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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

dies Brandow’s ganzes Debet wäre – was zweifellos nicht der Fall ist – er ist immer ein verlorener Mann. Das Curatorium rechnet mit Sicherheit darauf, daß Brandow seine zwei Jahre lang gestundete Pacht morgen zahlt. Geschieht es nicht, wird es unweigerlich von seinem Rechte Gebrauch machen und zur Exmission schreiten, und dann ist Brandow so gewiß und so gründlich ruinirt, wie man es nur überhaupt sein kann.“

„Arme Cäcilie! arme, arme Cäcilie!“ rief Frau Wollnow, in Thränen ausbrechend.

„Sie dauert mich,“ sagte der Assessor, an seinen langen Nägeln spielend. „Aber was ist da zu thun?“

„Emil muß helfen!“ rief Frau Wollnow, das Taschentuch vom Gesichte nehmend.

„Er wird sich hüten; ‚es hieße Wasser in das Faß der Danaiden schütten,‘ sagte er noch eben.“

„Aber Sie selbst, lieber Sellien, Sie sind sein Freund; Sie können Ihren Freund nicht untergehen sehen.“

Der Assessor zuckte die Achseln. „Freund! lieber Himmel, wen nennt man nicht so! Und mein Verhältniß zu Brandow ist doch im Grunde ein sehr oberflächliches, wenn Sie wollen, ein geschäftliches, nicht wahr, liebe Frau?“

„O gewiß, gewiß!“ murmelte Alma.

„Und gerade diesen geschäftlichen Charakter unseres Verhältnisses würde ich verleugnen, wenn ich mich in einer so kritischen Situation von Alma begleiten ließe. In Gegenwart der Frauen die gemüthlichen Saiten nicht zu berühren, ist sehr schwer, und es scheint mir doch äußerst wünschenswerth, daß man in einem solchen Falle selbst der Möglichkeit dazu sorgsam aus dem Wege geht. Bist Du nicht auch der Ansicht, liebe Alma?“

„Es ist eine unangenehme Lage,“ sagte Alma.

„Nicht wahr? Und weshalb wolltest Du Dich derselben ohne Noth aussetzen? Ich wußte ja, daß meine kluge kleine Frau mir schließlich Recht geben würde.“

Und der Assessor küßte zärtlich Alma’s Hand.

„Dann, däucht mir, müßten aber auch Sie hier bleiben, lieber Assessor,“ sagte Frau Wollnow.

„Ich? Weshalb? Im Gegentheil, es ist nur praktisch, wenn ich so unbefangen wie möglich erscheine. Ich weiß von nichts; ich ahne nichts. Es thut mir natürlich ungeheuer leid, wenn Brandow mich auf die Seite nimmt und mir sagt, daß er nicht zahlen kann; aber ich wette, das Diner wird deshalb um nichts schlechter sein und mir um nichts schlechter schmecken. Seine Rothweine und sein Champagner waren immer süperb.“

Frau Wollnow stand auf und trat auf den Balcon. Sie mußte frische Luft schöpfen, auf die Gefahr hin, sich den neuen seidenen Morgenrock in dem Regen zu verderben, der in diesem Augenblicke ziemlich dicht vom grauen Himmel herabfiel. „Arme, arme Cäcilie!“ wiederholte sie seufzend, „und Niemand, der Dich retten kann und will!“

Sie dachte daran, daß sie ihrem Manne fünfzigtausend Thaler baar mitgebracht hatte; aber freilich, ohne Emil’s Erlaubniß konnte sie die nicht angreifen, und Emil würde es nicht erlauben. Sollte sie es mit einem Fußfall versuchen? Sie wäre über diese extravagante Idee, besonders wenn sie sich dabei ihres Gatten verwundertes Gesicht vorstellte, beinahe in ein lustiges Gelächter ausgebrochen, nur daß ihr wieder die Thränen aus den Augen drangen und sich mit den Regentropfen vermischten, die ihr in das heiße Gesicht schlugen. Plötzlich wurden die beiden Gatten drinnen in ihrer leisen und angelegentlichen Unterhaltung durch einen lauten Ruf vom Balcon aufgeschreckt: „Gotthold, um des Himmels willen, Gotthold!“

„Wo, wo?“ riefen der Assessor und seine Frau wie aus einem Munde, nach dem Balcon eilend.

„Dort kommt er!“ sagte Ottilie, auf den Marktplatz hinabdeutend, über welchen jetzt ein Mann, den breitkrempigen Hut tief in die Stirn gezogen, gerade auf das Haus zugeschritten kam.

„Er ist nicht so groß wie Brandow,“ sagte Alma, welche durch ihre Lorgnette den Kommenden scharf betrachtete.

„Was mag er wollen?“ fragte ihr Gatte.

„Wir werden es alsbald erfahren,“ sagte Frau Wollnow, indem sie mit einiger Aengstlichkeit die beiden Anderen aus der offenen Thür in das Zimmer zurückdrängte.

Aber Gotthold hatte sich, wie das herbeigerufene Mädchen berichtete, nur bei dem Herrn melden lassen, und sie hatte ihn zum Herrn in das Comptoir führen müssen. Die Conferenz, welches Inhaltes sie auch sein mochte, dauerte viel länger, als den erwartungsvoll Harrenden irgend lieb war, und nach einer Stunde, in welcher der Assessor die Ungeduld der Damen durch eine ausführliche Relation seiner mit Gotthold in Sicilien erlebten Abenteuer eher vermehrt als beschwichtigt hatte, erschien Herr Wollnow allein. Man war erstaunt, verwundert und beruhigte sich kaum, als Wollnow sagte, daß Gotthold nur in den Fürstenhof gegangen sei, sich umzuziehen und zum Frühstück zurückkommen werde, wenn seine Geschäfte ihm Zeit ließen. Man wünschte zu erfahren, was denn das für Geschäfte seien, die so dringend wären und zu deren Erledigung sich Gotthold einen Sonntagvormittag ausgesucht habe.

„Da werden die Damen ihn schon selber fragen müssen,“ sagte Herr Wollnow; „er hat mich nicht in sein Vertrauen gezogen. Ich weiß nur, daß er mit unserem Freunde hier nach Dollan zurückfahren und in derselben liebenswürdigen Begleitung, auf die er sich ausnehmend freut, heute Abend oder morgen wieder hier eintreffen will, um dann alsbald seine Reise weiter fortzusetzen. Es scheint, daß es sich noch um den schleunigen Einkauf von ein paar Geschenken handelt, mit denen er seine Dollaner Gastfreunde zu guter Letzt überraschen will, wenigstens hat er sich von mir eine Summe geben lassen, die für bloße Reisezwecke fast ein wenig zu groß ist, das Weitere verschweig’ ich!“

Und Herr Wollnow summte mit anscheinend größter Sorglosigkeit die betreffende Melodie aus dem „Figaro“, als er sich, weiteren Fragen auszuweichen, wieder aus dem Zimmer begab.

„Ich finde es keineswegs artig, sich nicht wenigstens zu präsentiren,“ sagte Alma; „ich habe große Lust, ihn dafür abzustrafen und nicht beim Frühstück zu erscheinen.“

„Aber ich bitte Dich!“ sagte der Assessor.

Ottilie Wollnow antwortete nicht. Sie kannte ihren Gatten zu gut, als daß ihr trotz seiner scheinbar unbefangenen Miene der düstere Blick der Augen und die Wolke auf der Stirn hätten entgehen können. Sie hatte durchaus die Empfindung, daß die Unterredung Gotthold’s mit ihrem Gatten nicht so harmlos gewesen sei, daß vielmehr irgend eine Unannehmlichkeit, vielleicht ein Unglück in der Luft schwebe, und vor Allem war sie überzeugt, daß Selliens sich ganz umsonst ereiferten und Gotthold nicht zum Frühstück erscheinen werde.




18.


In dem Garten zu Dollan wandelte die Gesellschaft zwischen den nassen Hecken in den hier und da verregneten Wegen bereits seit einer halben Stunde auf und ab, der Ankunft des Assessors und des Mittagessens harrend.

„Du bist ein schöner Kerl,“ schrie Hans Redebas, der mit Otto von Plüggen ging, als ihm Brandow mit Gustav von Plüggen und dem Pastor Semmel zum dritten Mal an derselben Stelle begegnete; „erst ladest Du uns auf Jemand ein, der bei Thau und Nebel das Weite sucht, dann fällt es Deiner lieben Frau, um deren willen wir Alle gekommen sind, ein, Migräne zu haben und nicht zu erscheinen; dann müssen wir wieder auf den Assessor warten und hier in Deinem alten nassen Garten umherlaufen, wie die Pferde in der Tretmühle! Ich gebe Dir noch zehn Minuten, wenn wir dann nicht bei Tisch sitzen, lasse ich anspannen und wir essen in Dahlitz und nicht schlecht. Was sagst Du dazu, Pastor?“

Und Herr Redebas lachte und schlug den Pastor, der mit ihm in seinem Wagen gekommen war, derb auf die Schulter. Brandow lachte auch; man müsse Geduld mit ihm haben; es sei nicht seine Schuld, daß der Assessor noch nicht da sei und wenn es sonst heute ein wenig quer bei ihm gehe; das Essen sei übrigens längst fertig.

„Dann laß uns in dreier Teufel Namen zu Tisch gehen, oder ich falle in Ohnmacht,“ schrie Herr Redebas.

Es war nicht sehr wahrscheinlich, daß der riesengroße und riesenstarke Mann einer solchen Anwandlung von Schwäche unterliegen werde; aber Brandow hatte alle Ursache, die üble Laune seiner Gäste nicht noch mehr zu reizen. Man hatte bereits, die Zeit bis zur Mahlzeit zu kürzen, ein kleines Spiel gemacht, an welchem sich der Pastor, außer mit seinem gespanntesten Interesse, nicht betheiligte, und hatte ein paar hundert Thaler an ihn verloren. Das war freilich eine verschwindend kleine Summe in Vergleich zu der, welche er seinen Gästen schuldig war; aber

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