Seite:Die Gartenlaube (1872) 654.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Sie haben mir Wahrheit gelobt!“

„Nun wohl, ich gedachte für immer hier zu bleiben. Ich war ein Thor, ein Träumer! ich hatte mein volles Herz einem Mädchen gegeben, schön und anmuthig, wie keine zweite. Ich fühlte die Kraft in mir, sie zu schützen und zu bergen an der treuesten Brust; kein rauher Windhauch sollte meine zarte Blume treffen! Aber für den Mann giebt es noch Eines, das höher ist, als die Liebe, soll sein Wirken nicht verloren sein – die Ehre! Sie muß unangetastet bleiben; sie duldet nicht den leisesten Makel. Ein Hauch ist übergenug, ihren hellen Spiegel zu trüben. Dem Weibe, das mich liebt, müßte meine Ehre eben so heilig sein; nicht nur im Großen und Ganzen, nein, in jedem Augenblick, in jeder Aeußerung und Regung. Mit dem bittersten Schmerz habe ich mich davon überzeugt, daß es jenem Mädchen nicht nur leicht wurde, mir augenfällig eine unverdiente Kränkung zuzufügen, sondern daß sie dieselbe noch verschärfte, indem sie einen anerkannten Narren mir vorzog.“

„Herr von Löbau,“ erwiderte Emmy mit bebender Stimme, indem sie gewaltsam ihre tiefe Bewegung unterdrückte, „Sie haben nicht recht gethan, jenes Mädchen ungehört zu verdammen. Sie hätten auch daran denken sollen, daß sie eine Waise ist, die nie eines Vaters freundlich ernste Mahnung vernahm, eine Waise, die Jeder nach einer andern Richtung hin erzogen hat. Gott gab ihr einen heiteren Sinn. Darum verkümmerte sie nicht unter soviel Schwerem; wie fröhlich sie jedoch in das Leben blickte, stets regte sich in ihr die Sehnsucht, von einer starken Hand liebevoll geleitet zu werden. Sie haben gesagt, Herr von Löbau, daß es für den Mann noch etwas Höheres giebt, als seine Liebe – für die Frau ist sie gewiß das Höchste! Und weil sie ihr so heilig ist, ruht sie tief verschlossen in stiller Brust. Oft weiß ein Mädchen ja kaum, was es empfindet, und erst des geliebten Mannes Wort offenbart ihr das Geheimniß ihres Herzens. Wie zürnt sie allen Unberufenen, daß sie voreilig rütteln an dem, was so verschwiegen bleiben müßte! Und damit nicht Fremde erfahren, was sie zuerst dem Geliebten gestehen möchte, tritt sie oft herb und kalt dem Mann entgegen, der ihr so theuer ist! – Sie haben schwer gelitten, Herr von Löbau; jenes Mädchen leidet auch! Sie fühlt – – –“ Emmy stockte.

„Vollenden Sie, Fräulein, ich beschwöre Sie darum!“ rief Löbau und ergriff der Geliebten Hand.

„Sie fühlt – – – daß sie den Mann gefunden, den sie ersehnt, und – sie hat ihn verloren!“ – –

„Nein, Emmy, beim wahrhaftigen Gott, Du hast ihn nicht verloren! wer könnte solch’ hochherziger Offenheit widerstehen!“ und mit vollem Glücksgefühl umfaßte er das zitternde Mädchen.

Man klopfte.

„Die gnädige Frau wünscht Fräulein von Rohr zu sprechen,“ meldete die Dienerin.

„Wir kommen!“ rief Löbau, der sein Glück Allen verkünden wollte.

Die erstaunte Landräthin gab dem feurig Bittenden die ersehnte Einwilligung zu dem Herzensbunde. „Sie werden es jedoch schwer haben mit dem kleinen Schelm, lieber Löbau, das sage ich Ihnen zuvor,“ warnte sie freundlich.

„Fürchte nichts, Tantchen!“ entgegnete Emmy, und zum ersten Male schwebte wieder das reizende Lächeln über die schönen Züge, „Der versteht’s! Wenn ich einmal nicht thun werde, was ich soll, gleich giebt es einen Walzer auf dem Eise!“ –




Verwaiste Vögel.


Von Brehm.


„Diesmal aber habe ich etwas ganz Besonderes für Sie,“ sagte der Vogelfänger, welcher das Fluggebauer des Berliner Aquariums mit inländischen Vögeln versorgt, und löste vorsichtig das Tuch, in welches er einen kleinen Käfig eingeschlagen hatte. „Es ist eine ganze Familie, Alte und Junge, und Fremde sind auch darunter.“

In dem Gebauer wimmelte es bunt durcheinander. Zwölf Vögel kletterten und hüpften auf und nieder, hin und her, kreischten bettelnd nach Futter, suchten sich gegenseitig zu verdrängen, um zu einem älteren zu gelangen, welcher, unbekümmert um die auf ihn gerichteten Augen der menschlichen Zuschauer, unbeirrt auch durch die verschiedenen Schreihälse, von denen einer den anderen ununterbrochen zu verdrängen und zu überschreien suchte, fort und fort einen Schnabel voll Ameisenpuppen vom Boden aufnahm und bald in den einen, bald in den anderen weitgeöffneten Rachen steckte.

Es war eine Bachstelzenfamilie mit eigenen und fremden, verwaisten Vogelkindern, welche man vor sich sah. Der Vogelfänger hatte auf mein Ansuchen ein Nest der mir besonders an’s Herz gewachsenen, jedes Fluggebauer wahrhaft zierenden Stelze ausgekundschaftet, gewartet, bis die Jungen so ziemlich herangewachsen waren, sodann beide Alten nacheinander gefangen, die ganze Sippschaft in einen Bauer gesteckt, mit Nahrung wohl versehen und auf die Elternliebe der alten Vögel gerechnet, um sich die Last des Aufziehens der Jungen vom Halse zu schaffen. Seine Voraussicht erwies sich als richtig; die Eltern ließen angesichts der fünf pflegebedürftigen Jungen alle Rücksichten schwinden, atzten fleißig, und die Kleinen gediehen. Wenige Tage später fand unser Mann zufällig einen kaum noch befiederten Kuckuck in einem Grasmückenneste, aus welchem der Gauch, wie er zu thun pflegt, die rechtmäßigen Kinder verdrängt hatte, hob den Vogel ebenfalls aus und sperrte ihn in jenes Gebauer zu der Bachstelzenfamilie, in der Erwartung, daß das Mutterherz es nicht über sich gewinnen werde, den häßlichen Schreihals unbefriedigt kreischen zu hören und verkümmern zu lassen. Auch diesmal hatte er sich nicht geirrt. So belastet die alte Bachstelze war, so willig übernahm sie doch sofort die Pflege des Findelkindes und begann augenblicklich nach Kräften zu arbeiten, um den fast ununterbrochen geöffneten Rachen zu stopfen. Zwei junge Wiesenpieper vermehrten die Gesellschaft, und auch sie fanden bei der barmherzigen Waisenmutter Aufnahme und Befriedigung der Nothdurft ihres Leibes und Lebens; ja, diese ließ sich zuletzt noch herbei, zwei jungen Wendehälsen, welche ihr gebracht wurden, die nöthige Pflege angedeihen zu lassen.

So ungefähr erzählte der Mann, während die hungrige Kinderschaar kreischte, piepte, bettelte und drängte, der Gauch mit gewohnter Rücksichtslosigkeit sein allerwerthestes Ich fortwährend in den Vordergrund zu schieben versuchte, die Wiesenpieper auf ihm umherkletterten, als wäre er ein Stück Rasen, die Wendehälse ihre lange Klebezunge probten, die Mutter und Pflegemutter anscheinend unter bedauernden Blicken auf ihre ersichtlich verkürzten Jungen Ameisenpuppen aufraffte und abwechselnd bald in den einen, bald in den anderen, zumeist aber doch in den Rachen des Gauchs steckte, ohne von ihrem Gatten unterstützt zu werden, da dieser den Kopf vollständig verloren zu haben schien, bald hierhin, bald dorthin stelzte und bedeutungsvoll mit dem Schwanze wippte.

„Das giebt ein Bild für die Gartenlaube,“ sagte Emil Schmidt und schabte bereits ein Stück Kohle zurecht, um sofort mit der Aufnahme beginnen zu können; „hier stellt und gruppirt sich ja Alles von selbst.“

„Nicht wahr,“ warf der Vogelfänger ein, welcher die Gruppe noch immer wohlgefällig betrachtete und mit seiner Kunde des Vogelherzens sich hervorzuthun suchte, „nicht wahr, das ist wirklich etwas Schönes, wie man es selten zu sehen bekommen kann; ich habe mir gleich gedacht, daß Ihnen das Freude machen würde.“

„Eine Sünde und Schande ist es,“ erwiderte mißbilligend Seidel, der Futtermeister, „ein armes Thierchen so zu plagen und zu quälen,“ und streute eine Handvoll frischer Ameisenpuppen in das Gebauer, um der Waisenmutter die Abfütterung zu erleichtern.

„Gekauft aber werden sie, die Eltern wie die Kinder und Waisen,“ schloß Freund Hermes die Unterhaltung, „solcher Zug aus dem Vogelleben muß jeden Besucher des Aquariums fesseln, ein fühlendes Frauenherz insbesondere förmlich rühren. Wir wollen die ganze Gesellschaft ausstellen und ein Stück Jugendgeschichte des Kuckuck’s vor aller Augen abspielen lassen.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_654.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)