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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

nebenbei auch die der Artillerie. Den Schluß macht eine der sechs heiligen Katharinen, aber welche, ist uns leider unbekannt.

Die Mönche von Langheim hatten Glück mit ihrem neuen Wunder- und Gnadenorte: die Zahl der Andächtigen, die „sich nach Vierzehnheiligen versprachen“, wuchs von Jahr zu Jahr, bis der Bauernkrieg kam und die Aufständischen im Maingrunde, die es besonders auf Stiftsgebiete und die Geistlichkeit abgesehen hatten, das Wallfahrtskirchlein zerstörten. Bald aber erhob sich auf dem grünen Bergvorsprunge das Gotteshaus wieder, und als ob in diese Thäler nie Name und Wort des großen Kirchenreformators gedrungen wären, ging in Vierzehnheiligen das alte Treiben in erhöhtem Maße fort. Der Bamberger Fürstbischof hatte zur völligen Niederwerfung protestantischer Regungen die Jesuiten in seine Diöcese berufen, und diese leisteten ihre guten Dienste, namentlich auch durch Wiederbelebung des Wallfahrtswesens. Trotz der echt protestantischen nächsten Nachbarschaft betrug kurz nach dem dreißigjährigen Krieg binnen achtundzwanzig Jahren die Zahl der Wallfahrer 263,764; sie kamen wie heute noch von diesseit und jenseit der Haßberge, aus dem Itz- und Baunachgrunde, sie kamen vom Rheine, aus Sachsen, Böhmen; es kamen Kaiser und Könige, die der Kirche kostbare Geschenke zurückließen, und das ging so fort bis in das achtzehnte Jahrhundert, in diese üppige Nachblüthe des Katholicismus.

Schließlich erwies sich die Kirche als zu klein für den Andrang der Gläubigen, oder vielmehr der Benedictiner-Abt von Banz hatte sich gegenüber eine neue stattliche Kirche und dazu neue schloßähnliche Klostergebäude errichtet, und nun durften auch die Herren von Langheim ihrem geistlichen Nachbar in Nichts nachstehen, nun wurde über dem alten nach dem Bauernkriege restaurirten Kirchlein ein neuer stolzer Kirchenbau in dem damals im Schwunge begriffenen prächtigen Jesuitenstil angefangen, welchen der Würzburgische Artilleriemajor Balthasar Neumann leitete, derselbe, bei dem damals ein armer Waisenknabe erzogen wurde, der später die deutschen Heere gegen romanische Bedrückung zum Siege führen sollte, der Moltke des Befreiungskrieges, der große Gneisenau. Im Jahre 1743 war der Grundstein gelegt und erst neunundzwanzig Jahre später die Kirche vollendet und im September 1772 durch den Fürstbischof Adam Friedrich Grafen von Sinsheim geweiht worden.

Ein ganzes Jahrhundert ist seitdem über diese Giebel und Thürme dahingerauscht und es hat mit seinem Sturmeswehen Manches davon mit fortgenommen. Es hat durch die Säcularisation im Anfang dieses Jahrhunderts die Klosterstätte Derer zerstört, welche diesen Bau begonnen und vollendet haben; das Kloster Langheim liegt heutzutage in Schutt und Trümmern, und auch aus der Kirche von Vierzehnheiligen wurden aller Schmuck und sämmtliche Kostbarkeiten hinweggenommen und Vieles wanderte in die unergründlichen Taschen bairischer Beamten, die damals mit dem historischen Aufräumen beauftragt waren. Selbst die Glocken, die am Jubiläumstage dem jungen Mainthale das Jahrhundertfest verkündeten, sind nicht mehr dieselben, welche an demselben Tage vor hundert Jahren zum ersten Male geläutet hatten. Diese hängen jetzt in der Kirche von Lichtenfels, und so wurde mit Allem tabula rasa gemacht, mit den vierzehn Heiligen, die in massivem Silber vorhanden waren, zu allererst. Im Jahre 1835 schlug der Blitz in beide Thürme. Aber nur die Dachstühle der Kirche verbrannten und die Orgel. Der Brand war für die Kirche selbst von keinem so großen Nachtheil; die alten häßlichen Kuppeln der Thürme wurden durch schlanke, spitze Dächer ersetzt, und so sind heute noch Vierzehnheiligen auf dem linken und drüben Banz auf dem rechten Mainufer durch ihre reiche und stattliche Architectur, durch ihre Lage auf hohen grünen Bergeshalden, der Schmuck und Stolz des Frankenlandes. Aber leider ist, während Banz eine lange Zeit hindurch durch seine Klosterschule eine Zierde der Wissenschaft war, Vierzehnheiligen heute noch dem frommen Wahne und Wunderglauben dienstbar, wie vor vierhundert Jahren.

Wie zum Feste der Einweihung der Kirche vor hundert Jahren Papst Clemens der Vierzehnte einen Ablaß ertheilt hatte, so hatte auch für das hundertjährige Jubiläum sein Nachfolger Pius der Neunte einen „vollkommenen Ablaß, der dem Heile der Seelen im Fegfeuer zugewendet werden kann,“ für Alle gegeben, welche während acht Tage, vom 15. bis 22. September, ihre Andacht „zur Einigkeit der deutschen Fürsten und zur Erhöhung der heiligen Kirche“ in der Wallfahrtskirche zu Vierzehnheiligen verrichten. Darum der massenhafte Zuzug aus allen Himmelsgegenden. Vor der Kirche und um dieselbe drängte sich Kopf an Kopf, und bis weit an den Hügel hinab hatten die Wallenden sich gelagert, bis zu dem Momente, wo auch sie durch die weitgeöffneten Pforten in die Kirche eintreten, dort vor heiliger Stätte ihre Andacht verrichten, die heilige Wegzehrung empfangen und dafür ihr Opfer darbringen konnten. – Und hart daneben in den beiden Wirthshäusern, welches bunte, bewegliche Getreibe! Die helle Tracht der Frauen, weiße oder rothe Festtücher, bunte bebänderte Röcke und allerlei glitzernder Schmuck, und dazu die mehrentheils hübschen Gesichter neben der dunklen Tracht und dem stupiden Gesichtsausdruck der Männer! Die Stuben sind voll – die Hausplätze, die Stufen und Bänke vor dem Hause belagert – die Weinflasche, der Bierkrug machen die Runde, hier die Anzeichen materiellen Genusses in den gerötheten Gesichtern – dort in den Mienen der vor den offenen Thüren Knieenden eine fast schwärmerische Andacht. Die Krambuden sind von Kauflustigen umwogt. Rosenkränze, Heiligenbilder, Kuchen und Leckereien, Spielzeug, wächserne Puppen, Beine, Arme, Herzen und Kerzen, einfache und bemalte, um Alles wird gefeilscht. Die Kirche ist im Aeußeren durch Blumengehänge festlich geschmückt, aus den offenen Kirchthüren rauschen Orgeltöne, tönen Hymnen, strahlt der Glanz von goldnen Priestergewändern und von Tausenden von Lichtern, und das Volk liegt auf den Knieen und beugt sein Haupt und sein Herz unter diesem Tönen und Prangen und Leuchten, als dem Ausdruck einer unmittelbaren göttlichen Offenbarung!

Die Kirche von Vierzehnheiligen ist eine der schönsten Wallfahrtskirchen, die in Deutschland existiren, und deren sind eben nicht wenige. Der innere Raum hat eine Länge von zweihundertzehn Fuß und eine Breite von hundertneununddreißig Fuß; das Gewölbe ist vierundneunzig Fuß hoch. Die helle, lichte Kirchenhalle mit ihren Wölbungen, Galerien, Säulen und Nischen ist von derbem Golde, Marmor, Statuen und Bildern ganz erfüllt. Seit acht Jahren ungefähr hat das Innere eine vollständige Restauration erfahren und macht in seinem neuen Gewande einen ganz stattlichen, fast imponirenden Eindruck. In der Mitte der Kirche erhebt sich ein reich ornamentirter Altar, mit Gold-, Schnitz- und Bildwerk fast überladen. Drei Priester lesen an demselben Messe, und sechs Frauen mit brennenden Lichtern in der Hand rutschen um denselben auf den Knieen umher. Das ist das Heiligthum der Kirche. Von einer Seite sieht man durch eine Gitterthür auf eine Vertiefung im Boden, die mit einem eisernen Gitter bedeckt und mit Blumen reich geziert ist. An dieser Stelle geschahen nach der Tradition die Erscheinungen, und über derselben war auch das uralte Wallfahrtskirchlein erbaut, das erst abgebrochen wurde, als die neue Kirche sich schon darüber erhoben hatte.

Von allen Denen, welche während der Jubiläumswoche Vierzehnheiligen besuchten und welche die Zahl von 20,000 erreichen, brachte Jeder sein Scherflein, sei es in Baarem, sei es auch nur in einer Wachskerze. Viele auch hatten sich besonders hierher „versprochen“. Während des Festes wurden über 24,000 Hostien gespendet. An beiden Seiten des Thurmes befinden sich zwei Räume, die sogenannten Wachskammern. Dieselben sind vom Boden bis zur Decke von Glaskästen angefüllt; diese Kästen enthalten menschliche Gestalten, in Wachs bossirt und mit modernen Kleidern angethan, Männer, Frauen und Kinder. Wenn nicht aus diesem oder jenem Gesichte noch hin und wieder ein Zug der kaukasischen Menschenrace heraussähe, wenn die deutschen Inschriften nicht wären, man möchte sich im Götzentempel des Brahma zu Delhi oder Lackno glauben. Diese Inschriften besagen, daß diese Menschenabbilder aus Dank gegen die vierzehn heiligen Nothhelfer von Denen gestiftet worden, deren Gebet und Wünsche durch ihre Fürsprache bei Gott in Erfüllung gegangen seien. Krankheiten, namentlich bei Kindern, spielen eine große Rolle, aber auch Herzensangelegenheiten bei Jünglingen und Mädchen. Man sieht darin Bräutigame in schwarzem Fracke mit frisirtem Lockenkopfe und Jungfrauen in weißem Kleide mit dem Schleier und dem Brautkranze. Auch zwei bairische Soldaten sind vorhanden, die von den vierzehn Nothhelfern namentlich, scheint es, von der heiligen Barbara, der Patronin der Artillerie, heil aus dem Kriege heimgeführt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_683.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)