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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Blätter und Blüthen.


Aus hessischer Zeit. Wie bekannt, zeichnet sich das frühere Kurfürstenthum Hessen, jetziger Regierungsbezirk Kassel, durch den Reichthum seiner Forsten aus, und der von der Diemel und Weser umflossene Reinhardtswald ist es, der seiner herrlichen Eichenbestände und seines reichen Wildstands wegen die Krone derselben bildet. Da nun die hessischen Fürsten passionirte Jäger waren, so wird man es ganz natürlich finden, daß Herz und Sinn derselben sich dieser fast acht Quadratmeilen großen Waldung zugewandt hatten. Leider war aber auch der Reinhardtswald, in welchem viele Walddörfer liegen, das Eldorado der Wilddiebe und diese durch ihre Schlauheit und Localkunde, wodurch sie bei ihren Pirschgängen aller Nachstellungen der Forstbeamten spotteten, weit und breit berühmt und berüchtigt.

Vorzugsweise war es jedoch das große Kirchdorf Gottsbüren, welches, im Herzen dieser prächtigen Eichenwaldung gelegen, seit Jahrhunderten seine früheren Ruf als katholischer Wallfahrtsort mit dem eines protestantischen Wilddiebnestes vertauscht hatte. Auch des Exkurfürsten Liebe besaß der Reinhardtswald, und nichts konnte den gar eigenthümlich gearteten Herrn mehr in Wallung bringen, als irgend eine Anspielung auf die Wilddiebereien in seinem geliebten Reinhardtswalde.

Nachfolgende Episode mag nun zeigen, wie geschickt diese Stimmung des Exkurfürsten in den vierziger Jahren von einem seiner vortragenden Räthe benutzt wurde, um einem tüchtigen Geistlichen endlich zu einer bessern Stelle zu verhelfen. Metropolitan Dr. Feierabend, seit Jahren Inhaber der ärmlich dotirten Pfarrstelle zu Gottsbüren, hatte sich schon öfters um erträglichere Stellen beworben. Bis dahin jedoch leider stets vergebens, obgleich selbst das Consistorium, welches die Tüchtigkeit Feierabend’s vollkommen würdigte, diesen stets primo loco präsentirte. Den Grund hierzu finden wir in einer der vielen Marotten jenes hohen Herrn. War seinem Ohr nämlich irgend ein Familienname nicht angenehm, so mußte der Träger desselben es büßen, und dies war bei Feierabend der Fall. Dessenungeachtet bewarb sich Anfangs der vierziger Jahre Feierabend auf Anrathen seiner Freunde um das damals vacante, sehr einträgliche Metropolitanat zu Felsberg.

Wie gewöhnlich vom Consistorium primo loco präsentirt, war sein Rescript schon ausgefertigt und von dem vortragenden Ruthe, einem Freunde Feierabend’s, dem Kurfürsten zur Unterschrift vorgelegt worden. Kaum hatte jedoch der Kurfürst den Namen Feierabend erblickt, als er höchst unwillig dasselbe weit von sich schob. Ohne mit einer Miene zu zucken und wie zu sich selbst redend, jedoch so laut, daß der Kurfürst ihn verstehen mußte, ließ der Geheime Rath, der seinen Herrn und seine Eigenheiten genau kannte, sich also vernehmen:

„Hm! hätte doch gedacht, es wäre endlich Zeit, daß Feierabend aus dem Reinhardtswalde käme.“

Kaum hatte jedoch der Kurfürst seinen geliebten Reinhardtswald nennen hören, als er auch schon in seiner gebrochenen Redeweise hastig frug:

„Wie? was? weshalb aus Reinhardtswald schaffen? Feierabend Wilddieb?“

Achselzuckend erwiderte hierauf der Gefragte, daß er das gerade nicht sagen könne, jedoch sollte Feierabend ein guter Schütze sein und einen guten Wildbraten auf seinem Tische lieben.

„So, so – schlecht’ Beispiel abschaffen will – Reinhardtswald mein ist“ – herauspolternd, ergriff der Kurfürst hastig das eben fortgeschobene Rescript, fügte demselben seine Unterschrift bei und – Feierabend war Metropolitan von Felsberg, ganz gegen seine Erwartung.

Nicht lange danach wurde in Hessen die Main-Weser-Bahn gebaut, und der Kurfürst beschloß, mit Gefolge eine Probefahrt nach Station Gensungen, in unmittelbarer Nähe Felsbergs gelegen, zu unternehmen. Damals war dies ein Ereigniß im Hessenlande, und die Bevölkerung der Umgegend strömte in Gensungen zusammen. Auch der Magistrat von Felsberg beschloß, eine Deputation an den Kurfürsten zu entsenden. Da nun auch in weltlicher Rede Dr. Feierabend die Sprache in seiner Gewalt hatte wie nur Wenige, so wurde er zum Sprecher der Deputation erwählt und erwartete an der Spitze derselben, bekleidet mit seinem Chorrock, auf dem Bahnhofe zu Gensungen die Ankunft des Landesherrn. Unter großem Jubel der Menge fuhr der Zug in den Bahnhof ein, und erfreut durch diesen Empfang, verließ der Kurfürst in froher Stimmung sein Coupé, um die Deputation zu empfangen. Feierabend’s Rede machte auf den Landesherrn und sein Gefolge einen gewaltigen Eindruck, und noch unter der Wucht desselben trat dieser auf Feierabend zu, und indem er ihm die Hand reichte, sprach er:

„Danke, danke; – schön, schön gemacht; – guter Schütz – alter Wilddieb – hab’n aber aus dem Reinhardtswald ’rausgeschafft.“

Völlig erstarrt stand Feierabend da. Der vorhin so beredte Mund vermochte kein Wort hervorzubringen, und einige Minuten verflossen, ehe Feierabend im Stande war, dem Kurfürsten zu entgegnen:

„Halten zu Gnaden, königliche Hoheit, ich habe nie im Leben ein Gewehr laden gelernt, wie viel weniger bin ich ein Wilddieb gewesen!“

Durch diese Unterhaltung sichtlich amüsirt, fuhr der Kurfürst fort:

„Still, weiß schon – nicht leugnen – nicht zum Rock paßt!“ Und damit wandte er sich den anderen Deputationen zu.

Als später Feierabend noch einmal Gelegenheit hatte, ein Wort für seine Unschuld einzulegen, erwiderte lachend der Kurfürst, Feierabend in seiner Rede unterbrechend:

„Weiß, was ich weiß – vorüber ist – Ihm in Gnaden gewogen bin.“ Aus den lachenden Mienen des kurfürstliche Gefolges ersah Feierabend, daß diesen Herren die Geschichte nicht fremd war, und erfuhr auch später, durch welches Mittel er Metropolitan geworden.

Unter dem Jubelrufe der versammelten Volksmenge fuhr der Kurfürst nach Kassel zurück. In den Augen desselben war und blieb jedoch Feierabend der Wilddieb des Reinhardtswaldes, und kopfschüttelnd erzählte sich noch längere Zeit die ländliche Bevölkerung von Felsberg, daß dem alten, stillen Metropolitan es doch Niemand angesehen hätte, daß man denselben seiner Wilddieberei wegen aus dem Reinhardtswalde habe versetzen müssen.

H. B.




„Wer so viel ertragen und tragen kann!“

 Von Katharina Koch.[1]

„Großmutter, Du mußt mit zum Circus gehn,
Um auch den starken Mann zu sehn.
Gewiß nicht hundert Männern gelingt,
Was der mit Arm und Brust vollbringt.
Großmutter, so was hast Du niemals gesehn!“
„„So will ich denn mit zum Circus gehn.““

Und im Circus, da stand er, der starke Mann,
Da staunten ihn Hundert und Hunderte an,
Wie die eisernen Kugeln er rollen ließ
Um den Leib, wie er spielte mit Schwert und Spieß. –
„Großmutter, nicht wahr, das bewunderst auch Du?“
Großmutter schwieg, sah ruhig zu.

Und er trug zuletzt noch zu Aller Lust
Einen Ambos, viel Centner schwer, auf der Brust,
Und ließ hämmern darauf und fragte dann:
Wer so viel ertragen und tragen kann? –
„Großmutter, nicht wahr, das kann nur Er?“
Großmutter lächelt: „„Ich trug wohl mehr!

„„Kommt, Kinder, wir wollen nach Hause geh’n,
Für mich giebt’s hier nichts Neues zu seh’n;
Gleich Kugeln umliefen die Sorgen mich,
Wie mit Schwertern spielte mit Schmerzen ich,
Und Kummer trug ich centnerschwer:
Nur zeigt’ ich es niemals für’s Geld, wie Der!““



  1. Wir führen unseren Lesern hiermit eine Dichterin vor, welche, jetzt im zweiundsechzigsten Jahre stehend, durch ihre dichterische Begabung in kleinerem Kreise viel Segen und Freude gestiftet hat. Sie waltet seit mehr als dreißig Jahren als Industrielehrerin an einer Mädchenschule in dem Marktflecken Ortenburg in Niederbaiern. Von der einfachen Ortsschule aus hat sie selbst mit unsäglichem stillem Fleiße sich fortgebildet, oft mit mühevoll zusammengesuchten Bildungsmitteln, und dabei mußte sie sechszehn Jahre theils daheim, theils in Regensburg sich als Dienstmagd durchhelfen. Man staunt über die gewandte Darlegung ihrer Gedanken und ihre schönen festen Schriftzüge. Freilich, Uebung hatten letztere später genug, denn ihre meisten Gedichte und namentlich ihre warmen und klaren geistlichen Lieder sind nur in von ihr selbst geschriebenen Heftchen in ihrer Heimath, in weitem Umkreis um Ortenburg in den Familien verbreitet. Weitstrahlender Dichterruhm ist auf diesem Wege nicht zu erwerben gewesen, aber in ihrem Kreise kennt „die Jungfer Base“ das Kind und der Greis und alle haben sie treu in’s Herz geschlossen. Möge sie uns verzeihen, daß wir sie aus dem Dunkel gleich an das Licht der „Gartenlaube“ ziehen; es ist schon werth, daß man in ganz Deutschland sich über ein solches Dichterwirken freue.
    D. Red.




Kleiner Briefkasten.

F. in K. Bereits im Jahrgang 1859 unseres Blattes haben wir einen eingehenden Artikel über die Marienburg in Preußen mit zwei die Burg von verschiedenen Seiten darstellenden Illustrationen gebracht und können daher nicht weiter auf diesen Gegenstand zurückkommen.

S. in Berlin. Illustrationen von Paraden, Zapfenstreichen, Illuminationen und daneben die Scene der Gequetschten, Zertretenen und Sterbenden! Lassen Sie uns lieber davon absehen.




Nicht zu übersehen!


Mit dieser Nummer schließt das dritte Quartal unserer Zeitschrift. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Verlagshandlung.




Außer dem Schluß der Erzählung von Spielhagen: „Was die Schwalbe sang“, erscheint im vierten Quartal noch

„Der Loder“ von Herman Schmid.

Aus der Reihe der unterhaltend-belehrenden Artikel heben wir die „Amerikanischen Reise- und Vorlesungsbilder“ von Louis Büchner (Verfasser von „Kraft und Stoff“), „Aus meiner Jünglingszeit“ von Gottfried Kinkel etc. noch besonders hervor.

Leipzig, Ende September 1872.

Die Redaction.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_648.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)