Seite:Die Gartenlaube (1872) 680.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„So ist es auch recht,“ sagte ich, „das ist die beste Schuldentilgung. Seien Sie also vernünftig und nehmen auch das noch, zahlen Sie es heim, wenn Sie wollen. Ich bin reich und werde es nie entbehren.“

Damit legte ich eine Börse auf den Tisch. Heute würde ich sie in eine Tasche des hingelegten Kleides stecken, aber damals hatten die Frauenzimmer lächerlicher Weise noch keine Taschen in ihren faltenreichen Röcken, sondern trugen Pompadours, Ridicüles etc. Ich mußte das Geld förmlich übergeben. Brutus erröthete zwar, aber freimüthig nahm er doch an, was ich ihm bot.

„Ich werde zahlen, wenn ich freier Bürger bin,“ sagte er einfach.

Bisher hatte ich den Schlüssel des Zimmers immer mit mir genommen, heute ließ ich ihn dem Gefangenen, damit er sich selber einschließen konnte. Der Schlüssel nach dem Corridor steckte ohnedies von innen, und so befand er sich in der ausgezeichneten Lage, daß er sowohl nach der einen, wie nach der andern Seite entkommen, einem unliebsamen Besuch entgehen, einen andern aber einlassen konnte, sei es nun, daß er durch das Haupthaus oder durch das Hinterhaus komme.

Brutus hatte die Absicht ausgesprochen, die Frauenkleider sogleich anzulegen, um auf alle Fälle bereit zu sein oder sonst sich im Tragen derselben zu üben, damit sie ihm nicht gar so unbequem wären. Ich versprach in einer halben Stunde zur letzten Nachhülfe wiederzukommen und auch, um zu prüfen, ob nichts Verkehrtes und Auffälliges an der Frauenerscheinung zu merken sei. Wir vermutheten Beide, daß in der kommenden Nacht eine Entführung beabsichtigt werde, und nicht nur um des Gefangenen, sondern auch um meinetwillen war mir das höchst angenehm, denn das längere Geheimhalten eines solchen Hausbewohners erschien mir mit jeder Stunde schwieriger, und die beständige Gefahr, in welcher der junge Mensch schwebte – so wie ich selber am Ende auch – nöthigte mich, mein Kopfweh in Permanenz zu erklären, weil ich durchaus nicht im Stande war, meine fieberhafte Unruhe vollständig zu zügeln.

Als ich kaum in meine Wohnung zurückgekommen war, wurde Professor Schönlein gemeldet. Ich war auf’s Freudigste überrascht, denn ich dachte: das ist ein Berather und ein Helfer, es wird Etwas geschehen, es wird Etwas von mir verlangt werden, man spricht sich wenigstens aus und das ist eine Erlösung.

Aber in dieser Erwartung sah ich mich vollständig betrogen. Schönlein redete von allem Möglichen, nur nicht von dem, was mir auf der Seele, auf den Lippen brannte. Andeutungen meinerseits, leise Versuche darauf hinzulenken, schien er ganz und gar nicht zu verstehen, obwohl er unbedingt wahrnahm, daß ich keineswegs bei der Sache war. Wie hätte ich auch vom Theater reden können, während ich mir vorstellte: gleich kommen die Schergen durch’s Hinterhaus und schleppen einen jugendlichen Schwärmer auf’s Schaffot; oder wie von einer Gesellschaft bei Senator H., während ich dachte: sie kommen in’s Vorderhaus und führen eine Frankfurter Patrizierin zum Entsetzen ihrer ganzen Familie in’s Gefängniß! Ob man mir wenigstens erlauben würde, mich meines Wagens zu bedienen? – Wird nicht gleich Etwas die Treppe herunterstürmen und Brutus fliehen in meinen Kleidern? Hört man Nichts von einem Handgemenge? kein Geschrei und kein Lärmen?

Ich horchte und blieb dem Professor die Antwort schuldig auf eine Frage nach dem neuesten Almanach – überhaupt trug er die Kosten der Unterhaltung ganz allein. Als er aber von Musik zu reden anfing und gar meinte, ich solle ihm etwas vorspielen oder singen, da sprang ich empört auf, denn da er unbedingt wußte, was mich quälte, so machte mich diese Zumuthung ganz toll.

„Ich meine, Ihnen gesagt zu haben, daß ich Kopfweh hätte,“ sagte ich kurz und schneidend.

„Ich weiß, Madame,“ versetzte er, „aber Musik beruhigt die Nerven.“

„So spielen Sie doch, ich bitte! da steht mein Flügel.“

„Darf ich Licht bestellen?“

„Natürlich!“

Ob er musikalisch war oder nicht, wußte ich durchaus nicht; aber wahrhaftig! der empörende Mensch tritt an’s Clavier, sucht gelassen unter den Noten, setzt die beiden Kerzen, welche gebracht wurden, zurecht, nimmt Platz und spielt, spielt hinreißend eine Sonate von Mozart, wie ich sie kaum je schöner gehört. Das Adagio rührte mich in meiner nervösen Aufregung zu Thränen, zugleich aber ward mir besser danach.

„Ich bitte Sie um Verzeihung, Herr Professor,“ sagte ich, als er geendet, „aber Sie dürfen heute nicht mit mir rechten.“

„Ich weiß es,“ sagte er ernst, „und mit der Musik,“ fuhr er scherzend fort, „ist es immer noch wie zu König Saul’s Zeiten.“

„So sind Sie mein David gewesen,“ vermochte ich ebenfalls zu scherzen.

„Ja! ja! – Aber mir ist heiß geworden – darf ich die Balconthür öffnen?“

„Es ist eine Doppelthür.“

„O das macht nichts – Kleinigkeit!“

Gewandt und behende öffnete er Schlösser und Riegel, stellte sich mitten in den Zug der hereinströmenden Abendluft und machte mich lachen, indem er noch obendrein sein weißes Taschentuch zog, um sich Kühlung zuzufächeln. Dann nahm er seine Lorgnette und spähete scharf nach rechts und nach links, wobei sein Gesicht einen ganz andern Ausdruck gewann, als wie er heute zur Schau getragen. Schweigend und in sich gekehrt trat er in’s Zimmer zurück. Ich sprach auch nicht; denn da er offenbar über die bewußte Angelegenheit nicht reden wollte, so wünschte ich, daß er ginge, damit ich nach meinem Schützlinge sehen könnte, der mich ohne Zweifel schon längst erwartete.

Kaum hatte der Professor sich entfernt, als ich hineilte. Ich pochte leise an die Thür – keine Antwort; pochte nochmals – Alles still. Ich legte die Hand auf den Drücker; er gab nach, und ich trat ein. Aber es war dunkel, obwohl mein Gefangener sehr wohl Licht machen konnte.

„Brutus! – Brutus!“

Keine Antwort. Ich ging auf die andere Thür zu, sie war unverschlossen. Dann machte ich Licht, und unzweifelhaft war’s: mein Gefangener war entflohen!

Mir fiel ein Stein vom Herzen, und auch ein anderes Licht ging mir auf, indem ich erkannte, was Schönlein’s Besuch bedeutete. Mich sollte er beschäftigen und fernhalten, mich wollte man wahrscheinlich nicht compromittiren. Ich hatte das Meinige gethan. Das Licht im Wohnzimmer war ein Signal – vielleicht daß Alles in Ordnung sei; das Clavierspiel ein Signal, und schließlich die Gestalt des Professors selber in dem Rahmen der erhellten Thüröffnung, das wehende Taschentuch – Alles Signale. Dabei fiel mir ein, daß er jeden Augenblick auf die Uhr gesehen, jedenfalls hatte er seine Sache vortrefflich gemacht und mich in meiner Leichtgläubigkeit vollständig dupirt.

Den Namen meines Schützlings – Feddersen – erfuhr ich aus den Steckbriefen, er den meinigen erst von meinem Bruder – so vorsichtig war man nach allen Richtungen hin zu Werke gegangen.

Ad. Volckhausen.




Das fränkische Loretto.


„Es war die Zeit des großen Kirchenfestes,
Von Pilgerschaaren wimmelten die Wege,
Bekränzt war jedes Gottesbild, es war
Als ob die Menschheit auf der Wand’rung wäre,
Wallfahrend nach dem Himmelreich –“

und es war, als ob diese Worte, welche der unsterbliche Dichter den schwärmerischen, vom Glanz und von der Sinnlichkeit des Katholicismus berauschten Mortimer in den Mund legt, eigens geschrieben worden wären auf das Bild der Bewegung, welches sich am 15. September im weiten herrlichen Mainthale zwischen den Ausläufern des Jura und den Anfängen des Frankenwaldes entfaltete, nur mit dem Unterschiede, daß „der Strom der glaubensvollen Menge“ nicht nach Rom ging, wie Mortimer seiner schwärmerisch verehrten Königin Maria Stuart berichtet, sondern nach dem fränkischen Gnadenorte „Vierzehnheiligen“ zur Feier des großen Kirchenfestes, auf welches während des ganzen Sommers

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_680.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)