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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

der Sittendorfer Ziegenhirt in fünf Minuten zwanzig Jahre verschlafen und das Tilledaer Brautpaar in einer Stunde hundert Jahre; hier erhielt der brave Bergmann die Goldstange und der Kornbauer aus Gehofen die ungeheuren Ohrfeigen, und hier schaute der Zwerg alle hundert Jahre nach dem Thurm, ob die Raben noch immer fliegen.

Sie fliegen nicht mehr. Wir glauben es, obwohl wir auch im neuen Reich noch immer ihr Gekrächze hören. Denn diejenigen Raben, welche den Kaiser Friedrich in den Kyffhäuser getrieben, fliegen heute noch: die schwarzen Vögel, mit welchen der Adler soeben in hartem Kampfe liegt. – Wenn aber auch dieser Sieg errungen und uns Gewißheit gegeben wird, daß der herrlichen Barbarossasage letztes Ziel erreicht, die große Verheißung für Kaiser, Volk und Reich erfüllt ist, – dann sollte die deutsche Kunst sich eine erhebende Aufgabe stellen.

Man hat öffentlich den Wunsch ausgesprochen daß die Kyffhäuserburg den Fürsten von Schwarzburg abgekauft, restaurirt und dem deutschen Kaiser zum Nationalgeschenk gemacht werden möge. Diesen Wunsch theilen wir nicht. Man lasse Ruine Ruine bleiben und sorge nur für ihre Erhaltung. Aber der erfüllten Sage errichte man ein Denkmal: ein Sagendenkmal. Ist der Gegenstand nicht reich genug an charakteristischen Gestalten für ein Meisterwerk der Bildhauerkunst? Der aus seinem Zauberschlafe durch des Reiches Wiedererstehen erlöste Hohenstaufe, die schöne Prinzessin mit ihren Frauen, die Ritter und Knappen, der Zwerg und der Mönch, nicht zu vergessen den treuen Schmied von Jüterbogk – sind das nicht Figuren genug zur herrlichsten Gruppe? – Dazu die schönsten Sagen für Reliefstücke – und zuunterst am Boden die Raben, hoch auf des Kaisers Helmkrone der Adler – wahrlich, ein solches Denkmal dem Kaiser-Friedrichsthurm gegenüber auf dem höchsten Burgplatz errichtet, das würde das schönste, sinnigste Denkmal des deutschen Kampfes und Sieges sein! – Mit diesem Wunsch schieden wir von „Deutschlands Sagenthron“.

Auf der Rothenburg fanden wir viel buntes Leben. Das Völkchen der Umgegend feiert gern den Sonntag hier oben, und auch der Wanderer kehrt gern hier ein. Unmittelbar hinter den vom alten „Rothenburger Einsiedler“, dem Kaufmann und Dichter Friedrich Beyer in Kelbra, mit Opfern und Mühen durchweg so niedlich und originell angelegten Wirthschaftsbaulichkeiten, die nun seit seiner Verdrängung aus dieser fürstlichen Pachtstelle in kläglicher Verwahrlosung dastehen, führen zwei Wege zu der Burg. Das auf unserm Bilde links am Rande dargestellte Thor führt rechts von einem sehr dicken, runden Wartthurme unmittelbar in das ehemalige Schloß, und ebenso ist das am rechten Rande gezeichnete Portal der Eingang in den Rittersaal von der linken Seite her; die schönen Bogenfenster des Saales sehen wir im Hintergrunde. Außerdem stehen noch so viele Seiten- und Mittelwandmauern und Gewölbe, daß eine Restauration des Hauptgebäudes leicht möglich wäre. Ueber das hier in einer Art Capelle gefundene angebliche Götzenbild „Püstrich“ habe ich ebenfalls in dem Artikel von 1868 das Meinige gesagt.

Die schönste Aussicht hat man auf der Rothenburg von dem Vorplatze vor dem obern Burgeingange aus. Hier haben wir die Goldene Aue als Mittelgrund in einer mit dem bloßen Auge erkennbaren Nähe vor uns, während auch von der Ferne vom Ohmgebirg des Eichsfeldes bis zum Doppelrücken des Brocken und den Harzvorbergen im Norden mit ihren Schlössern und Ruinen uns nichts besonders Hervorragendes entgeht.

Man scheidet nicht als Alltagsmensch von diesen Höhen; die gehobene Stimmung begleitete uns in’s Thal, und wie entsprechend war hier die Nachfeier! Auf der Bank im Freien vor der Roßlaer Eisenbahnstation überschaut man das langgestreckte Kyffhäufergebirge mit seinen beiden Burgen und dem drüben zu seinen Füßen gelagerten Kelbra, und Alles im Wechselspiel von Form und Farbe bei der abwärts sich neigenden Sonne. Die vielen Schluchten des Gebirgs treten endlich so finster hervor, als ob sie noch heute, wie einst, die goldgierigen Menschen von ihren geheimen Schätzen zurückschrecken wollten.

Zu den Kaiserspuren, zu welchen unser Holzschnitt uns führt, gehören auch die Klosterruinen von Memleben – in der Mitte des Unstrutthals zwischen Artern und Freiburg.

Das ganze Unstrutthal ist ein bis heute noch für den großen Sommerwandererstrom verstecktes Paradies der Natur, der Sage und der Geschichte des Thüringerlandes. Denn hier, sagt ein begeisterter Wegweiser[1] desselben, hier ist der Boden, wo die ältere deutsche Geschichte in wahrhaft dramatischen Episoden vor den Blicken sich aufrollt; hier war der Sitz der thüringischen Könige, bis ihr stolzes Reich von den verbundenen Franken und Sachsen zertrümmert wurde; hier wohnten und wirkten die ersten deutschen Kaiser aus dem Sachsenstamme und die ersten thüringischen Landgrafen; hier weht die Vorzeit aus Ruinen und Sagen mit vernehmlichem Flügelschlage, während die ewig junge Natur die historisch geweihten Stätten, welche allzuvergessen in ihren lachenden Winkeln ruhen, mit immer frischen Kränzen umschlingt.

Auch Memleben war eine kaiserliche Pfalz. Die Waldstelle, an welcher der Sachsenherzog Heinrich beim Vogelfang als gewählter deutscher König begrüßt wurde, ist in dieser Gegend zu suchen. Nachdem er, um die Ungarn zu besiegen, das deutsche Bürgerthum gegründet und das Reich stark und groß gemacht, starb er hier. Ebenso sein Sohn und Nachfolger Otto der Große, dessen Mutter Mechtildis (nach anderen Angaben sein Sohn Otto der Zweite) hier ein Kloster stiftete, das eine der prachtvollsten und berühmtesten Abteien wurde. Im Bauernkrieg theilweise zerstört, wurde sie 1545 völlig aufgehoben; von da an verfiel der herrliche Bau und steht jetzt nur noch als sorglich gepflegte Ruine am Wege bei dem gleichnamigen Dorfe. Unsere Abbildung zeigt links das Innere der Kirchenreste und rechts die wohlerhaltene Krypte. An den inneren Flächen der Pfeiler des Schiffs der Kirche prangten die Bilder der sächsischen Kaiser und ihrer Frauen; sie sind nur zum Theil noch erkennbar. Neben diesen Bildern zieren die Reste der Grabmäler und der Madonnenstatue, die unser Künstler in der Illustration angebracht, noch heute diese Stätte, die, wenn erst die Unstrutbahn den Zugang erleichtert, von Tausenden als ein Wallort großer deutscher Vergangenheit besucht werden wird, gleich den anderen deutschen Kaiserspuren im Thüringerlande.

Friedrich Hofmann.


  1. Meyer’s Reisehandbücher, Bd. V.: Neuestes Reisehandbuch für Thüringen von Heinr. Schwerdt u. Alex. Ziegler. Hildburgh., Bibliogr. Institut.




Eine große Zeitungsthat.


Von M. E. Plankenau.


Es war ein um die ganze Erde laufendes und die gesammte cultivirte Menschheit freudig erregendes Telegramm, welches zuerst die Kunde brachte: Dr. Livingstone ist gefunden!

Wer ist Livingstone? So fragten aber auch Tausende damals, denn der Mann war so lange verschollen und so oft vergeblich gesucht, daß namentlich vor den ungeheuren Ereignissen der letzten Jahre sein Name und sein Schicksal für die große zeitungslesende Menge in den Hintergrund getreten und in Vergessenheit gekommen war. Trotzdem beschränken wir uns in diesem Artikel auf die Bemerkung, daß Dr. David Livingstone der bedeutendste von allen den Forschungsreisenden ist, die uns Afrika erschlossen haben, und daß er auch der glücklichste ist, insofern er mit nur kurzen Unterbrechungen zweiunddreißig Jahre lang unter den wilden Völkerstämmen Südafrikas lebte, ohne daß ihn das Schicksal so vieler Forscher, ein Opfer der Eingeborenen oder des Klimas zu werden, ereilte. Die Darstellung seines sehr interessanten Jugendlebens und der für geographische Forschung sehr erfolgreichen Reisen von 1840 bis 1864 sparen wir unsern Lesern für einen besondern Artikel auf. Heute ist es unsere Aufgabe, sie vor Allem mit der in mehr als einer Beziehung einzig dastehenden Art der Rettung dieses englischen Afrikaforschers bekannt zu machen. Wenn dies anscheinlich etwas spät geschieht, so ist daran neben der zeitraubenden Herstellung unseres Blattes die Vorsicht schuld, die uns gebot, zur Mittheilung an unsere Leser erst authentische Nachrichten über diesen außerordentlichen Fall abzuwarten. Diese Vorsicht war doppelt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_642.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)