Seite:Die Gartenlaube (1872) 644.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

wurde Stanley der Weg versperrt. Schnell entschlossen verbündete er sich mit der einen Partei, um die andere rasch zu überwältigen und so auf die einfachste Weise Frieden zu stiften. Mit seinen Verbündeten überrumpelte er glücklich einige Dörfer des Feindes und durfte schon hoffen sich bald den Weg gebahnt zu haben, da verhinderte ihn ein böser Fieberanfall an der Erwerbung weiteren afrikanischen Kriegsruhms. Er ging eine kurze Strecke zurück, um sich zu erholen und während dieser Zeit wandte sich das Glück des Krieges dem Gegner zu, so daß Stanley schließlich mit den Resten seiner Expedition nichts übrig blieb, als die mit Krieg überzogenen Gebiete auf weiten Umwegen zu umgehen. Auch dies war keine leichte Aufgabe: offener oder versteckter Widerstand und Böswilligkeit der Eingeborenen, Ungehorsam seiner eigenen Leute, schlechtes Wetter und Krankheiten verzögerten seinen Marsch. Anfang November endlich erreichte er den Tanganyika-See und zog am 3. November 1871 unter dem landesüblichen Höllenlärm mit Trommeln, Hörnern und Flintensalven in der Ortschaft Udschidschi ein.

Unter den ihn in gleicher Weise empfangenden Einwohnern bemerkte er einen dürftig europäisch gekleideten graubärtigen Mann, welcher eine goldbordirte Marinemütze trug. Wohl wissend, wie sehr die Araber den Werth eines Mannes nach der Würde bemessen, mit welcher er sich repräsentirt, benutzte Stanley einen schicklichen Augenblick, um sich dem Manne mit der Mütze zu nähern, als befände er sich mit ihm in Berlin oder Paris.

Höflich grüßend beginnt er: „Doctor Livingstone, glaube ich?“

Und noch einfacher lautet die lächelnd gegebene Antwort: „Ja.“

So war denn der berühmte Forscher gefunden, der Hauptzweck der Reise erfüllt. Livingstone war noch frisch und rüstig und fest entschlossen nochmals westwärts zu gehen, um auch die letzten Unklarheiten bezüglich der Frage über die Nilquellen zu beseitigen. Die Resultate seiner letzten Wanderzüge sind in der Kürze folgende: Westlich vom Nyassa-See zwischen zehn und zwölf Grad südlicher Breite erstreckt sich in großer Ausdehnung von Ost nach West die Wasserscheide von Südafrika, ein bewaldetes, bis zu vier- und fünftausend Fuß ansteigendes, von einzelnen Bergspitzen noch bedeutend überragtes Hochland. In diesem erblickt Livingstone das fabelhafte Mondgebirge der Alten; auch die gewaltigen Quellen finden sich dort. Am Südabhange entspringt der Zambesi mit verschiedenen seiner Nebenflüsse, nach Norden zu rieseln unzählige Bäche in ein weites Thal hinab, vereinigen sich dort zu mehreren großen Flüssen und diese zu einem majestätischen Strome, welcher vielfach gewunden nach Westen und Norden fließt. Letzterer passirt im Westen des Tanganyika eine Reihe großer Seen, zwischen welchen er verschiedene Namen, wie Luapula, Lualaba führt; der Entdecker hält ihn für den eigentlichen Nil. Mancherlei Mißgeschick verhinderte ihn leider, den Flußlauf bis in schon von Norden her erforschte Gebiete zu verfolgen. So bleibt es vorläufig noch unentschieden, ob er wirklich den Oberlauf des Nils entdeckt hat, oder den des Kongo oder des Ogowai, die an der Westküste Afrikas in den Atlantischen Ocean münden. Der Chambeze, nicht zu verwechseln mit dem Zambesi, als dessen Nebenfluß er früher galt, ist von diesem durch die Wasserscheide getrennt und giebt sein Wasser an den neuentdeckten Hauptstrom ab.

Dies sind die hauptsächlichsten Entdeckungen des hochverdienten Forschers. Seine Berichte lassen leider in Bezug auf Klarheit viel zu wünschen übrig; es ist dies wohl erklärbar: verschiedene derselben sind verloren gegangen; es fehlte ihm schließlich an Papier; in die seinem Tagebuch entnommenen Auszüge, welche bei sich bietender günstiger Gelegenheit hastig zusammengestellt wurden, konnten sich leicht genug Irrthümer einschleichen, und der Zustand seiner Instrumente erlaubte ihm überdies nicht, sichere Höhenmessungen und Ortsbestimmungen vorzunehmen. Eine vollständige und klare Uebersicht dessen, was er geleistet hat, wird erst durch eine kritische Bearbeitung des ganzen von ihm gesammelten Materials ermöglicht werden, und diese dankbare Arbeit scheint er sich selbst vorbehalten zu haben.

Westlich vom See Tanganyika fand Livingstone einen Völkerstamm, die Manyema, welche entschiedene Menschenfresser sind, doch bereiste er glücklich ihr Gebiet, ohne ihrem Appetite zum Opfer zu fallen. Alle Eingeborenen, welche die Hochländer der Wasserscheide bewohnen, schildert er als intelligente, kräftige und wohlgeformte Menschen und rühmt namentlich die für Negervölker ungewöhnliche Schönheit und helle Hautfarbe des weiblichen Geschlechtes.

Es mußte ein hoher Genuß für Livingstone sein, nachdem er eine Reihe von Jahren jeden persönlichen Verkehr mit civilisirten Menschen entbehrt hatte, sich mit seinem Entdecker Stanley zu unterhalten und von ihm zu erfahren, welcher großartige Umschwung der Verhältnisse sich unterdessen in Europa vollzogen hatte. Er wußte aber auch diese Zeit nutzbar zu machen, indem er mit dem Abgesandten des „Herald“ schon am 20. November das Nordende des Tanganyika besuchte und endgültig feststellte, daß dieser See mit dem Mwutan Nsige (Baker’s Albert Nyanza) in keinem Zusammenhang stehe. Zurückgekehrt nach Udschidschi verlebten die beiden Reisenden dort das Weihnachtsfest und brachen Ende December ostwärts nach Unyanyembe auf, wo sie bis Mitte März 1872 verweilten. Dann trennten sie sich. Stanley ging mit den Berichten Livingstone’s nach der Küste, Letzterer kehrte nach Udschidschi zurück, um dort die ihm sofort von Sansibar nachzusendende neue Ausrüstung zu erwarten und dann seine Forschung zum vollständigen Abschluß zu bringen.

Unterdessen hatte die von der Londoner Geographischen Gesellschaft veranstaltete Expedition ihre Ausrüstung in Sansibar vollendet und war nach Bagamoyo übergesetzt, um von dort ihren Zug nach dem Innern anzutreten. Während dieser Zeit waren aber von Stanley verschiedene Nachrichten angelangt, welche den glücklichen Fortgang und endlichen Erfolg seines kühnen Unternehmens meldeten; mit Spannung sah man weiteren Mittheilungen entgegen. Da, am Abend des 7. Mai knatterten plötzlich Flintensalven außerhalb der Ortschaft und inmitten seiner Getreuen zog Stanley selbst ein, frisch und energisch wie immer, obgleich arg mitgenommen von Fieber und Strapazen. Echt amerikanisch und doch sehr bedeutungsvoll in ihrer Kürze ist die Bestimmung seines eigenen Körpergewichtes: als er auszog, wog er hundertachtundsiebzig Pfund, bei seiner Rückkehr nur noch hundertzwanzig Pfund.

Nach einer Conferenz mit den schon früher genannten Führern der englischen Expedition wurde diese aufgegeben. Aus ihren Vorräthen wählte Stanley die von Livingstone gewünschte Ausrüstung und sandte diese durch einige fünfzig auserwählte Leute, welche angeworben sind, um den Forscher auf allen seinen weiteren Zügen zu begleiten, nach Udschidschi ab. Die englischen Bevollmächtigten und selbst Livingstone’s Sohn zogen es vor, die Expedition nicht zu begleiten und nach England zurückzukehren. Auch Stanley reiste, nachdem alle seine Geschäfte erledigt waren, über Suez, Marseille, Paris nach England. Die Kosten seiner Expedition nach Innerafrika allein werden sich auf nicht weniger als fünfundzwanzigtausend Dollars belaufen und wachsen noch bedeutend durch die Summen, welche für die telegraphische Uebermittelung verschiedener, viele Spalten des „Herald“ füllender Berichte nach New-York bezahlt wurden.

Ehre sei dem Herrn James Gordon Bennett, dem Besitzer des „New-York Herald“, welcher zu diesem edlen Zwecke solche bedeutende Mittel zur Verfügung stellte, und Ehre sei dem Herrn Henry M. Stanley, welcher unter Preisgebung seiner eigenen Persönlichkeit diese Mittel mit solchem Erfolge benutzte! Möchten doch in Zukunft recht viele Zeitungen in Stand gesetzt sein, auch auf solche Weise im Dienste der Menschlichkeit und Wissenschaft zu wirken, und möchten sie immer energische Männer finden, welche in diesem Sinne handeln!




Ein Orangenzweig.


Von A. Godin.


(Schluß.)


Ein Mädchenherz.


Von Novemberstürmen geschüttelt, sank das buntgefärbte Laub täglich reichlicher nieder, und die Bäume des Parkes streckten schon gar öde kahle Arme aus, als zwei Damen zur Mittagszeit dessen Gänge durchschritten. Dennoch schien die Sonne noch warm genug, um einen Spaziergang angenehm zu machen; überdies

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_644.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)