seinerseits eines seiner schwarzen Augen gespannt auf den Bereiter gerichtet hatte, zur Seite prallte oder stieg.

„Ich glaube, Sie würden gut thun, Herr von Plüggen, wenn Sie den Hinrich Scheel von dem Pferde wegtreten ließen,“ sagte er.

„Ich denke, Gustav giebt es auf,“ rief Brandow hastig; „die Wette war so wie so von mir nur scherzhaft gemeint; die Sache ist, daß Hinrich Scheel den Brownlock darauf dressirt hat, sich von Niemand besteigen zu lassen, außer von ihm und von mir; und ich selbst könnte nicht in den Sattel kommen, wenn Hinrich nicht will. Das war ja eben das Kunststück, das ich Euch zeigen wollte.“

Mit Ausnahme Gotthold’s hielt man das Ganze für einen Scherz, bis Brandow ihnen durch den Augenschein das Gegentheil bewies. Der Brownlock ließ sich erst von ihm besteigen, als Hinrich dem Thiere das betreffende Zeichen gegeben. Nun kam der zweite Theil der Vorstellung, die Brandow seinen Gästen zugedacht hatte. Er ritt den Brownlock über die ganze Bahn, die schwierigsten Hindernisse mit einer Leichtigkeit nehmend, welche seine vollendete Reitkunst ebenso, wie die fast wunderbare Kraft und Ausdauer des herrlichen Thieres in das hellste Licht setzte und die Herzen seiner drei Rivalen mit bitterstem Neid erfüllte.

„Es ist eine Schande, daß so ein Kerl ein solches Pferd haben soll,“ sagte Gustav Plüggen, der sich an Gotthold angeschlossen hatte, während die Gesellschaft die Füllenkoppel und hernach die Ställe zu besichtigen ging; „eine wahre Schande. Das heißt: er reitet ja famos – für einen Bürgerlichen, meine ich; aber ein Bürgerlicher sollte überhaupt keine Rennpferde halten dürfen. Ich habe genug im Comité darüber gesprochen, als wir vor acht Jahren die Sundiner Rennen einrichteten; aber ich konnte ja nicht damit durchdringen. Nun haben wir’s. Seit vier Jahren schnappt uns Brandow alle besten Preise weg; es ist, um toll zu werden. Der Kerl wäre ja längst ruinirt, wenn ihn die Rennen nicht hielten, die Rennen und – seine Frau.“

„Seine Frau?“ fragte Gotthold.

„Nun, natürlich. Ihm liehen wir schon längst keinen Pfennig mehr, aber um der Frau willen, die wirklich famos ist, kann man ihn doch nicht ganz fallen lassen. Er weiß das natürlich besser als irgend Einer, und sie muß jedesmal von der Partie sein, so oft es einen neuen Pump zu riskiren giebt – so heute vor acht Tagen, als wir in Plüggenhof waren und Otto ihr in Gegenwart seiner Frau – einer geborenen Freiin von Grieben-Keffen – bei Tisch in der tollsten Weise die Cour gemacht hatte, und eine halbe Stunde nach Tisch hatte Brandow seine fünftausend Thaler in der Tasche. Es war ein Unsinn von Otto; wir hatten ausgemacht, daß wir zusammen nicht über Fünftausend gehen wollten. Es wäre ein famoses Geschäft geworden, das uns der verfluchte Jude nun wieder verdorben hat. Weiß der Teufel, weshalb er ihm geholfen. Und der Assessor sagte mir, daß er auch bezahlt ist. Fünfundzwanzigtausend auf ein Brett! Mir steht der Verstand still – und das will etwas sagen; ich kenne sonst alle seine Pfiffe und Kniffe. Der Pastor meint, Du und kein Anderer habest ihm das Geld gegeben; und dafür habe Brandow durch die Finger gesehen, wenn Du seiner Frau – na, Du brauchst deshalb nicht aufzufahren. Pfaffengeschwätz, ich sage es ja. Du würdest Dich hüten, Fünfundzwanzigtausend – lächerlich! aber er hat sie – das ist ein Fact, wie sie in England sagen – mal in England gewesen? war da – vor acht Jahren, als wir die Sundiner Rennen einrichteten – famoses Land: Pferde, Weiber, Schafe – famos! – was ich sagen wollte: er hat die Fünfundzwanzigtausend und Dollan auf neue fünf Jahre, meint der Assessor; und nun gar den Brownlock! damn! ist das ein Pferd! auf meine Ehre! ich habe selbst in England so etwas nicht gesehen! wie das aufgesetzt ist! und diese Sprunggelenke! und wie das durchgeritten ist! göttlich! aber zu schwer, auf Ehre zu schwer – er kommt nicht über das Moor, das wir jetzt in das Rennen gezogen haben. Fürst Prora soll gesagt haben, das wäre kein ehrliches Spiel! er hat gut reden; er läßt nicht laufen! Kommst Du nicht mit herein? ich höre, es soll noch ein kleiner Tempel oder so was gemacht werden.“

„Ich habe nie gespielt und – meine Kopfschmerzen melden sich wieder.“

„Sonderbar, weiß gar nicht, was Kopfschmerzen sind, als ob ich keinen Kopf hätte. Ihr Maler kriegt das wohl von den Oelfarben; abominabler Geruch!“




19.


Der junge Edelmann folgte den Andern, die bereits in das Haus und in Brandow’s Zimmer rechter Hand vom Flur getreten waren, wo der Spieltisch, wie Gotthold durch das Fenster bemerkt hatte, bereits arrangirt war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_687.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)